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Frühaufklärung: Zukünftige Chancen und Risiken erkennen

Frühaufklärungssysteme können eine wichtige Rolle bei der frühzeitigen Erkennung und Überwachung potenzieller Bedrohungen spielen. Die frühzeitige Erkennung von Bedrohungen ermöglicht, Gefahren und Risiken rechtzeitig zu identifizieren und angemessene Massnahmen zu ergreifen.

20.06.2023 Von: Prof. Dr. Thomas Rautenstrauch
Frühaufklärung

Problemstellung und Abgrenzung

Vielfach ist die operative Verantwortung für die Lageberichterstattung bei den Jahresabschlussverantwortlichen angesiedelt, damit auch durch ihre primär finanzwirtschaftliche Sichtweise geprägt.

Hinsichtlich der Relevanz der genannten Risiken wurde folgende Skalierung vorgenommen:

Relevanz

Risiko ist …

 

Verteilung

1

unbedeutend

 

0,0 %

2

mittelmässig

Spürbare Beeinträchtigung des Jahresüberschusses

5,8 %

3

bedeutend

Starke Beeinträchtigung des Jahresüberschusses/spürbare Reduzierung des Unternehmenswertes

89,1 %

4

schwerwiegend

Kann zu Jahresfehlbetrag führen und Unternehmenswert erheblich reduzieren

4,7 %

5

bestandsgefährdend

Gefährdet mit wesentlicher Wahrscheinlichkeit den Fortbestand des Unternehmens

0,4 %

 

Frühaufklärung, Risikofrühaufklärung und Risikomanagement

Die Unsicherheit künftiger Entwicklungen bedeutet für jede unternehmerische Tätigkeit Chancen und Risiken. Eine Chance verweist auf eine positive künftige Entwicklung des Unternehmens, während unter einem Risiko umgekehrt die Möglichkeit einer negativen künftigen Entwicklung gesehen wird. Etwas präziser können Chancen und Risiken auch als mögliche positive oder negative Abweichungen von einem erwarteten Wert (z.B. Umsatz, Jahresergebnis) gefasst werden. Der Zweck eines Frühaufklärungssystems besteht darin, möglichst mit einem zeitlichen Vorlauf solche Chancen und Risiken wahrnehmbar zu machen. Die entsprechenden Informationen reichen dabei von noch wenig strukturierten, interpretationsfähigen «schwachen Signalen» bis hin zu den eigentlich von jedermann klar erkennbaren «harten» Bilanzinformationen.

Unter dem Aspekt der Frühaufklärung interessiert weniger die Chancenseite, sondern besonders die Risikofrühaufklärung spielt eine bedeutende Rolle. Dies hängt mit den Erfahrungen vieler Kapitalgeber bei spektakulären Unternehmenszusammenbrüchen zusammen und hat auch seine Ursache in den Intentionen des Gesetzgebers zum Schutz einer breiten Öffentlichkeit («Stakeholder»). So ist nach aktienrechtlichem Verständnis das Ziel der Risikofrühaufklärung die systematische Erfassung und Analyse bestandsgefährdender Risiken eines Unternehmens. Bestandsgefährdende Risiken sind Risiken, die zu einer nachhaltigen Verschlechterung in der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens führen und bei ihrem Auftreten den Fortbestand eines Unternehmens gefährden. Die für eine fortlaufende systematische Erfassung und Analyse erforderlichen (auch organisatorischen) Massnahmen bilden das Risikofrühaufklärungssystem.

Die Risikofrühaufklärung ist klar vom Risikomanagement und von einem Risikomanagementsystem abzugrenzen. Risikomanagement ist weitergehender als die Risikofrühaufklärung; die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Massnahmen zur Risikoerkennung und zum Umgang mit den Risiken unternehmerischer Betätigung wird als Risikomanagement bezeichnet. Risikomanagement dient dazu, «Risiken bewusst und zielorientiert einzugehen und die eingegangenen Risiken zu kontrollieren, zu steuern und zu limitieren.»1) Die Risikofrühaufklärung ist somit unabdingbare Voraussetzung für ein effektives Risikomanagement. Hierzu folgendes Beispiel: Ein Unternehmen ist als Finanzdienstleister in seiner Entwicklung stark von den gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich der Renten- und Krankenversicherungen einschliesslich der jeweiligen staatlichen steuerlichen Förderungen abhängig, weil hierdurch die Absicherungsbedürfnisse der Kunden und das Nachfrageverhalten nach Produkten erheblich beeinflusst werden. Ein solches Unternehmen wird die gesetzlichen/politischen Rahmenbedingungen seiner relevanten Märkte als wesentliches Risiko (oder aus unternehmerischer Sicht auch als Chance) begreifen und Massnahmen einleiten, um Veränderungen im politischen Umfeld frühzeitig, d.h. bereits bei Einleitung von Gesetzesvorhaben zu erkennen und an die Entscheidungsträger des Unternehmens zu kommunizieren. An dieser Stelle ist die Frühaufklärung abgeschlossen. Der Umgang mit dem Risiko (der Chance) ist bereits Bestandteil des Risikomanagements.

Die Ergebnisse der Frühaufklärung sollten in eine wirksame Risikoerkennung und -analyse einmünden. Ein wichtiges Instrument hierzu ist die Risikomatrix in Abb. 1. Mit ihr wird üblicherweise bei der Risikoanalyse in einem ersten Schritt eine Risikoinventur durchgeführt, um die Risiken des spezifischen Unternehmens vor dem Hintergrund seines Geschäftsmodells undifferenziert zu erheben und zu katalogisieren. In einem nächsten Schritt erfolgt dann die zweidimensionale Kategorisierung im Hinblick auf Eintrittswahrscheinlichkeit und Tragweite des Risikos (Risikoausprägung). Die Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten basiert in der Regel nicht auf quantitativen oder empirischen Methoden und ist in Teilbereichen von einer gewissen Subjektivität geprägt. Die Bestimmung der Tragweite eines Risikos ist grundsätzlich monetär ausgerichtet und soll die potentiellen Verlustmöglichkeiten im Falle des Eintritts eines Risikos beziffern.

Abb. 1: Risikomatrix

In der Kombination aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoausprägung wird eine Vielzahl der erhobenen Risiken von untergeordneter Bedeutung sein, weil sie einerseits zwar von einem hohen potentiellen Schadensvolumen gekennzeichnet sind, andererseits aber nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten werden und umgekehrt. Derartigen Risiken wird im Rahmen des nachgelagerten Risikomanagements in der Regel keine Bedeutung beigemessen. Es gilt aber zu beachten, dass sich bei der gebündelten Betrachtung einzelner Risiken in ihrer Gesamtheit ein anderer Schluss als bei einer isolierten Betrachtung ergeben könnte, weil Risiken kumulativ oder komplementär wirken. Auch kann im Zeitablauf eine – auch massive – Verschiebung der Kategorisierung eintreten, so dass die Bestimmung der Risikoausprägung und der Eintrittswahrscheinlichkeit regelmässig zu überdenken ist. Gerade vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren gewachsenen Terrorgefahr ist die Gefährdung in diesem Bereich im Einzelfall u.U. erheblich gewachsen – mit in der Regel erheblichen Verlustrisiken.

Von besonderer Wichtigkeit im Rahmen der Risikofrühaufklärung sind jedoch die Risiken mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit und erheblichem Schadensvolumen. Die Kombination von hoher Eintrittswahrscheinlichkeit und umfangreichem Schadensvolumen kann bereits den Bereich der Existenz- oder Bestandsgefährdung eines Unternehmens definieren.

Rechtliche Aspekte zur Frühaufklärung

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Risikofrüherkennung sind in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern gesamthaft gesehen moderat. Mit Ausnahme von Banken und Versicherungen, die durch die Schweizer Finanzmarktaufsicht (FINMA) reguliert werden, bestehen ansonsten wenige Vorschriften oder Richtlinien, die eine Risikofrüherkennung betreffen. Erst seit der Änderung des Obligationenrechts in 2008 müssen interne Kontrollsysteme (IKS) in grösseren Unternehmen auf ihre Existenz hin überprüft werden (Art. 728a OR). Ein Riskmanagement wird den Unternehmen hingegen nicht durch das OR vorgeschrieben, sondern lediglich die Informationspflicht über die Durchführung einer Risikobeurteilung im Lagebericht (Art. 961c Abs. 2 Ziff. 2 OR).

Die gesetzliche Regelung ist von der Rechtsform unabhängig und gilt für Unternehmen oder rechtliche Einheiten, die der ordentlichen Revision unterliegen. Der Schweizer Gesetzgeber verpflichtet die grösseren Unternehmen im Sinne von Publikumsgesellschaften und volkswirtschaftlich bedeutenden Unternehmen die Risiken im Geschäftsumfeld regelmässig zu beobachten und zu analysieren, um den Schutz öffentlicher Interessen zu gewährleisten.

Externe Berichterstattung

Die Berichterstattung über die Risikolage der Unternehmen ist in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Während eine umfangreiche und teilweise auch nur theoretische Risiken erfassende Berichterstattung, in der breiten Öffentlichkeit gleichwohl aber nur einer eingeschränkten Wahrnehmung unterliegt, insbesondere im Kapitalmarktumfeld bei der Beschreibung zukünftiger Risiken im Rahmen der Prospektierung von Eigen- oder Fremdkapitalinstrumenten (d.h. Aktien bzw. Schuldtiteln) seit vielen Jahren gängig, hat die Erweiterung der Berichterstattung in Jahresabschluss und Lagebericht um eine Risikoberichterstattung erst in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen.

Im Zuge der externen Berichterstattung sind Unternehmen verpflichtet, im Lagebericht auf die voraussichtliche Entwicklung einschliesslich ihrer wesentlichen Chancen und Risiken einzugehen. Ergänzend wurden mit der neusten Änderung weiterführende Angaben zu Risiken aus Finanzinstrumenten erforderlich; hierzu ist explizit auf die Risikomanagementziele und -methoden, Preisänderungs-, Ausfall-, Liquiditäts- und Cashflow-Risiken einzugehen, soweit sie für die Beurteilung der Lage oder der voraussichtlichen Entwicklung von Belang sind.

Die Risikoberichterstattung soll den externen Adressaten des Jahresabschlusses und Lageberichtes entscheidungsrelevante («decision useful») und verlässliche («reliable») Informationen zur Verfügung stellen, um ihnen ein zutreffendes Bild über die Risiken der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens zu verschaffen. Der Adressaten- und Interessentenkreis umfasst Banken, Anteilseigner und Mitarbeiter, darüber hinaus Wettbewerber, Lieferanten und Kunden, im Kapitalmarktumfeld zudem auch Analysten und Investoren und ist damit sehr breit gefächert. Um so mehr sind Unternehmen in dem Konflikt gefangen, einerseits notwendige Informationen bereitstellen zu müssen, andererseits aber auch Grenzen der Berichterstattung aus einem Schutzbedürfnis gegenüber dem Unternehmen ziehen zu wollen.

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