Krankheitsbedingte Abwesenheit: Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz im Fokus

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Obschon ein praktisch häufiges Phänomen, enthält das Schweizer Arbeitsrecht keine gesetzliche Definition der Krankheit des Arbeitnehmers und regelt nur einzelne Aspekte ausdrücklich im Obligationenrecht (OR) und im Arbeitsgesetz (ArG).
Krank heisst nicht immer gleich arbeitsunfähig
Die gesetzlichen Bestimmungen knüpfen nicht direkt an die Krankheit als medizinische Diagnose an, sondern vielmehr an die Arbeitsunfähigkeit: Ist es einem Arbeitnehmer zufolge Krankheit unmöglich oder unzumutbar, seine Arbeit zu verrichten, ist er arbeitsunfähig und darf der Arbeit fernbleiben (vgl. etwa Art. 324a Abs. 1 OR). Dabei wird krankheitsbedingte Abwesenheit im Einzelfall nach Art der Tätigkeit zu beurteilen: So kann ein Fitnessinstruktor etwa wegen eines Rückenleidens gegebenenfalls nicht arbeiten, während dieselbe Krankheit für eine Buchhalterin unter Umständen keine oder zumindest keine vollständige Arbeitsunfähigkeit bedeutet.
Arztzeugnis – Beweis der Arbeitsunfähigkeit
Der Beweis der Arbeitsunfähigkeit obliegt dem Arbeitnehmer. Typischerweise legt er dazu in der Praxis ein Arztzeugnis vor, das Umfang und Dauer der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Während das Gesetz keine Regeln zum Arztzeugnis enthält, sehen viele Arbeitsverträge oder Personalreglemente vor, dass ab dem dritten Tag der Abwesenheit ein Arbeitszeugnis vorzuweisen ist.
Lohnanspruch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Ist ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt an der Arbeitsleistung verhindert, hat er während einer beschränkten Zeit Anspruch auf Lohn, obwohl er seinerseits die Gegenleistung dafür, die geschuldete Arbeit, nicht erbringt (Art. 324a OR).
Dieser sogenannte Lohnfortzahlungsanspruch umfasst grundsätzlich den vollen Lohn und besteht, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Die Dauer der Lohnfortzahlung hängt von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab: Im ersten Dienstjahr beträgt sie drei Wochen, danach ist sie nach Gesetz «angemessen länger». In der Praxis haben sich drei Skalen entwickelt (Basler Skala, Berner Skala, Zürcher Skala), anhand derer die Gerichte den jeweils angemessenen Zeitraum abgestuft nach Dienstjahren bestimmen. Die Dauer der Lohnfortzahlung kann vertraglich verlängert, aber nicht verkürzt werden (Art. 324a Abs. 2 OR).
Der Lohnfortzahlungsanspruch entsteht mit jedem Dienstjahr neu und verfällt jeweils, soweit er nicht konsumiert wurde. An den jährlichen Anspruch sind alle Absenzen mit Lohnfortzahlungsfolge anzurechnen, d.h. auch mehrere gleichartige oder verschiedene Krankheiten im selben Dienstjahr. Ist das Lohnfortzahlungsguthaben in einem Dienstjahr aufgebraucht, der Arbeitnehmer aber weiterhin krank, muss er zwar nicht arbeiten, erhält aber auch keinen Lohn mehr. Der Fortzahlungsanspruch ist als Geld- und nicht als Zeitguthaben zu verstehen. Das bedeutet, dass sich der Anspruch bei einer Teilarbeitsunfähigkeit, wie sie in der Praxis häufig vorkommt, zeitlich verlängert. Wer also beispielsweise im ersten Dienstjahr zu 50% arbeitsunfähig ist, erhält den Lohn für die nicht geleistete 50-%-Arbeitstätigkeit nicht nur während dreier, sondern während sechs Wochen fortgezahlt.1
In der Praxis wird anstatt der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht in Arbeitsverträgen häufig der Abschluss einer Krankentaggeldversicherung vereinbart. Dies ist unter Art. 324a Abs. 4 OR zulässig und befreit die Arbeitgeberin von der Lohnfortzahlungspflicht, wenn die Vereinbarung schriftlich erfolgt und für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist. Die Gleichwertigkeit setzt gemäss Gerichtspraxis voraus, dass (a) maximal eine ein-bis dreitägige Wartefrist besteht, (b) der Taggeldanspruch mindestens während 720 Tagen innert 900 aufeinanderfolgender Tage ausgerichtet wird sowie (c) mindestens 80% des ausfallenden Lohns deckt und dass (d) der Arbeitnehmer maximal 50% der Versicherungsprämien zahlen muss.2
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Kündigung und Krankheit
Kündigt die Arbeitgeberin, während der Arbeitnehmer krank ist, kommt die Kündigung für diesen besonders ungelegen, denn wegen der Krankheit wird es ihm unter Umständen schwerfallen, auf das Ende der Kündigungsfrist eine neue Stelle zu finden. Deswegen sieht Art. 336c Abs. 1 lit. b OR einen zeitlich beschränkten Kündigungsschutz für kranke Arbeitnehmer vor: Einem durch krankheitsbedingte Abwesenheit ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmer darf während dieser sogenannten Sperrfrist nicht gekündigt werden. Im ersten Dienstjahr beträgt die Sperrfrist bei Krankheit 30 Tage, ab dem zweiten bis und mit dem fünften Dienstjahr 90 Tage und ab dem sechsten Dienstjahr 180 Tage. Keine Anwendung findet dieser Kündigungsschutz in der Probezeit und bei fristloser Kündigung.
Eine während einer Sperrfrist ausgesprochene Kündigung ist nichtig und muss, um Geltung zu erlangen, nach deren Ablauf wiederholt werden. Wird ein Arbeitnehmer hingegen erst krank, nachdem ihm gekündigt wurde, bleibt die Kündigung gültig, jedoch steht die Kündigungsfrist für die Dauer der Sperrfrist still (Art. 336c Abs. 2 OR).
Mit Blick auf den Dienstjahreswechsel und die Handhabung von mehreren Krankheitsfällen unterscheiden sich die Regeln zum Kündigungsschutz von jenen zur Lohnfortzahlung: So löst ein Dienstjahreswechsel keine neue Sperrfrist aus, allenfalls kommt jedoch bei einer Arbeitsverhinderung, die über einen Dienstjahreswechsel mit unterschiedlichen Sperrfristen andauert, die längere Sperrfrist, abzüglich der bereits im alten Dienstjahr abgelaufenen Tage, zur Anwendung.3 Wird ein Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist mehrere Male krank, ist zu unterscheiden: Während ein Rückfall in dieselbe Krankheit nicht zu einer neuen Sperrfrist führt, sondern lediglich allenfalls zur Fortführung einer bereits begonnenen (und noch nicht abgelaufenen), löst eine neue Krankheit eine neue (volle) Sperrfrist aus.4
Zur Veranschaulichung des Zusammenspiels von Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz bei Krankheit sei auf das Praxisbeispiel in der Box verwiesen.
Ferien und Krankheit
Während der Ferien krank zu werden, ist für Arbeitnehmende ärgerlich, denn dies beeinträchtigt den Erholungswert. Hat der Arbeitnehmer, der im Urlaub krank wird, Anspruch auf Nachgewährung der Ferientage? Das Gesetz enthält dazu keine Regeln. In der Gerichtspraxis ist jedoch anerkannt, dass eine krankheitsbedingte Abwesenheit, welche den Ferienzweck vereitelt, den Arbeitnehmer zum Nachbezug der Ferien berechtigt. Allerdings ist die so verstandene Ferienunfähigkeit nicht mit der Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen, sondern verlangt mehr.5 Ist eine Ferienunfähigkeit gegeben und damit der Arbeitnehmer zum Nachbezug berechtigt, entscheidet die Arbeitgeberin, wann die Ferien nachgewährt werden (vgl. Art. 329c Abs. 3OR).
Umgekehrt können lange krankheitsbedingte Absenzen dazu führen, dass die Arbeitgeberin berechtigt ist, den Ferienanspruch des Arbeitnehmers zu kürzen. Konkret ist nach einer Schonfrist von einem Monat eine Kürzung um 1/12 für jeden vollen Monat der Krankheit zulässig (vgl. Art. 329b Abs. 2 OR).
Krankheitsbedingte Abwesenheit: Gesetzliche und vertragliche Regeln sorgfältig anwenden
Die Krankheit eines Arbeitnehmers ist für diesen eine grosse Belastung, kann aber auch für die Arbeitgeberin sehr herausfordernd sein. Eine klare und ausgewogene vertragliche Regelung der Arbeitnehmerkrankheit, soweit dies das Gesetz zulässt, sowie fundierte Kenntnisse der gesetzlichen Ordnung helfen im Einzelfall bei einer juristisch korrekten und für Arbeitnehmer und Arbeitgeberin angemessenen Handhabung.
Fussnoten
1 Vgl. zum Ganzen etwa Portmann, W. & Rudolph, R. (2020). Kommentar zu Art. 324a OR, N. 17 f. Balser Kommentar Obligationenrecht I (7. Auflage). Basel: Helbing Lichtenhahn.
2 Vgl. mit ausführlichen Hinweisen auf die Rechtsprechung etwa Emmel, F. (2023). Kommentar zu Art. 324a OR, N. 7. CHK – Handkommentar zum Schweizer Privatrecht (4. Auflage). Zürich: Schulthess.
3 Vgl. dazu Milani, D. (2023) Kommentar zu Art. 336c OR, N. 7. CHK – Handkommentar zum Schweizer Privatrecht (4. Auflage). Zürich: Schulthess.
4 Vgl. Portmann, W. & Rudolph, R. (2020). Kommentar zu Art. 336c OR, N. 9. Balser Kommentar Obligationenrecht I (7. Auflage). Basel: Helbing Lichtenhahn.
5 Vgl. etwa AGer ZH, AN070151 vom 17.10.2007.