Ambidextrie: Beidhändigkeit als Kompetenz erkennen und fördern
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Die Arbeitswelt ist immer wieder Trends ausgesetzt. Agile Arbeitsformen waren in den letzten Jahren sehr präsent und sind es noch immer. Diese nur als eine vorübergehende Phase zu bezeichnen, wäre entsprechend sicher nicht zutreffend. In unserer Zeit, in der die digitale Transformation in Unternehmen allgegenwärtig ist, haben agile Methoden ihren festen Platz gefunden, um beispielsweise Digitalisierungsprojekte und allgemein Innovationen voranzutreiben und dabei interdisziplinäre Vorhaben flexibler zu gestalten.
Gleichwohl macht sich auch Ernüchterung breit. Agilität ist per se kein Erfolgsrezept und auch nicht in allen Situationen zielführend. Während manche Organisationen und Teams mit agilen Methoden erfolgreich unterwegs sind, hakt es insbesondere bei mittleren und grossen Unternehmen. Die Kosten laufen aus dem Ruder oder es entstehen am Ende Produkte, die zwar innovativ sind, aber gar nicht zur übergeordneten Strategie passen. Die Schnittstellen zwischen den agil und konventionell arbeitenden Abteilungen funktionieren nicht. Die Herausforderung in der Arbeitswelt 4.0 besteht darin, sich gleichzeitig in einer «komplizierten» Welt, bei der es um Optimierung, Stabilisierung und Verbesserung geht, und in einer «komplexen» Welt, die von Flexibilität, Innovation und Entdecken geprägt ist, zu bewegen. Beidhändiges Führen – Ambidextrie – heisst hier das Zauberwort.
Beidhändiges Führen (Ambidextrie)
Was bedeutet beidhändiges Führen genau? Den Begriff Ambidextrie gibt es bereits seit den 70er-Jahren. Er bezeichnet die Fähigkeit von Unternehmen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein, so als ob man die linke und die rechte Hand gleichwertig einsetzen könnte. Dank Ambidextrie können sich Unternehmen sowohl erfolgreich auf ihr Kerngeschäft als auch auf Innovation und Veränderung konzentrieren, um in der dynamischen und zunehmend komplexen Arbeitswelt 4.0 nachhaltig erfolgreich zu sein. Die konkrete Umsetzung kann dabei verschiedene Formen annehmen:
- Bei der strukturellen Ambidextrie existieren agile und konventionelle Bereiche getrennt voneinander. Während einzelne Organisationseinheiten agil, experimentell und autonom funktionieren, stellen andere das Tagesgeschäft sicher, arbeiten vorwiegend konventionell und optimieren ihre Effizienz laufend.
- Bei der zeitlichen Ambidextrie wechseln sich Phasen, in denen die Innovation im Vordergrund steht und Bestehendes verändert wird, mit Phasen der Konsolidierung und der effizienten Umsetzung von Prozessen ab.
- Bei der kontextuellen Ambidextrie wird die Vorgehensweise situativ je nach Aufgabe gesteuert. Ein bekanntes Beispiel war die 80/20-Regel von Google: Mitarbeitende sollten sich zu 20% ihrer Arbeitszeit mit innovativen Themen beschäftigen, die nichts mit dem eigentlichen Tagesgeschäft zu tun haben.
Kernanforderungen an «beidhändige» Führungskräfte:
- Agilität ist im Mindset verankert (und nicht nur als Methode)
- Lernbereitschaft, Reflexionsfähigkeit, Aufgeschlossenheit gegenüber verschiedenen Vorgehensweisen
- Breit veranlagte Persönlichkeiten
- Hohe Varianz im Führungsrepertoire: Können sowohl bestimmt und direktiv als auch agil und kooperativ führen
Unabhängig davon, welche Form der Ambidextrie in einem Unternehmen angewendet wird, besteht die Herausforderung für das Individuum darin, sich zumindest in einem gewissen Masse in beiden Welten bewegen und unterschiedliche Steuerungsparadigmen und Arbeitsweisen anwenden zu können. Dies gilt insbesondere für Mitarbeitende, die an Schnittstellen arbeiten, sowie für Führungskräfte des mittleren und oberen Managements.
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Was bedeutet dies für HR?
Für das HR gibt es entsprechend neue Herausforderungen: Einerseits gilt es, Funktionen in denen Beidhändigkeit gefordert ist, zu erkennen und passend zu besetzen. Andererseits besteht eine neue grosse Aufgabe der Personalentwicklung darin, Mitarbeitende und Führungskräfte so zu beraten und zu begleiten, dass sie zumindest das Verständnis für die jeweils andere Welt entwickeln und die Zusammenarbeit produktiv gestalten können. Hier machen aus unserer Sicht insbesondere Gruppenformate wie Teamentwicklungen und Development Center Sinn, in denen die Zusammenarbeit direkt reflektiert und in neuer Form ausprobiert werden kann.
Was heisst das für die Führungskräfte?
Insbesondere die Anforderungen an Führungskräfte sind nochmals deutlich gestiegen. Es gilt nicht nur, sich in beiden Welten versiert zu bewegen, sondern auch flexibel und situationsadäquat zwischen den beiden Polen hin und her zu wechseln. Zentral sind hierbei der agile Mindset als Grundbasis sowie die Offenheit, den starren Einsatz agiler Methoden kritisch zu hinterfragen und bei Bedarf auf bewährte, klassische Managementmethoden zurückzugreifen. In der Praxis stellen wir fest, dass wenig Führungskräfte Ambidextrie beherrschen. Um den genannten Anforderungen gerecht zu werden, sind reflektierte, lernbereite und aufgeschlossene Persönlichkeiten gefragt, die eher breit veranlagt sind. Sie haben ein grosses Führungsrepertoire; so gelingt es ihnen zum einen, bestimmt die Steuerung zu übernehmen und Orientierung zu geben. Zum anderen bringen sie die Bereitschaft mit, ihre «Macht» abzugeben und die Lösungsentwicklung kooperativ zu gestalten.