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Konzerninterne Finanzierung: Bundesgerichtsentscheid vom 16. Oktober 2014

Im Zusammenhang mit Darlehen, die Anteilseignern im Rahmen einer Liquiditätsbündelung (Cash Pool) gewährt werden, hat das Schweizerische Bundesgericht im Utreil 4A_138/2014 vom 16. Oktober 2014 erstmals festgestellt, dass das eingezahlte Kapital, das über den Nennwert der Aktien hinausgeht (Agio), als Teil der gesetzlichen allgemeinen Reserve zu behandeln und daher ausschüttungsfähig ist, soweit die allgemeine Reserve dadurch nicht die Hälfte des Aktienkapitals unterschreitet. Obwohl das Urteil bereits 2014 gefällt wurde, wird noch immer darauf referenziert und zugegriffen.

23.08.2022 Von: Oliver Everts, Eva Hersberger, Thomas Nabholz, Urs Wolf
Konzerninterne Finanzierung

Weitere Folgen

Ferner hat das Bundesgericht entschieden, dass konzerninterne Darlehen von Tochter- an Muttergesellschaften oder Schwestergesellschaften, die nicht zu Marktbedingungen gewährt werden, dazu führen, dass freies Eigenkapital, das sonst für Dividendenausschüttungen verwendet werden könnte, im Umfang des ausgerichteten Darlehensbetrags gesperrt werden muss.

Zugrundeliegender Sachverhalt

In seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 äusserte sich das Bundesgericht zur aktienrechtlichen Behandlung von physischen Cash-Pool-Einlagen. Es ging dabei um die schweizerische Konzerngesellschaft B AG innerhalb des Swissair-Konzerns, die per 31.12.2000 eine Cash-Pool-Forderung von CHF 16.5 Mio. gegenüber ihrer niederländischen Schwestergesellschaft (Pool-Leaderin) sowie ein kurzfristiges Aktivdarlehen von CHF 7.2 Mio. gegenüber der Konzernmutter auswies. Ihr Eigenkapital bestand aus Aktienkapital von CHF 2.50 Mio. und offenen Reserven von CHF 32.85 Mio. Für das Geschäftsjahr 2000 beschloss die Generalversammlung der B AG eine Dividende von CHF 28.50 Mio., die im Juni 2001 ausbezahlt wurde.

Rechtliche Würdigung

Problem  

Konzerngesellschaften ist es gestattet, untereinander Geschäfte zu tätigen. Dazu gehört grundsätzlich auch die Gewährung von Darlehen. Bei Darlehen von Mutter- an Tochtergesellschaften (downstream) erfolgt diese Art der Finanzierung in der Regel in Form von Kapitaleinlagen. Bei Zahlungen von Tochter- an Muttergesellschaften (upstream) handelt es sich meist um Dividendenausschüttungen. Um Gesellschaften gegen eine ungerechtfertigte Entnahme von Eigenkapital durch die Aktionäre zu schützen, sind (Dividenden-) Ausschüttungen nur unter strengen formalen und materiellrechtlichen Voraussetzungen zulässig.  

Dabei ist zu beachten, dass Darlehen an Schwestergesellschaften derselben Mutter (cross-stream) wie Darlehen an die Muttergesellschaft selbst behandelt werden, da die Aktionäre auch hier einen Vermögensvorteil aus den von ihnen kontrollierten Konzerngesellschaften erlangen.  

Sperrung von freiem Eigenkapital durch die Gewährung von als Ausschüttung geltenden konzerninternen Darlehen  

Bei konzerninternen Darlehen an Mutter oder Schwestergesellschaften (upstream bzw. cross-stream), die im Lichte des Verbots der Einlagenrückgewähr zu bewerten sind, verweisen das Schweizerische Bundesgericht wie auch die herrschende Lehrmeinung auf den Drittvergleichsgrundsatz. Demnach sind Aktionärsdarlehen, die nicht aus dem freien Eigenkapital ausgerichtet werden, zu denselben Bedingungen zu gewähren, die auch für unabhängige Dritte gelten würden. Ist dies nicht der Fall, so gilt das Darlehen – zumindest nach der (nicht unstrittigen) Auffassung des Schweizerischen Bundesgerichts – als Scheingeschäft im Sinne einer verdeckten Gewinnausschüttung, die zur Sperrung des für Dividendenausschüttungen zur Verfügung stehenden freien Eigenkapitals im Umfang des betreffenden Darlehens führt. Deshalb habe im vorliegenden Fall, so das Bundesgericht, der Betrag von CHF 23.7 Mio. nicht mehr für eine Ausschüttung zur Verfügung gestanden. Der massgebliche Zeitpunkt zur Bemessung der ausschüttbaren Mittel ist dabei gemäss Bundesgericht der Bilanzstichtag (und nicht etwa der Ausschüttungszeitpunkt).  

Agio für Dividendenzahlungen verwendbar  

In seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 bestätigt das Schweizerische Bundesgericht die herrschende Lehrmeinung, wonach das Agio als Teil der allgemeinen Reserve zu behandeln ist, die keines besonderen Schutzes bedarf und daher für Dividendenausschüttungen verwendet werden darf. Das Agio ist von Gesetzes wegen direkt der allgemeinen Reserve zuzuweisen, ohne dass dafür ein zusätzlicher Beschluss der Generalversammlung erforderlich ist. Dies entspricht auch der Vorgehensweise der Steuerbehörden in der Praxis, die seit Einführung des Kapitaleinlageprinzips das Agio als Teil der allgemein verfügbaren Reserve behandeln.

Schlussfolgerung aus aktienrechtlicher Sicht  

Aufgrund der obenstehend beschriebenen Finanzlage hätte die Dividende der BAG lediglich CHF 7.95 Mio. betragen dürfen (CHF 32.85 Mio. offene Reserven abzüglich CHF 1.25 Mio. gebundene Reserven abzüglich CHF 23.65 Mio. gesperrte Reserven infolge Konzerndarlehen).

Das Schweizerische Bundesgerichts hat zwar darauf hingewiesen, dass es «bereits im Ansatz fragwürdig» sei, ob eine Beteiligung an einem Cash Pool, bei der die Teilnehmerin frei über die Liquidität verfüge, überhaupt einem Drittvergleich standhalte. Dann jedoch hat das Bundesgericht darauf verzichtet, diese Frage weiter zu vertiefen. Im Zusammenhang mit dem Drittvergleich sind mehrere Faktoren relevant, so unter anderem ein Zinssatz in ausreichender Höhe. Wichtig ist diesbezüglich, dass die Zinssätze, die jedes Jahr von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) in Bezug auf verbundene Personen veröffentlicht werden, für den Drittvergleich im Hinblick auf gesperrte Reserven nicht unbedingt ausschlaggebend sind.    

Empfehlungen für die konzerninterne Finanzierung  

Cash Pools und Darlehen an Schwester- oder Muttergesellschaften sind sorgfältig zu evaluieren. Besonders wenn die Darlehen das freie Eigenkapital des Darlehensgebers übersteigen, sollten zusätzliche Sicherheiten gestellt werden, wobei es ratsam ist, die Finanzlage der beteiligten Gesellschaften adäquat zu überwachen. Abhängig von den Umständen ist eine Reduzierung der Darlehensbeträge in Betracht zu ziehen, insofern sie das freie Eigenkapital übersteigen.

Konsequenzen für die Steuerpraxis? 

Dem Bundesgericht erscheint es in seinem Urteil im Lichte einer angemessenen Risikoverteilung (Klumpenrisiko) unwahrscheinlich, dass ein Zero Balancing Cash Pool selbst ohne Dividendenbeschluss jemals als marktüblich bezeichnet werden könnte. Damit stellt das ergangene Urteil die Teilnahme einer Schweizer Konzerngesellschaft an up-stream und cross-stream Cash Poolings, insbesondere an einem Zero Balancing Cash Pool, in Frage, woraus sich die steuerrechtliche Frage ergibt, ob nun jedes aufgrund von physischem Cash Pooling festgesetzte Darlehen als verdeckte Gewinnausschüttung zu werten ist. Dies hätte eine Reihe steuerlicher Konsequenzen bei der Gewährung des Darlehens (Verrechnungssteuer auf dem Darlehensbetrag, steuerbarer Ertrag beim Cash-Pool-Leader, Minusreserve im steuerbaren Eigenkapital des Gläubigers), bei dessen Rückzahlung (verdeckte Kapitaleinlage) sowie bei den Zinszahlungen (ebenfalls verdeckte Kapitaleinlagen). Unseres Erachtens ist ein pauschaler steuerlicher Eingriff aus nachstehenden Gründen klar abzulehnen. 

Varianten des Cash Poolings

Ziel des Cash Poolings im Konzern ist die Nutzung von Zinsvorteilen im Konzern, indem die Liquiditätsbestände möglichst aller Gruppengesellschaften beim Cash-Pool-Leader täglich zusammengeführt werden. Dadurch werden einerseits Sollzinsen vermieden, andererseits können durch eine zentralisierte Kreditaufnahme durch Skaleneffekte günstigere Darlehenskonditionen erzielt werden. In der Praxis werden dabei physisches (sprich mit physischem Saldoübertrag der Gesamtliquidität [Zero Balancing] oder bis zu einem festgelegten Grenzbetrag [Conditional Balancing]) und virtuelles (Notional Cash Pooling, durch den Finanzintermediär angebotene virtuelle banktägliche Verrechnung von Guthaben und Ausständen) Cash Pooling unterschieden. In der Praxis wird das physische Cash Pooling, auch aufgrund regulatorischer Restriktionen, wesentlich häufiger eingesetzt. Dem ergangenen Urteil liegt ein physisches Zero Balancing Cash Pooling zugrunde.  

Verrechnungspreisgrundsätze der OECD

Die Schweiz folgt grundsätzlich der Verrechnungspreisleitlinie für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen der OECD («OECD TP Richtlinie»). Diese hält explizit fest, dass «verbundene Unternehmen Geschäftsbeziehungen eingehen können, die unabhängige Unternehmen nicht eingehen würden. Derartige Geschäftsbeziehungen [...] können deshalb erfolgen, weil Unternehmen eines multinationalen Konzerns in ihren gegenseitigen Geschäftsvorfällen andere kaufmännische Umstände vorfinden als unabhängige Unternehmen. [...] Die alleinige Tatsache, dass ein Geschäftsvorfall zwischen unabhängigen Unternehmen nicht gefunden werden kann, bedeutet für sich allein noch nicht, dass dieser nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.» Soweit die Konditionen von Cash-Pool-Einlagen, insbesondere bezüglich Fristigkeit und Zinsen, marktgerecht sind und der Cash-Pool-Teilnehmer nicht daran zweifeln muss, dass der Cash-Pool-Leader fähig und willens ist, die Einlage zurückzuzahlen, darf die Einlage als «at arm’s length» gelten.  

Steuerpraxis zu verdeckten Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit Darlehen  

Nach geltender Praxis zum schweizerischen Steuerrecht liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung dann vor, wenn folgende Bedingungen kumulativ erfüllt sind:  

  • Eine Leistung ohne gleichwertige Gegenleistung, was zu einer Entreicherung der Gesellschaft führt;  
  • Rechtsgrund im Beteiligungsverhältnis: Leistung wäre unter gleichen Verhältnissen einem unbeteiligten Dritten nicht erbracht worden;  
  • Das Missverhältnis muss für die Organe der Gesellschaft erkennbar gewesen sein.  

Im Zusammenhang mit Darlehen an nahestehende Personen wurde diese Praxis unter dem Titel des «simulierten Darlehens» konkretisiert. Ein solches liegt vor, wenn aufgrund von Indizien wie fehlender Bonität des Schuldners, eingegangenen Klumpenrisikos, fehlenden schriftlichen   Vertrags, fehlenden Rückzahlungswillens etc. ein unabhängiger Dritter ein solches Darlehen nicht gewährt hätte und eine Rückzahlung von vornherein unmöglich oder nicht beabsichtigt war.  

Bei Cash-Pool-Einlagen darf der Teilnehmer unter normalen Umständen eine vollständige Rückzahlung erwarten, so dass die betreffende Forderung aktiviert und ihre Werthaltigkeit durch die Revisionsstelle bestätigt werden kann. In diesem Regelfall liegt mithin keine Entreicherung vor, die Anlass gäbe für eine steuerliche Abrechnung über eine verdeckte Gewinnausschüttung. Die Zinskonditionen werden in Cash Pools regelmässig so ausgestaltet, dass sie für die Teilnehmer attraktiver sind als im Verhältnis mit einer unabhängigen Bank. Damit gibt es auch aus Sicht der einzelnen Konzerngesellschaft wirtschaftliche Gründe, am Cash Pool teilzunehmen.  

Schlussfolgerung aus steuerrechtlicher Sicht  

Der Bundesgerichtsentscheid zur kapitalschutzrechtlichen Behandlung von Cash-Pool-Einlagen gibt u.E. keinen Anlass, solche Einlagen steuerlich pauschal als verdeckte Gewinnausschüttung zu betrachten. Den bilanzsteuerrechtlichen Grundsätzen und der langjährigen Praxis betreffend Darlehen an nahestehende Personen ist unverändert zu folgen. Es ist jedoch angezeigt, die Drittüblichkeit der betroffenen Darlehen fundiert zu dokumentieren. Inwiefern sich die steuerrechtliche Praxis diesbezüglich weiterentwickelt, wird sich freilich weisen müssen.  

Quelle: Dieser Beitrag stammt aus der Tax-News, Ernst & Young AG, Ausgabe Frühling 2015.

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