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Arbeitsunfähig: Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit

Eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit, mithin Konstellationen, in denen ein Arbeitnehmer nur für seine Stelle im Betrieb nicht arbeitsfähig ist, beschäftigt Personalverantwortliche immer häufiger. Was gilt es in solchen Fällen zu beachten?

27.06.2022 Von: Andrin Hofstetter
Arbeitsunfähig

Definition

Von arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit spricht man, wenn ein Arbeitnehmer nur in Bezug auf seine konkrete Stelle an der Arbeitsleistung verhindert ist, ansonsten aber ganz normal einsatzfähig und auch in seiner privaten Lebensgestaltung (wie Freizeit, Hobbys, Ferien, Mobilität etc.) nicht oder kaum eingeschränkt ist.

Vorkommen in der Praxis

In der Praxis treten solche Konstellationen typischerweise im Umfeld von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz auf. Die Arbeitsunfähigkeit ist etwa auf einen Konflikt, eine Mobbingsituation oder auf Leistungsdruck und damit Stress am Arbeitsplatz zurückzuführen. Zunehmend kann ebenfalls beobachtet werden, dass sich Arbeitnehmer kurz nach der Ankündigung einer Kündigungsabsicht oder unmittelbar nach bereits erklärter Kündigung aus psychischen Gründen krankschreiben lassen. Insbesondere in letztgenannten Fällen hegen Arbeitgeber häufig Zweifel an der plötzlich behaupteten und mit Arztzeugnis bescheinigten Arbeitsunfähigkeit.

Der Arbeitgeber weist einen anderen Arbeitsplatz zu

Aufgrund des in Art. 321d OR verankerten Weisungsrechts und gestützt auf die Treuepfl icht des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber prüfen, ob er einem arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer eine andere Stelle in einem anderen Umfeld innerhalb des Unternehmens zuweisen kann. Die einseitige Zuweisung anderer Aufgaben in einem neuen Umfeld darf aber nur vorübergehender Natur und muss dem Arbeitnehmer darüber hinaus zumutbar sein. Hätte eine solche Massnahme beispielsweise eine die Genesung hindernde Wirkung, so wäre sie selbstverständlich nicht zumutbar. Die Prüfung einer solchen einseitigen Massnahme setzt allerdings bereits Gewissheit voraus, dass der Arbeitnehmer nur mit Bezug auf die konkrete Stelle arbeitsunfähig ist. Ohne entsprechendes Arztzeugnis, welches die Arbeitsunfähigkeit eben nur auf die konkrete Stelle beschränkt, wird diese Gewissheit aber selten vorliegen. Wird dem Arbeitnehmer dennoch eine andere Stelle zugewiesen und weigert sich der Arbeitnehmer, der Weisung Folge zu leisten, so beurteilen sich die Rechtsfolgen der Weigerung danach, ob sie berechtigt oder unberechtigt erfolgte. Würde später festgestellt, dass der Arbeitnehmer nicht nur mit Bezug auf den konkreten Arbeitsplatz, sondern auch bezüglich anderer Stellen arbeitsunfähig ist, so resultieren für ihn aus der Nichtbefolgung der Weisung keine Nachteile. Nachteilig wäre die Weigerung für ihn nur dann, wenn es dem Arbeitgeber tatsächlich gelingen würde, zu beweisen, dass der Arbeitnehmer nur arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähig ist. Dann hätte der Arbeitnehmer die Weisung des Arbeitgebers unberechtigt nicht befolgt. In einem solchen Fall würde der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch für die Dauer der unberechtigten Weigerung verlieren. Gegebenenfalls könnte der Arbeitgeber im Weiteren gar einen Schadenersatzanspruch geltend machen.

Wichtiger Hinweis: Grundsätzlich stellen sich bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitgeber zwei wesentliche Fragen: Die eine betrifft die Frage nach dem Lohnfortzahlungsanspruch, die andere, ob das Arbeitsverhältnis mit einem «nur» arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer rechtswirksam gekündigt werden kann.

Lohnfortzahlung

Ist der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie etwa Krankheit, unverschuldet an der Arbeitsleistung verhindert und hat das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert oder wurde es für mehr als drei Monate eingegangen, hat er unter den Voraussetzungen von Art. 324a OR für eine beschränkte Zeit (nach Skalen je nach Kanton) Anspruch auf Weiterbezahlung von 100% Lohn. Eine Arbeitsverhinderung im Sinne dieser Bestimmung liegt immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich übernommene Arbeitspflicht nicht ausüben kann (respektive ihm solches nicht mehr zuzumuten ist).

Kann ein Arbeitnehmer seine Arbeit im vorstehenden Sinne nicht mehr ausüben, besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung, was selbstverständlich auch dann gilt, wenn er in seinen anderweitigen Tätigkeiten (wie die Gestaltung seiner Freizeit, Hobbys, Ferien, Mobilität) nicht oder kaum eingeschränkt ist, sich die Arbeitsverhinderung mithin einzig auf die konkrete Arbeitsstelle beschränkt.

Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer also auch bei bloss arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit Lohn fortzuzahlen. Abhängig vom Dienstjahr des Arbeitnehmers und der anwendbaren Skala können sich daraus länger dauernde Verpflichtungen zur Lohnfortzahlung ergeben. Zur Risikominimierung schliessen Arbeitgeber in der Praxis deshalb vielfach Krankentaggeldversicherungen ab, welche nach Ablauf einer vereinbarten Wartefrist die Lohnfortzahlung für sie übernimmt. Leistungspflichtige Krankentaggeldversicherungen können Einsicht in die vom Arbeitnehmer und Versicherten beigebrachten Arztberichte nehmen und/ oder bei Zweifeln an der (arbeitsplatzbezogenen) Arbeitsunfähigkeit häufig weitere Abklärungen durch ihre Vertrauensärzte verlangen. Gestützt auf diese Abklärungen können Krankentaggeldversicherungen gegebenenfalls zur Auffassung gelangen, dass die Arbeitsunfähigkeit rein arbeitsplatzbezogen ist (was insbesondere dann der Fall ist, wenn der betroffene Arbeitnehmer vom Vertrauensarzt nur und ausdrücklich mit Bezug auf seine konkrete Arbeitsstelle krankgeschrieben wird). In einem solchen Fall und gestützt auf die Schadenminderungspflicht eines Versicherten setzen die Krankentaggeldversicherungen dem Arbeitnehmer regelmässig eine Frist an, innert welcher von ihm erwartet wird, dass er eine andere Stelle (oder eine andere Aufgabe in einem anderen Umfeld innerhalb des Betriebes des Arbeitgebers) übernimmt, mit der Androhung, dass bei unbenutztem Ablauf der Frist die Leistungen der Krankentaggeldversicherung eingestellt werden.

Kündigungsschutz/Sperrfrist

Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, welcher unverschuldet durch Krankheit an der Arbeitsleistung ganz oder teilweise verhindert ist, während bestimmter Sperrfristen (Dauer in Abhängigkeit von Dienstjahren) nicht kündigen, bzw. die Kündigungsfrist steht in dieser Sperrfrist still, wenn der Arbeitgeber bereits vor Eintritt einer Sperrfrist gekündigt hat (vgl. Art. 336c Abs. 1 lit. b und Abs. 2 OR). Die trotz laufender Sperrfrist erklärte Kündigung ist nichtig.

Wichtiger Hinweis: Zweck des Sperrfristenschutzes ist es, arbeitsunfähige Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu schützen, weil sie aufgrund ihrer Krankheit geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, eine neue Stelle zu finden.

Früher löste auch eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit eine Sperrfrist aus und der Arbeitnehmer war vor einer Kündigung für die Dauer der massgebenden Sperrfrist geschützt. Namhafte Vertreter der Lehre und einige neuere Urteile kantonaler Instanzen verneinen nunmehr, dass in Fällen rein arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit eine Sperrfrist ausgelöst wird. Begründet wird dies unter Bezugnahme auf den Zweck der Bestimmung: Der Arbeitnehmer, welcher lediglich seine konkrete Stelle nicht ausüben könne, sei in der Suche nach einer neuen Stelle weder eingeschränkt, noch habe er geringere Chancen, die Stelle zu erhalten. Sei der Arbeitnehmer trotz arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit ansonsten klarerweise nicht beeinträchtigt, so soll auch die Sperrfrist nicht spielen dürfen.

Daraus folgt, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer, welcher nur mit Bezug auf die konkrete Stelle an der Arbeitsleistung verhindert ist, rechtswirksam kündigen kann, respektive dass eine bereits laufende Kündigungsfrist durch den Eintritt der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit auch nicht unterbrochen werden kann.

Es ist jedoch sogleich darauf aufmerksam zu machen, dass den wenigen kantonalen Entscheiden, welche dem Sperrfristenschutz die Anwendung versagten, spezielle Konstellationen zugrunde lagen. Nach meinem Dafürhalten sollte der Sperrfristenschutz nur dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn ärztlich feststeht, dass lediglich eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit besteht, der Arbeitnehmer mit anderen Worten bezüglich aller anderen Stellen in keiner Weise eingeschränkt ist. Zudem ist dem Sperrfristenschutz in denjenigen Fällen die Anwendung zu versagen, bei denen der Arbeitnehmer selber durch sein tatsächliches und bewiesenes Verhalten seine ihm mittels Arztzeugnis attestierte Arbeitsunfähigkeit geradezu widerlegt. Gerade solch speziellen Konstellationen lagen auch den Entscheiden, welche dem Sperrfristenschutz (zu Recht) die Anwendung versagten, zugrunde. In diesen Fällen bedarf der Arbeitnehmer keines Sperrfristenschutzes, da er auf der Suche nach einer neuen Stelle durch seine lediglich arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Viel häufiger werden aber die Fälle sein und bleiben, in welchen der Sperrfristenschutz uneingeschränkt anzuwenden ist. Nach meinem Dafürhalten ist dies auch korrekt, denn in den allermeisten Fällen wird eine tatsächlich festgestellte psychische Erkrankung nicht nur die Arbeitsfähigkeit mit Bezug auf die konkrete Arbeitsstelle verunmöglichen, sondern den Arbeitnehmer regelmässig auch in seiner weiteren Lebensgestaltung einschränken und beeinträchtigen.

Beweisfragen

Der Beweis für die Arbeitsverhinderung durch Krankheit obliegt dem Arbeitnehmer und wird meistens durch Arztzeugnis erbracht. Die Gerichte stellen im Regelfall auf das vom Arbeitnehmer beigebrachte Arztzeugnis ab (sog. Anscheinsbeweis), solange nicht begründete Zweifel an dessen Richtigkeit geweckt werden. Stellen sich Arbeitgeber auf den Standpunkt, es bestehe keine Arbeitsunfähigkeit oder, wenn überhaupt, lediglich eine arbeitsplatzbezogene, so haben sie dies nach der allgemeinen Beweisregel von Art. 8 ZGB zu beweisen. Mit anderen Worten muss das Arztzeugnis, welches dem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, widerlegt und bewiesen werden, dass der Arbeitnehmer nicht oder lediglich arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähig ist. Dieser Beweis ist im Regelfall nicht einfach zu erbringen, zumal dem Arbeitgeber oder der Krankentaggeldversicherung zur Entkräftung des ausgestellten Arztzeugnisses regelmässig nur die vertrauensärztliche Untersuchung zur Verfügung steht. Würde die vertrauensärztliche Untersuchung dem Arbeitnehmer keine oder lediglich eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit attestieren, hätte das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu entscheiden, welchem der beiden Arztzeugnisse mehr Beweiskraft zukommt, oder es hätte gar ein weiteres medizinisches Gutachten zu verlangen. Der Ausgang dieses Verfahrens ist deshalb häufig ungewiss. Keine Anhaltspunkte für einen allfälligen Beweis der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers bildet seine private Freizeitgestaltung.

Wichtiger Hinweis: Es ist gerade bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit wesenstypisch, dass der Arbeitnehmer in seiner privaten Freizeitgestaltung nicht eingeschränkt ist und unter anderem auch Sport treibt, was bei psychischen Erkrankungen oft zum Bestandteil der Therapie gehört.

In Fällen also, in denen das dem Arbeitnehmer ausgestellte Arztzeugnis nicht durch ein vertrauensärztliches Zeugnis gestützt wird, welches dem Arbeitnehmer eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit oder lediglich eine Arbeitsunfähigkeit mit Bezug auf seine konkrete Arbeitsstelle attestiert, wird ein Beweis kaum je gelingen. Die vom Arbeitgeber erklärte Kündigung wird deshalb als nichtig taxiert werden oder, sofern die Kündigung bereits vor dem Eintritt der Sperrfrist erklärt wurde, deren Stillstand bewirken.

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