Konfliktgespräche: Wie führt man sie?

In diesem Beitrag gibt es konkrete Hinweise, welche Verhaltensweisen in den diversen Konfliktgesprächen sinnvoll sind und welche man besser vermeiden sollte. Die Erfahrung zeigt, dass es doch immer wieder dieselben Fehler sind, die gemacht werden bzw. dieselben Fallen, in die Führungskräfte tappen. Wenn man es schafft, diese wenigen, aber typischen Fehler schlicht und einfach zu vermeiden, ist man schon einen grossen Schritt weiter.

21.07.2020 Von: Andreas Edmüller
Konfliktgespräche

Warum sind Konfliktgespräche so schwierig?

Wie wir oben gesehen haben, ist es wichtig, dass der Konfliktmanager in Einzelgesprächen die Konfliktparteien dabei unterstützt, gedankliche und emotionale Klarheit bezüglich der jeweils eigenen Anliegen und möglicher Wege aus dem Konflikt herauszufinden. Diese Gespräche sind nicht einfach, sie verlaufen selten lehrbuchgemäss. Abschweifungen, Sackgassen, Zickzackbewegungen oder Rückschritte gehören dazu – ganz wie im richtigen Leben. Umso wichtiger ist es, dass man dabei die wesentlichen Etappen – über die Standpunkte zu den Anliegen dahinter und den Lösungsideen – nicht aus den Augen verliert.

Warum sind Gesprächspartner oft sehr zurückhaltend?

Es gibt gute Gründe, warum diese Einzelgespräche in der Regel etwas mühsam sind. Versetzen Sie sich in die Lage einer Konfliktpartei und stellen Sie sich vor, Sie müssten mit dem eigenen Vorgesetzten oder einem externen Konfliktmanager ein Gespräch über Ihren Standpunkt, Ihre Anliegen und das bisherige Konfliktgeschehen führen – das ist normalerweise kein Grund zur Freude. Oft stecken einige der folgenden Gründe hinter dieser Zurückhaltung:

  • Unklarheit über die eigenen Anliegen.
  • Scham bzw. Angst vor Peinlichkeit: Die meisten Konfliktparteien haben zum Teil dumme Fehler gemacht und wissen das auch.
  • Man hat Angst, sich angreifbar zu machen, wenn man die Karten offen auf den Tisch legt.
  • Vertrauensaufbau zum Konfliktmanager braucht Zeit, auch und gerade, wenn es der Vorgesetzte ist.
  • Man hat Angst vor einer Blamage, also davor, ausgelacht zu werden.
  • Man hat Angst, Schwäche zu zeigen.
  • Man hat Angst vor möglichen Konsequenzen.
  • Viele Personen haben rhetorische Schwächen und tun sich einfach schwer, Dinge klar zu benennen und drucksen deswegen herum.
  • Oft sind starke Selbstzweifel vorhanden, verstärkt durch das Konfliktgeschehen: Bei mir stimmt was nicht ...

Diese Liste ist garantiert nicht vollständig, macht aber anschaulich, warum Konfliktgespräche bis­weilen einen sehr langen Atem brauchen.

Die erste Faustregel für den Konfliktmanager

Nehmen Sie sich im Einzelgespräch viel Zeit und lassen Sie Ihr Gegenüber in aller Ruhe und mit allen Umwegen und Abschweifungen die eigene Sicht der Dinge loswerden und erklären. Zwei spezielle Dinge können Sie als Konfliktmanager in dieser Phase tun: Aufmerksam zuhören und bestärkende bzw. vertiefende Fragen stellen. Damit ist dann oft schon eine spürbare emotionale Beruhigung erreicht und man kann sich auf die Suche nach den Anliegen machen.

Wie erkenne ich die Anliegen der Konfliktparteien?

Wie schon erläutert: Anliegen sind Motive, sie liefern die Energie für das Konfliktgeschehen. Um die Anliegen systematisch herauszuarbeiten, kann man sich an dem folgenden «Anliegenfächer» orientieren:

  • Fachliche Anliegen (z.B. Lösung eines Programmierproblems, Ressourcenengpass etc.).
  • Organisatorische Anliegen (z.B. Gehalt, Dienstplangestaltung etc.).
  • Persönliche berufsbezogene Anliegen (z.B. Akzeptanz im Team, Über- bzw. Unterforderung, Zufriedenheit mit der beruflichen Perspektive, beruflicher Motivationsgrad etc.).
  • Private Anliegen (z.B. Eheprobleme).
  • Intime Anliegen (z.B. Krankheit).

Über fachliche und organisatorische Anliegen kann man in unserer Geschäftskultur ungezwungen reden, man kann auch gezielt danach fragen. Schwerer tun wir uns mit den persönlichen berufsbezogenen Anliegen. Es versteht zwar jeder, dass und warum sie für ein funktionierendes Team wichtig sind, aber oft ist mit einem ernsthaften Gespräch darüber die Angst verbunden, die Büchse der Pandora zu öffnen und «im emotionalen Durcheinander zu versinken». Die beiden letzten Anliegenarten bzw. Fragen dazu sind allerdings tabu, ein Gespräch dazu darf nicht gefordert werden.

Bei den allermeisten Konflikten sind es aber gerade die persönlichen berufsbezogenen Anliegen, oft auch im Verbund mit privaten Themen, auf die es ankommt. Werden derartige Interessen oder Wünsche frustriert, so führt das leicht zu der Überzeugung, ungerecht behandelt worden zu sein – und das ist eine gute Ausgangsbasis für Konflikte.

Die zweite Faustregel für den Konfliktmanager

Man beginnt die Suche nach den Anliegen damit, nach Aspekten auf der fachlichen und sachlichen Ebene zu fragen. Das ist ein guter Einstieg, um über die vorhandenen Unzufriedenheiten und Spannungen zu reden. Klappt das bzw. kommt so ein gutes Gespräch in Gang, fragt man einfach weiter und versucht zu verstehen, wie es auf der persönlichen berufsbezogenen Ebene ausschaut.

Sehr oft sind die eigentlichen Anliegen, also des Pudels bzw. des Konfliktes Kern, unter der Gesprächsoberfläche versteckt. Argumente auf der fachlich-sachlichen Ebene werden gerne zur Tarnung der entscheidenden Anliegen vorgeschoben. Wie kann ich sie trotz dieser Tarnung erkennen?

  • Beginnen Sie das Gespräch beim Fachlichen und Organisatorischen und vertiefen Sie es dann konsequent zum Persönlich-berufsbezogenen.
  • Fragen Sie offen und einladend, verstärken Sie mit ihren Fragen den Gesprächsfluss des Gegenübers. Machen Sie ihm so klar, dass er gefahrlos über alles mit Ihnen reden kann.
  • Hören Sie vorurteilsfrei zu und sagen Sie nicht in Gedanken zu sich selber: Ach, das kenne ich schon ...! Die Gefahr im Gespräch ist, dass Ihr Verhalten diese Überzeugung widerspiegelt.
  • Bei unklaren, vagen, zögerlichen Äusserungen sollten Sie klärend nachfragen.
  • Folgen Sie der Gesprächsenergie: «Abschweifen» des Gesprächspartners führt oft zum Kern­anliegen!
  • Achten Sie auf Häufungen und Wiederholungen bestimmter Themen; diese weisen oft auf wichtige Anliegen hin!
  • Rumdrucksen des Gesprächspartners ist oft ein Signal, bei dem sich Nachfragen lohnen könnte.
  • Achtung: In der Regel sind gerechtigkeitsrelevante Anliegen des Pudels Kern!

Was mache ich, wenn jemand seine Anliegen nicht offenlegen möchte? Auch das kommt vor – ­niemand kann uns zwingen, über unsere eigentlichen Motive Auskunft zu geben. Um sicher zu sein, sie trotzdem mit einer eventuellen Lösungsidee abgedeckt zu haben, kann der Konfliktmanager einen Versuchsballon starten oder die Konfliktpartei selbst um einen Lösungsvorschlag bitten. Oft kommt dann eine Idee, die zu den Anliegen des Gefragten passt – ohne dass er seine Anliegen offenlegen muss:

  • Versuchsballon: Ich habe da so eine Idee – könnte das was sein, was für Sie passt ...?
  • Bitte um anliegengerechte Lösungsideen: Wie könnte denn eine Lösung aussehen, die für Sie passt?
  • Achtung: Das sollte man erst tun, nachdem man gezielt nach den Anliegen gefragt hat. Sonst geht das Signal, dass man den anderen und seine Anliegen verstehen möchte, leicht unter.

Was sollte der Konfliktmanager grundsätzlich nicht tun?

Leider erlebe ich es immer wieder, dass gerade Vorgesetzte im Rahmen einer Konfliktbarbeitung die folgenden Verhaltensweisen an den Tag legen. Mein Rat dabei: Auf die Zunge beissen und bleiben lassen!

  • Zeitdruck aufbauen: Also ich habe jetzt gerade 20 Minuten Zeit – reden wir doch mal in Ruhe über die ganze Sache ...
  • Bewerten: Ich möchte Ihnen ja jetzt nicht zu nahe treten, aber wenn Sie das gesagt haben, kann ich den Müller und seinen Wutanfall schon verstehen ...
  • Vorwürfe machen: Tja, da hätten Sie mit Ihrer Erfahrung aber schon von Anfang an sehen müssen, dass Sie in eine Sackgasse laufen.
  • Belehrenden Druck aufbauen: Welche Fehler haben Sie denn gemacht?
  • Partei ergreifen: Also wenn das so war, dann kann ich das als Vorgesetzter nur als groben Fehler einschätzen und weiss jetzt, was ich zu tun habe.
  • Lösungen anbieten: Also, sie sollten jetzt Folgendes tun: ...
  • Psychologisieren: Das haben Sie meiner Meinung nach nur getan, um ihr schwaches Selbstwertgefühl zu überdecken!
  • Flucht in fachliche und sachliche Aspekte: Diese ganzen Gefühle und Verletztheiten sind ja schön und gut – aber wir sind hier am Arbeitsplatz und da kommt es vor allem drauf an, dass die Produktion flutscht! Also: Worum geht es denn eigentlich?

Die dritte Faustregel für den Konfliktmanager

Verzichten Sie auf substanzielle Eigenbeiträge – unterstützen Sie schlicht und einfach jede Konflikt­partei dabei, ihren Weg durch die Phasen des Konfliktlösungsmodells zu finden. Dann haben Sie gute Arbeit geleistet.

Zwei typische Fallen in Konfliktgesprächen

Gesondert möchte ich Sie noch auf zwei Fallen hinweisen, in die gerade Vorgesetzte bei der Konfliktbearbeitung immer wieder tappen.

Die Lösungsfalle

Oft glaubt der Konfliktmanager sehr schnell, eine Lösung zu haben, und versucht dann, seinen Gesprächspartner im Rest des Gespräches davon zu überzeugen, dass diese der richtige Weg aus dem Konflikt sei. Das führt oft dazu, dass der Konfliktmanager in Gedanken an der Lösung arbeitet und nicht mehr zuhört – meistens «wehrt» sich der Gesprächspartner dann auch gegen diese Lösung. Die Folge: Das Gespräch verhärtet, die Stimmung wird offen oder verdeckt aggressiv, die Konfliktlösung kommt nicht voran.

Warum ist diese Lösungsfalle für Führungskräfte so verlockend? Hier eine Liste von Gründen; sie stammen von Teilnehmern an meinen Seminaren:

  • Ich entscheide aus Gewohnheit.
  • Der Vorgesetzte leidet am Helfersyndrom oder hat Angst vor Liebesentzug, wenn er die Sache nicht selbst löst.
  • Man mischt sich aus falsch verstandenem Verantwortungsgefühl zu stark ein.
  • Es herrscht Zeitdruck und ungelöste Konflikte halten auf.
  • Man kann so den Lösungsweg kontrollieren. Man hat Angst vor Lösungsideen des Mitarbeiters – man weiss ja nie, ob ihm (oder ihnen) auch «das Richtige» einfällt.
  • Man will endlich Ruhe im Betrieb haben.
  • Der Vorgesetzte glaubt, dass die Konfliktparteien bzw. Mitarbeiter von ihm eine Lösung er­warten.
  • Selbst die Lösung vorschlagen ist einfacher, als lange Gespräche zu führen.
  • Für die Mitarbeiter ist eine Lösung des Vorgesetzten der bequemere Weg.
  • Oft haben Vorgesetzte bei genauer Analyse der Konfliktlage Angst vor Überforderung.
  • Das Ego des Vorgesetzten wird gestärkt: Na – und wer hat mal wieder die Lösung gefunden?

Die Argumentationsfalle

Diese Falle habe ich weiter oben schon angesprochen. Sie ist aber so verbreitet bzw. wirksam, dass sie eine Hervorhebung verdient. Oft werden gerade zu Beginn der Konfliktbearbeitung die persönlichen Anliegen hinter fachlich-sachlichen Argumenten versteckt. Die Gründe dafür wurden schon ausführlich erläutert. Der klassische Fehler des Konfliktmanagers an dieser Stelle: Er merkt nicht, dass das eigentliche Anliegen – des Pudels Kern – ein persönliches berufsbezogenes Anliegen ist und argumentiert mit seinem Gesprächspartner auf der fachlich-sachlichen Ebene. Das führt dann dazu, dass des «Pudels Kern» nicht erkannt wird und keine vernünftige Lösung gefunden werden kann.

Die Argumentationsfalle ist für Führungskräfte verlockend, weil man sich auf der fachlich-sachlichen Ebene sicher fühlt, hier seine Macht gut zur Geltung bringen kann, eine Lösung schnell gefunden werden kann, und weil man sich dann nicht auf den Mitarbeiter einlassen muss (mit unberechenbarem Ausgang).

Also: Lassen Sie aus Ihrer Sicht fachlich nicht korrekte Ansichten einer Konfliktpartei ruhig einmal unkommentiert stehen und fragen Sie einfach «daran vorbei» weiter nach den eigentlichen Anliegen im Konflikt.

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