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Entscheidungen treffen: Der Entscheidungsdruck wächst

Laut dem Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel treffen Sie täglich rund 20.000 Entscheidungen. Die meisten davon blitzschnell und ohne Reflexion. Da schnellt der Zeigefinger nach vorne, sobald der Wecker am Morgen schrill klingelt und drückt auf die Snooze-Taste. Ah, zehn Minuten länger im Bett liegen bleiben. Wie schön. Später geht die Rennerei dann aber los. Das Frühstück wird heruntergeschlungen, eben weil diese zehn Minuten fehlen. Ihre erste Entscheidung am Morgen zeigt somit bereits ihre Folgen: Sie geraten unter Zeitdruck. Und so geht es den ganzen Tag weiter.

28.10.2021 Von: Brigitte Miller
Entscheidungen treffen

Der Entscheidungsdruck wächst

Viele dieser 20.000 täglichen Blitzentscheidungen werden zweifelsfrei „triviale“ Dinge betreffen. Ob Sie eher das vegetarische oder das Fleischmenü in der Kantine wählen, hat zwar auch Auswirkungen (auf Ihre Gesundheit, auf die Massentierhaltung, auf den Klimawandel), doch Sie werden deshalb kaum ins lange Zögern geraten. Denn Ihnen liegen ja zwei attraktive Entscheidungs-Optionen vor. Sie können nichts falsch machen. In Sekundenschnelle haben Sie deshalb Ihr Menü ausgesucht und lassen es sich munden.

Obwohl Sie somit eine eindeutige Kompetenz in puncto Entscheidungen treffen besitzen – 20.000 Blitzentscheidungen belegen diese Kompetenz – werden Sie dennoch auch in Situationen geraten, in denen es Ihnen schwer fällt, sich zu entscheiden. Dafür mag es viele Gründe geben. Vielleicht

  • spüren Sie die „Schwere der Entscheidung“.
  • wissen Sie, dass die Entscheidung eine Tragweite hat – für Sie und/oder das Unternehmen.
  • scheuen Sie sich davor, vorschnell bei der Frage eine Entscheidung zu treffen.
  • wollen Sie nichts riskieren.
  • gab es zu diesem Thema bereits Entscheidungen, die sich nachträglich als falsch erwiesen haben. Diese Erfahrung steckt Ihnen, Ihren Mitarbeitern und/oder dem System Unternehmen noch „in den Knochen“ – und lähmt.

Wie immer Ihre ganz persönliche Ursache aussehen mag, Sie fühlen sich „plötzlich“ unter Druck. Ein Druck, der sich auf Sie nachteilig auswirkt. Es scheint fast, als würde Ihr Entscheidungsdenken blockiert.

Und mit ihm Unsicherheit, Zweifel und Ängste...

Und so gibt es Situationen und Momente, in denen Sie spüren wie sich Ihre Kompetenz verabschiedet. Stattdessen breiten sich Unsicherheit, Zweifel und Ängste aus. Emotionen, die ungern mit dem Entscheidungsfindungsprozess in Verbindung gebracht werden. Will doch jeder einen kühlen, analytischen Kopf zeigen. Soll in jedem Falle die eigene Führungsstärke unter Beweis gestellt werden, indem eine rasche Entscheidung getroffen wird. Schliesslich ist ein Manager ja ein Macher – und kein zögerlicher Denker, der alles in Ruhe abwägen will.

Sich allerdings diesen Emotionen zu stellen, sie sich vor allem einzugestehen, sollte eher als Stärke verstanden werden. Denn Sie zeigen im Grunde eins: Eine Sensibilität gegenüber den (potenziellen) Folgen Ihrer Entscheidung. Darüber hinaus bieten solche Emotionen stets auch wichtige Informationen, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden dürfen:

  • Unsicherheit weist daraufhin eigene Bedenken sorgfältiger zu hinterfragen und zu überprüfen. Sich mögliche Risiken bewusst zu machen, um Strategien zu überlegen, wie mit diesen umzugehen ist.
  • Zweifel offenbaren Widersprüchlichkeiten und ein geringes Vertrauen, das zu den Fragen führt: Wieso ist das Vertrauen so schwach? Welchen Widerspruch gilt es zu lösen oder zu ertragen?
  • Ängste deuten auf Sorgen hin, die durch die Entscheidung aktiviert oder verstärkt wurden. Was gibt es hier noch zu lösen, um die Angst in Mut wandeln zu können?

Zweifelsfrei werden aufkommende Emotionen einen sehr individuellen Bezug zu Ihnen und/oder dem Unternehmen haben. Dennoch gibt es typische Unsicherheiten und Ängste, die jedem nur zu vertraut sind – vor Fehlentscheidungen, den Konsequenzen und der Unwägbarkeit des Wandels. Sich diesen zu stellen, gehört zu jedem Entscheidungsfindungsprozess hinzu. Und ist in keinem Falle eine Schwäche.

...vor Fehlentscheidungen

Die Optionen liegen auf dem Tisch. Die eine scheint die Richtige zu sein. Oder doch lieber die andere? Bevor Sie sich zu einem Entschluss – und zu einer Entscheidung – durchringen, fühlen Sie sich mental blockiert. Unwillkürliche Bilder entstehen vor Ihrem geistigen Auge. Bilder, in denen sich zeigt, die andere, nicht gewählte Option wäre die Rechte gewesen – und die zurzeit favorisierte ein Fehlschlag. Ein plötzlich inneres Aufseufzen „Was, wenn…“ gefolgt von „Ach, hätte ich besser nur…“ verstärkt die Vorstellung und die Angst vor einer Fehlentscheidung.

Die Angst vor einer Fehlentscheidung entspricht einer Erwartungsangst (Viktor Frankl, Gründer der Logotherapie schuf diesen Begriff). Ihre inneren Bilder und Gedanken schaffen ein Szenario, mit dem Sie eine ganz bestimmte Erwartung verknüpfen. Meist ist dies – leider – keine positive Erwartungshaltung. Vielmehr erwarten Sie ja, dass „etwas falsch läuft, etwas fehlschlägt, die getroffene Entscheidung sich als ein Fehler entpuppt“.

Lösungsstrategien:

  • Fehlerkultur hinterfragen. Begutachten Sie Ihre persönliche Fehlerkultur, als auch die des Unternehmens. Welche Einstellungen herrschen in beiden Systemen (Ihrem und dem des Unternehmens) vor? Wie wirkt sich diese auf die Entscheidungsfindung aus? Wird dadurch die Angst vor Fehlentscheidungen gestärkt? Welche Gedanken gilt es zu verändern, damit Sie sich bei diesem Aspekt freier fühlen? Wie können Sie im Unternehmen für eine „freiere“ Haltung gegenüber Fehlentscheidungen sorgen?
  • Analyse der Vergangenheit. Prüfen Sie in Ruhe, inwieweit Sie in der Vergangenheit Fehlentscheidungen getroffen haben. Welche Entscheidung bewerten Sie im Nachhinein als ein Fehler – und warum? Können Sie wirklich mit Sicherheit sagen, dass die andere, nicht gewählte Option besser gewesen wäre – warum? Was hätte sich anders entwickelt (Ihrer Meinung nach)? Und wie könnten Sie jetzt die Weichen dennoch anders stellen – und sei es zu überlegen, was Sie damals innerhalb des Entscheidungsprozesses „übersehen“ haben, um darauf zukünftig Ihren Fokus zu lenken?
  • Fehlentscheidungen im Unternehmen. Listen Sie auf, welche falschen Entscheidungen im Unternehmen getroffen worden. Welche Ursache/n können Sie hierfür benennen? Wie haben sich diese ausgewirkt? Welche Folgen sind immer noch zu spüren? Was kann daraus für das Heute – und den aktuellen Entscheidungsfindungsprozess – gelernt und unbedingt aufgegriffen werden?
  • Erwartungsangst benennen. Statt Ihre Befürchtungen auszublenden, gehen Sie bitte auf die Suche. Was befürchten Sie? Gibt es ein konkretes Bild oder einen konkreten Gedanken? Oder ist es ein Gefühl? Was würde Ihnen dieses Gefühl sagen? Auf was gilt es für Ihre Entscheidung „noch“ zu hören (oder zu klären)?
  • Paradoxe Intention. Nutzen Sie Viktor Frankls „paradoxe Intention“. Dabei ändern Sie Ihre bisherige Intention „Keine Fehlentscheidung“ und führen Sie zum Absurden. Nehmen Sie sich dafür vor, täglich mehrere Fehlentscheidungen zu treffen. Legen Sie ruhig eine Zahl fest – vielleicht 2.000 (also ein Zehntel von den 20.000 Entscheidungen, die Sie tagtäglich treffen). Und erfüllen Sie Ihr Pensum! Ihre Angst wird sich rascher verabschieden, als Sie denken.

...vor den Konsequenzen

Ihr Blick ruht auf den Folgen und Auswirkungen, die Ihre Entscheidung mit sich bringen wird. Manches Mal ist dieser Fokus so stark ausgeprägt, dass es ein defensives Entscheiden bewirkt. „Hier besteht die Strategie darin, die beste Option fallen zu lassen, weil sie sich nicht rechtfertigen lässt, wenn etwas schiefgeht, und deshalb eine zwei- oder drittbeste Option zu wählen“ (Gerd Gigerenzer, Risiko, Bertelsmann Verlag, 2013, S. 153). Die Ursachen für solch ein defensives Entscheiden sind sehr unterschiedlich:

  • die Furcht gerügt und kritisiert zu werden.
  • sich durch einen Fehler zu kompromittieren.
  • das Gesicht in der Abteilung, bei den Kollegen und Mitarbeitern zu verlieren.
  • das eigene Ansehen zu ruinieren.
  • Zeitdruck, der es verhinderte, die Konsequenzen der besten Entscheidung besser auszuloten.
  • die Angst vor unabsehbaren Risiken bei der besseren Option.
  • fehlender Mut, zu der Entscheidung und potenziellen Konsequenzen zu stehen.
  • mangelnde Risikobereitschaft – No-Risk-Mentalität - und negative Fehlerkultur im Unternehmen.
  • Vermeidung von Konflikten, um sich selbst, das Team und die Abteilung zu schützen.

Übrigens gaben fast ein Drittel der 84 von Grigerenzer befragten Manager an, in etwa 50% der Fälle sich defensiv zu entscheiden (58% bestätigten es manchmal zu tun). Ein Resultat, das „Bände spricht“. Denn defensives Entscheiden schützt die Person auf Kosten des Unternehmens, somit ist eine defensive Entscheidung stets eine Entscheidung gegen das Unternehmen. Ein Fakt, der nicht dem Einzelnen an sich vorzuwerfen ist, sondern vielmehr der Unternehmenskultur und der Unternehmensführung.

Lösungsstrategien:

  • Risiken beleuchten. Entscheidungen, die Sie für das Unternehmen treffen sollen, bergen natürlich Risiken für Sie selbst, Ihre Position und Ihre Karriere. Sich diese bewusst zu machen, heisst auch, diese gezielt zu hinterfragen. Können diese Konsequenzen und Risiken wirklich eintreten? Welche Erfahrungen haben Sie innerhalb des Unternehmens gemacht, die diese Voreinnahme bestätigen?
  • Konsequenzen ansprechen. Teilen Sie Ihre Befürchtungen mit. Legen Sie sie offen. Dadurch bieten Sie allen die Möglichkeit an der Entscheidung zu partizipieren und letztendlich mögliche Risiken mitzuverantworten.
  • Gegenstrategie überlegen. Welche Möglichkeiten haben Sie, diese Risiken zu minimieren, ohne sich gegen die bestmögliche Option für das Unternehmen zu entscheiden? Entwickeln Sie einen Plan.
  • Einstellungsmodulation. Modulieren Sie Ihren Blickwinkel – und somit Ihre Einstellung. Lässt sich die (potenzielle) Konsequenz variabel interpretieren? Kann dieser Konsequenz eine Positivperspektive abgerungen werden?

...vor Unwägbarkeiten des Wandels

Nichts ist so sicher, wie der Wandel. Und obwohl ja jeder nach Sicherheit sucht und strebt, gibt diese Sicherheit des Wandels leider keine Sicherheit. „Jede neue Krise macht uns Sorge, bis wir sie vergessen und uns wegen der nächsten sorgen. (…) Wenn etwas schiefgeht, erzählt man uns, künftige Krisen liessen sich durch bessere Technik, mehr Gesetze oder aufwendigere Bürokratie verhindern. (…) Ein Punkt fehlt auf dieser Liste: der risikokompetente Bürger“ (Grigerenzer, ebd., S. 11).

Wandel heisst Veränderung. Wandel heisst aber auch, sich einlassen auf Neues, Unbekanntes, Fremdes. Und letztendlich bedeutet Wandel stets ein Risiko einzugehen. Heutzutage ist dies eine Herausforderung. Da alles schneller und rasanter vollzogen, gar in Echtzeit kommuniziert wird. Damit erhöht sich das Risiko – und gleichzeitig das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Koordinaten, die wenigstens ein wenig den Weg im Wandel beleuchten.

Manches Mal überwiegt das Sicherheitsbedürfnis – und das wird zum Problem. „Das Problem ist nicht einfach individuelle Dummheit, sondern das Phänomen einer risikoinkompetenten Gesellschaft. Risikointelligenz ist eine Grundvoraussetzung, um sich in einer modernen technologischen Gesellschaft zurechtzufinden. (…) Wenn ich den allgemeineren Begriff „risikokompetent“ (risk savvy) verwende, meine ich damit mehr als Risikointelligenz, nämlich die Fähigkeit, auch mit Situationen umzugehen, in denen nicht alle Risiken bekannt sind und berechnet werden können“ (Grigerenzer, ebd. S. 12). Für Ihre Entscheidungsfindung ist dies ein wichtiger Soft Skill, den Sie benötigen – heute mehr denn je.

Lösungsstrategien:

  • Unwägbarkeiten akzeptieren. Befreien Sie sich von Glaubenssätzen wie „Ich muss alles abwägen können“ oder „Bloss keine Risiken eingehen“. Erteilen Sie sich die Erlaubnis, auch ohne alle Komponenten zu kennen, sich nach reiflicher Überlegung für eine Option entscheiden zu dürfen.
  • Lösungsorientiert denken und handeln. Trainieren Sie eine Kompetenz. Stärken Sie Ihre Fähigkeit nach Lösungen zu suchen, sobald sich eine „neue Krise“ eröffnet (oder die getroffene Entscheidung Probleme auslöst). Dank dieser Ressource wird sich Ihre Risikointelligenz verbessern.
  • Vergangene Unwägbarkeiten und Risiken fokussieren. Rufen Sie sich bereits bewältigte Risiken und/oder Unwägbarkeiten in Erinnerung. Mit welchen unvorhersehbaren Faktoren wurden Sie beruflich und privat konfrontiert? Was ist damals eingetreten, mit dem Sie nicht gerechnet hatten? Was hatte dies für Auswirkungen? Wie sind Sie damit umgegangen? Welche Ressourcen hatten Sie dafür aktiviert? Können Ihnen diese Ressourcen auch bei zukünftigen unbestimmbaren Grössen nützlich sein? Welche noch?
  • Turbulenzen positiv bewerten. Verändern Sie, falls notwendig, Ihre innere Einstellung zu Krisen oder Schocks, die eintreten. Nehmen Sie nicht länger als bedrückend wahr. Erkennen Sie die Chance, die sich bietet.
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