Achtsamkeit: Den Autopiloten ausschalten

Resiliente Menschen gehen im Privatleben und im Beruf souveräner mit schwierigen Situationen um. Mithilfe von simplen Achtsamkeitsübungen können negative Automatismen überwunden, Emotionen besser kontrolliert und kann der Alltag bewusster gestaltet werden.

24.05.2024 Von: Sonja Kupferschmid Boxler
Achtsamkeit

Das Konzept der Resilienz

Manche Menschen scheinen es einfach zu können: Sie bewältigen verschiedenste Herausforderungen erfolgreich – und das scheinbar spielend. Weder wirken sie erschöpft, noch scheinen sie Schaden zu nehmen. Ganz im Gegenteil: Sie können anscheinend auch ungünstigen Bedingungen widerstehen, zum Beispiel dem Termindruck im Job, privaten Konflikten und bitteren Niederlagen. So wie ein Bambus, der selbst im Winter noch grüne Blätter treibt, oder wie ein Schiff, das Sturm für Sturm der hohen See trotzt, oder wie ein Grashalm, der sich im Wind biegt und dann schnell wieder in seine ursprüngliche Form zurückfindet.

Eine Erklärung für diese Widerstandsfähigkeit liefert das Konzept der Resilienz. Das Gute daran: Bezogen auf den Menschen, ist Resilienz kein statisches Konstrukt, sondern ein Prozess, den wir beeinflussen können. Resilienz kann als Prozess des erfolgreichen Umgangs mit Herausforderungen verstanden werden. Gemäss dem Rahmenmodell der Amerikanerin Karol Kumpfer können die Ressourcen, welche bei der Bewältigung der Herausforderungen helfen, auf den folgenden Ebenen angesiedelt werden:

  • soziale Ressourcen
  • kognitive Ressourcen
  • emotionale Ressourcen
  • motivationale Ressourcen
  • körperliche Gesundheitsressourcen.

Emotionen erfolgreich regulieren  

Ein Resilienztraining kann beim gezielten Training der fünf Ressourcen aus dem Rahmenmodell von Kumpfer ansetzen. Ein sehr spannender und im Arbeitsalltag gut umsetzbarer Ansatzpunkt sind die emotionalen Ressourcen. Dass Körper, Gedanken und Gefühle miteinander in einer Wechselwirkung stehen, ist schon lange kein Geheimnis mehr und auch die Kraft von Gefühlen im Umgang mit Herausforderungen ist keine neue Erkenntnis. Die Emotionsregulation, das heisst, die bewusste Wahrnehmung und Steuerung von Emotionen, kann durch den Fokus auf die Achtsamkeitsthematik gefördert werden.

Eventuell haben Sie das Erlebte noch sehr präsent. Ziemlich sicher waren Sie aber – wie wir alle sehr oft – im «Autopilotmodus » unterwegs und erinnern sich deshalb kaum an die Geschehnisse auf dem Weg zur Arbeit. Dieser Modus ist das Gegenteil von Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet, sich bewusst dem gegenwärtigen Erleben zuzuwenden, die Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft zu unterbrechen und das Kopfkino auszuschalten.

Übung: Bevor Sie nun weiterlesen, schliessen Sie bitte für 30 Sekunden die Augen. Erinnern Sie sich, wie Sie heute in das Büro gekommen sind? Wie sah die Person aus, welche vis-à-vis von Ihnen im Bus sass? Wie sahen die Bäume aus, die Sie passiert haben? Was haben Sie gesehen und wie bequem sind Sie gesessen?

Mit Achtsamkeit den Moment bewusst erleben  

Abschalten ist etwas, das für uns in einer Welt der Reizüberflutung sehr anspruchsvoll ist. Ständig lassen wir unsere Gedanken in die Zukunft und die Vergangenheit schweifen, indem wir uns zum Beispielfragen: «Was hat mein Vorgesetzter mit dieser Äusserung wohl genau gemeint?» Oder: «Welche Weiterbildung sollte ich im nächsten Jahr in Angriff nehmen, um up to date zu bleiben?» Dabei vergessen wir wahrzunehmen, was tatsächlich im Hier und Jetzt, in uns und um uns herum passiert. Dies birgt langfristig die Gefahr, dass wir uns von uns selber entfremden, weil wir verlernen, uns selber wahrzunehmen, und unsere Bedürfnisse deshalb nicht mehr kennen. Entsprechend sind wir nicht mehr in der Lage, zu uns und unseren Bedürfnissen Sorge zu tragen und uns die Pausen zu nehmen, die wir brauchen.

Kleine Übungen, grosse Wirkung  

Achtsamkeitsübungen können das bewusste Erleben fördern und helfen uns, in Kontakt mit uns selber zu bleiben, um von unseren emotionalen Ressourcen im Umgang mit Herausforderungen entsprechend Gebrauch zu machen. Achtsamkeitsübungen müssen nicht stundenlang gemacht werden. Auch muss nicht wochenlang meditiert werden. Bereits kleine Grundlagenübungen können den Alltag spürbar entschleunigen und unsere Resilienz fördern. Besonders wirksam für Achtsamkeitsübungen sind wiederkehrende Alltagshandlungen, die Sie normalerweise automatisiert oder unbewusst durchführen. Anwendungsmöglichkeiten gibt es viele, z.B. beim

  • Gehen
  • Treppensteigen
  • Anstehen an der Kasse
  • Warten auf Bus, Tram oder Zug
  • Aufstarten des Computers

Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Statt sich über eine Situation zu ärgern, wenn Sie beispielsweise den Bus verpasst haben oder im Stau stecken, richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Moment. Die Frage «Was geht im Moment in mir vor?» hilft Ihnen dabei, den Augenblick zu vertiefen. Abschliessend ist es wichtig, zu erwähnen, dass es bei der Achtsamkeit nicht darum geht, seine eigenen Gedanken und Gefühle zu verändern, vielmehr geht es um die Beziehung zu diesen. Es werden also nicht einfach negative Gedanken durch positive ersetzt, sondern es wird in den Gedanken ein «innerer Beobachter» installiert, um aus den vielen Automatismen, die uns durch den Alltag führen, auszusteigen. So erleben wir unsere Umwelt wieder bewusster und können in schwierigen Situationen entsprechend resilient handeln.

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