Fristlose Entlassung: Anforderungen für Arbeitgeber nach einer Kündigung

Im obigen Entscheid stand die Frage im Raum, ob die nach Aussprechen der ordentlichen Kündigung erfolgte fristlose Entlassung nach Kündigung der Arbeitgeberin gerechtfertigt war oder nicht. Das Bundesgericht setzt sich bei der Beurteilung mit den Anforderungen an eine fristlose Kündigung auseinander, welche nach bereits ausgesprochener ordentlicher Kündigung erfolgt, und kommt im konkreten Fall zum Schluss, die fristlose Kündigung sei ungerechtfertigt gewesen.

04.02.2025 Von: Leena Kriegers-Tejura
Fristlose Entlassung

Sachverhalt 

Die Arbeitgeberin (und Beschwerdeführerin) und der Arbeitnehmer (und Beschwerdegegner) unterzeichneten am 26. Juni 2018 einen Arbeitsvertrag, mit dem der Arbeitnehmer per 1. November 2018 als «Managing Director/ Country Manager Switzerland» angestellt wurde. Tatsächlicher Arbeitsbeginn war der 1.  September 2018. Der Arbeitnehmer war vom 4. September 2018 bis zum 20. März 2020 Geschäftsführer und vom 31. Januar 2019 bis zum 20. März 2020 Präsident des Verwaltungsrats der Arbeitgeberin.

Gegen Ende Februar 2020 diskutierten die Parteien erfolglos über den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung. Am 26. Februar 2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis auf den 31. August 2020; nach Ansicht der Arbeitgeberin war dies der frühestmögliche Kündigungstermin. Am 22. April 2020 erhielt der Arbeitnehmer eine Abmahnung zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund. Und nur einige Tage später, am 30. April 2020, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer «per sofort aus wichtigem Grund». Die Arbeitgeberin unterstellte dem Arbeitnehmer, er hätte ihr 100% seiner Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen und sie habe bis April 2020 keine Kenntnis von seiner Nebentätigkeit gehabt.

In der Folge entstand zwischen den Parteien eine Auseinandersetzung über die Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung und deren Folgen sowie den frühestmöglichen ordentlichen Kündigungstermin.

Am 19. Juni 2020 reichte der Arbeitnehmer beim Kantonsgericht Zug Klage ein. Er verlangte, die Arbeitgeberin sei zu verpflichten, ihm das Gehalt April 2020 bis März 2021, eine Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR und Beiträge für die berufliche Vorsorgeversicherung, alles nebst Zins, zu bezahlen. Die Arbeitgeberin erhob Widerklage und forderte ihrerseits einen Betrag (zu Unrecht bezogener Ferienlohn) vom Arbeitnehmer.

In zweiten Schriftenwechsel reduzierte der Arbeitnehmer die eingeklagte Entschädigung und zog seine Klage betreffend die Vorsorgebeiträge zurück. Im Übrigen hielt er an seinen Begehren fest und beantragte, die Widerklage sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragte die Arbeitgeberin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.

Entscheid des Kantonsgerichts Zug

Mit Urteil vom 8. Juni 2022 verpflichtete das Kantonsgericht Zug die Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer Lohnersatz sowie eine Entschädigung, je nebst Zins, zu bezahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Weiter verpflichtete es den Arbeitnehmer, der Arbeitgeberin einen Betrag (Ferienabgeltung) nebst Zins zurückzubezahlen. Im Übrigen trat es auf die Widerklage nicht ein.

Das Kantonsgericht erwog, die fristlose Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die Arbeitgeberin schulde dem Arbeitnehmer daher den offenen Lohn für den Monat April und eine Entschädigung gemäss  Art. 337c Abs. 1 OR  für die Monate Mai bis August 2020 sowie eine Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR  in Höhe eines Monatslohns. Die Widerklage sei einzig hinsichtlich des vom Arbeitnehmer zu Unrecht bezogenen Ferienlohns gutzuheissen. Im Übrigen sei auf die Widerklage  – mangels hinreichender Substanziierung  – nicht einzutreten. Gegen diesen Entscheid erhob die Arbeitgeberin beim Obergericht des Kantons Zug Berufung. Der Arbeitnehmer erhob Anschlussberufung.  

Entscheid der Vorinstanz ­(Obergericht des Kantons Zug) 

Mit Urteil vom 9. Oktober 2023 hiess das Obergericht die Berufung der Arbeitgeberin teilweise gut und reduzierte die von der Erstinstanz zugesprochene Entschädigung für den Lohnausfall. Im Übrigen wies es die Berufung ab, soweit es darauf eintrat. Die Anschlussberufung des Arbeitnehmers wies es ab, soweit es darauf eintrat. Es bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid.

Aus den Erwägungen des ­Bundesgerichts

a) Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung 

Die Arbeitgeberin beanstandete vor Bundesgericht, dass die Vorinstanz die am 30. April 2020 ausgesprochene fristlose Entlassung nach Kündigung des Arbeitnehmers als nicht gerechtfertigt erachtet hatte. Das Bundesgericht hält fest, dass eine fristlose Kündigung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt ist. Die Gründe für eine fristlose Kündigung müssen einerseits objektiv geeignet sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und andererseits auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben (E. 5.1.3). Weiter führt das Bundesgericht aus, dass die Anforderungen an einen wichtigen Grund nach Art. 337 OR grundsätzlich erhöht sind, wenn der fristlosen Kündigung bereits eine ordentliche Kündigung vorausgegangen und damit das Ende des Arbeitsverhältnisses absehbar ist (E. 5.6.2).

b) Ausführungen zum konkreten Fall 

Das Bundesgericht führte aus, dass die Erstinstanz zutreffend zum Schluss gelangt sei, dass sich die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (ergebnisorientiert) aus dem für die Erfüllung der übernommenen Funktion erforderlichen Zeitaufwand ergebe. Zudem seien nicht konkurrenzierende Nebentätigkeiten im Vertrag weder ausgeschlossen noch als bewilligungspflichtig bezeichnet worden. Die Erstinstanz habe auch zutreffend erwogen, dass die Arbeitgeberin nicht substanziiert genug behauptet habe, inwiefern der Arbeitnehmer überhaupt einer konkurrierenden Tätigkeit nachging. Zudem habe die Erstinstanz zu Recht angenommen, die anderen Verwaltungsräte der Arbeitgeberin hätten von den Nebentätigkeiten des Arbeitnehmers gewusst und dieses Wissen müsse der Arbeitgeberin angerechnet werden. Deshalb könne angenommen werden, die Arbeitgeberin sei mit den Nebentätigkeiten einverstanden gewesen.

Die Arbeitgeberin machte ferner geltend, die fristlose Kündigung sei schon deshalb gerechtfertigt gewesen, weil der Arbeitnehmer die Arbeit verweigert hatte, den ihm erteilten Weisungen widersprochen und die verlangten Arbeitserzeugnisse nicht geliefert hatte. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Arbeitgeberin ausser Acht lasse, dass die das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer wegen Unzufriedenheit mit dessen Leistungen bereits am 26. Februar 2020 ordentlich gekündigt hatte. Auch habe sie die wechselnden Aufgaben und Pflichten des Arbeitnehmers nicht genügend dargelegt. Die Arbeitgeberin konnte gemäss Bundesgericht nicht darlegen, dass der Arbeitnehmer seine Aufgaben nicht erledigte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass mit der Abmahnung vielmehr ein Weg gesucht wurde, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer möglichst schnell zu beenden. Dies gelte umso mehr, als zwischen der Abmahnung und der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nur fünf Tage lagen.

Die Arbeitgeberin führte zudem aus, dass die Weigerung des Arbeitnehmers, die veranlasste Abgeltung von Ferienansprüchen zurückzubezahlen, ebenfalls zu einer Abmahnung geführt habe. Die Weigerung des Arbeitnehmers, die Rückzahlung zu tätigen, sei ebenfalls ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung nach Kündigung gewesen. Da die Arbeitgeberin nicht darlegen konnte, seit wann sie von diesem Vorfall Kenntnis hatte (das Ereignis hatte bereits im Oktober 2019 stattgefunden), erschien auch diese Argumentation der Arbeitgeberin nicht stichhaltig. Die Arbeitgeberin habe insbesondere den Nachweis nicht erbracht, dass diesbezüglich die ausserordentliche Kündigung fristgerecht erfolgt.

Das Bundesgericht gelange zusammenfassend zum Schluss, die von der Arbeitgeberin am 30. April 2020 ausgesprochene fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt gewesen (E. 5.4.2), weil die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung im konkreten Fall nicht erfüllt waren. Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde daher abgewiesen, soweit das Bundesgericht überhaupt darauf eintrat.

Fristlose Entlassung nach Kündigung: Empfehlungen für die Praxis 

Die fristlose Entlassung nach Kündigung bedarf eines wichtigen Grunds, welcher dazu führt, dass die Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar ist. Die Anforderungen an einen solchen wichtigen Grund sind in der Praxis hoch. Zudem ist jeder einzelne Fall eigenständig zu beurteilen. Die hohen Hürden für eine fristlose Kündigung werden noch höher, wenn bereits eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde und das Ende des Arbeitsverhältnisses bereits in Sicht ist. In diesem Fall muss die kündigende Partei (oftmals die Arbeitgeberin) substanziiert darlegen, warum nach der ordentlichen Kündigung noch eine fristlose nötig ist. Dies dürfte in der Praxis sehr oft schwierig sein, weshalb die Arbeitgeber sich sehr gut überlegen sollten, ob man noch eine fristlose Kündigung aussprechen möchte. Je kürzer die Kündigungsfrist, also je absehbarer das Ende des Arbeitsverhältnisses ist, desto schwieriger dürfte es sein, eine fristlose Kündigung nach ordentlicher Kündigung zu rechtfertigen. Es ist daher eher zur Vorsicht geraten. Die Arbeitgeberin soll sich gut überlegen, ob das Auslaufen des Vertrags nicht sinnvoller ist, als einen Rechtsstreit, der Jahre dauern kann, zu führen und für eine lange Zeit in einer Unsicherheit zu leben.

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