Langzeitarbeitsunfähigkeit: Lohnpflicht und Lücken

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Die Bedeutung sozialer Sicherheit
Die Menschen in der Schweiz verlassen sich mehrheitlich auf eine gute Versorgung durch Arbeitgeber und Staat. Ob und wie komfortabel diese im Einzelfall tatsächlich gegeben ist, wird vielen erst bewusst, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist.
Fast 67%1 aller Absenzen von Arbeitnehmenden fallen auf Krankheit oder Unfall. Im Jahr 2024 haben rund 254 200 Menschen eine IV-Rente bezogen, was rund 4% der Bevölkerung im typischen Erwerbsalter ausmacht. Rund 52% dieser Renten werden aufgrund von psychischen Erkrankungen ausgerichtet.2 Über 50% der IV-Renten beziehenden Menschen erhalten eine Ergänzungsleistung (EL).
Was sagen uns diese Zahlen? Arbeitsausfälle sind keine Randerscheinung. Sie nehmen zu, sowohl in Häufigkeit als auch in Dauer. Die Mehrheit der IV-Renten-Beziehenden kann ihren Lebensunterhalt nicht ohne EL bestreiten, das heisst, sie verfügen weder über entsprechendes Einkommen noch über Vermögen. Der hohe Anteil an psychischen Erkrankungen wirft Fragen auf für die Prävention.
Die Bedeutung für Arbeitnehmende und ihre Arbeitgebenden
Während der Unfall und seine Folgen in der Regel überversichert ist, bestehen bei der (viel häufigeren) Krankheit Lücken. Nachfolgende Grafiken zeigen die Unterschiede und die finanziellen Folgen auf (s. Abb. 1 und Abb. 2):
Phase 1: Lohnfortzahlung Arbeitgeberin
Nach Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit schuldet die Arbeitgeberin Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR (100% bei Krankheit) oder 324b OR (80% bei Unfall). Die Arbeitgeberin kann das Risiko der Lohnfortzahlungspflicht ganz oder teilweise über eine Taggeldversicherung decken. Bei Unfall erfolgt dies zwingend (Art. 1a UVG), bei Krankheit freiwillig.
Phase 2: Zwischen Lohnfortzahlung und Aussteuerung
Bei einem Unfall ergibt sich in der Regel keine Aussteuerung, da die Anzahl der Taggelder nach UVG nicht begrenzt ist. Sie werden grundsätzlich ausgerichtet, bis der Mitarbeitende wieder vollständig arbeitsfähig ist, eine Invalidität festgestellt wird oder der Tod eintritt.
Krankentaggeldversicherungen werden in der Regel für maximal 720 Tage abgeschlossen, nach dieser Zeit ist die Leistungsdauer erschöpft, und es klafft eine Lücke bis zur Auszahlung einer allfälligen IV-Rente. Ohne Taggeldversicherung tritt die Lücke noch früher ein, nämlich mit Erschöpfung der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin (je nach Dienstjahr und Skala zwischen drei und 24 bzw. 46 Wochen).
Phase 3: Voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit
Die Unfallversicherung nach UVG enthält auch eine Invalidenrente, die grundsätzlich bis zum Lebensende ausgerichtet wird. Die Höhe richtet sich nach dem zuletzt versicherten Lohn.
Bei einer krankheitsbedingten Invalidität besteht die Rentenleistung aus Invalidenrenten der IV und der Pensionskasse, sofern der Mitarbeitende einer solchen angeschlossen war. Hier zeigt sich ein grosser Nachteil eines tiefen Teilzeitpensums. Erreicht der Jahresverdienst die Eintrittsschwelle nach BVG nicht, entfällt ein Anschluss und somit auch eine allfällige Leistung einer Pensionskasse bei Erwerbsunfähigkeit. Die IV-Rente hängt von der Anzahl Beitragsjahre und vom durchschnittlich abgerechneten Lohn ab und beträgt maximal CHF 2520.– pro Monat (Stand 2025). Die IV-Rente der Pensionskasse hängt vom Vorsorgeplan ab.
Phase 4: Pensionierung löst Invalidität ab
Da die Rente der Unfallversicherung nach UVG bis zum Tod ausgerichtet wird, ist bei Invalidität auch das Alter finanziell gut abgedeckt. Bei Krankheit wird die IV-Rente unter Besitzstandswahrung in eine AHV-Rente umgewandelt. Das erheblich reduzierte Einkommensniveau zieht sich somit bis zum Lebensende durch.
Merke: Während Erwerbsfähige ihre gesetzliche Altersvorsorge noch über das Referenzalter hinaus aufbessern können, ist dies bei vollumfänglicher Invalidität nicht mehr möglich.
Was sich hier mit den grundsätzlichen Regelungen relativ einfach darstellen und beschreiben lässt, ist in der Realität ein langwieriger, zeitintensiver Prozess von Abklärungen, Beweislasten und Abhängigkeiten.
Exkurs Phase 1: Beispiel eines Fristenlaufs
Der Lauf unterschiedlicher Fristen stiftet regelmässig Verwirrung. Anhand eines Beispiels zeigen wir auf, wann was gilt (s. Abb. 3).
Einem Mitarbeitenden wird Mitte Mai auf Ende August gekündigt. Wenige Tage später meldet sich dieser arbeitsunfähig wegen Krankheit.
Merke: Die Kündigungsfrist beginnt zurückgerechnet vom ursprünglichen Austrittsdatum zu laufen und dauert drei Monate, was 92 Tage ergibt. Da sich der Mitarbeitende im dritten Dienstjahr befindet, löst die Arbeitsunfähigkeit eine Sperrfrist von 90 Tagen aus.
Nach 60 Tagen attestiert der Arzt dem Mitarbeitenden wieder volle Arbeitsfähigkeit. Die Sperrfrist wird unterbrochen, die aufgeschobene Kündigungsfrist beginnt zu laufen. Nach drei Wochen ist der Mitarbeitende erneut krank bis auf Weiteres. Die Kündigungsfrist wird dadurch unterbrochen, die Sperrfrist läuft weiter. Nach Ablauf der gesamten 90 Tage Sperrfrist läuft die Kündigungsfrist trotz andauernder Arbeitsunfähigkeit weiter (Art. 336c Abs. 2 OR). Nach Ablauf der restlichen Kündigungsfrist (total 92 Tage) endet das Arbeitsverhältnis auf Ende des angebrochenen Monats (Art. 336c Abs. 3 OR). Diese Verlängerung ist in der Grafik als «Nachlaufzeit» bezeichnet und kann vertraglich ausgeschlossen werden.
Merke: Die Sperrfrist gilt pro Ereignis. Erleidet der Mitarbeitende während der Sperr- oder der Kündigungsfrist einen Unfall3, löst dies eine neue Sperrfrist aus. Ein Ereignis, das sich in der Nachlaufzeit ereignet, hat jedoch keine verlängernde Wirkung mehr.
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Dass sich das Arbeitsverhältnis verlängert, bedeutet nicht, dass die Arbeitgeberin auch Lohnfortzahlung schuldet. Diese richtet sich nach dem Gesetz oder dem Arbeitsvertrag. Die Lohnfortzahlungspflicht erneuert sich jeweils pro Dienstjahr (oder pro Kalenderjahr, wenn entsprechend vereinbart).
| Was | Inhalt/Beispiele |
|---|---|
| Prävention | |
| Früherkennung | Überwachung Arbeitszeit, Präsentismus, regelmässiger Austausch, Begleitung Reintegration nach Krankheit/Unfall, Verhaltensveränderungen |
| Angebot Sozialberatung | Interne oder externe Anlaufstelle mit Vertraulichkeitsgarantie bei Konflikten, persönlichen Problemen, Suchtthemen, Mobbing, Belästigung |
| Gesundheitsförderung | Gesundheit am Arbeitsplatz, kostenlose Getränke, Möglichkeit gesunder Verpflegung, Workshops/Seminare |
| Information | Informationsveranstaltungen, Merkblätter zur Aufklärung als Basis für individuelle Gestaltung persönlicher Versicherungsschutz |
| Sozialversicherungen | |
| Krankentaggeld KTG | Abschluss KTG-Versicherung, Prämien u.a. abhängig von Risikofaktoren (Branche, Alter, Anzahl Mitarbeitende) und Wartefrist; Arbeitgeberfinanzierung mindestens 50% |
| Verlängerte Lohnfortzahlung | Je nach Schadenverlauf und Grösse der Unternehmung kann eine verlängerte Lohnfortzahlung günstiger sein als eine KTG-Prämie. |
| Unfallversicherung in Ergänzung zum UVG, UVGZ | Spitalzusatzversicherung (private Abteilung, freie Spitalwahl weltweit), Deckung Grobfahrlässigkeit und Wagnis, Überschusslohn, Invaliditäts- und/oder Todesfallkapital (zusätzlich zu Rentenleistungen), Case Management |
| Möglichkeit Weiterführung bei unbezahltem Urlaub | Aufklärung über den Wegfall von Versicherungsdeckungen während eines unbezahlten Urlaubs, Organisation der Weiterführung im Rahmen der Möglichkeiten (Abredeversicherung UVG, Weiterführung KTG-Versicherung, Weiterführung Vorsorge Pensionskasse) |
| Pensionskasse | |
| Risikoleistungsprimat | Risikoleistungen im Verhältnis zum Lohn statt basierend auf Kapital; Kosten abhängig von Branche, Alter und Pensionskasse |
| Rückgewähr Einkäufe | Wird die Hinterlassenenleistung in Prozent des Lohns berechnet (siehe oben), sind freiwillige Einkäufe unter Umständen verloren; mit Rückgewähr werden sie an die Hinterbliebenen zurückbezahlt. |
| Eintrittsschwelle | Anpassung Eintrittsschwelle an Pensum oder generell tieferer Wert |
| Koordinationsabzug | Kürzung Koordinationsabzug im Verhältnis zum Pensum; generell tieferer oder gar kein Koordinationsabzug |
Langzeitarbeitsunfähigkeit – Herausforderung Payroll
Bei der Koordination von Lohnfortzahlung und Taggeldern gilt es darauf zu achten, dass die Lohnfortzahlungspflicht erfüllt ist. Ein allfälliger Nettolohnausgleich darf nur vorgenommen werden, wenn er schriftlich vereinbart ist. Zugleich muss sichergestellt sein, dass das ganze Taggeld an den Mitarbeitenden weitergeleitet wird, es darf nicht über den Nettolohnausgleich gekürzt werden.
Bei der Koordination von Renten gilt es zu unterscheiden. Laufende Renten dürfen nie dem Arbeitgeber ausbezahlt werden. Kann ein Mitarbeitender seine vereinbarte Arbeitsleistung voraussichtlich dauerhaft nicht mehr erbringen, empfiehlt es sich, das Arbeitsverhältnis anzupassen oder aufzulösen, denn die Lohnfortzahlungspflicht endet nicht automatisch bei Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit. Für rückwirkend bezahlte Renten kann der Arbeitgeber einen Verrechnungsantrag stellen, sodass sie nicht dem Mitarbeitenden, sondern der fortzahlenden Partei – also dem Arbeitgebenden – ausbezahlt wird. Ist eine Taggeldversicherung involviert, hat diese dasselbe Recht und Vorrang, sodass dem Arbeitgebenden in der Regel keine Verrechnung mehr zusteht.
Was Arbeitgebende besser machen können
Die Gesundheit der Mitarbeitenden liegt auch in der Verantwortung des Arbeitgebenden: Fürsorgepflicht nach Art. 328 OR, Gesundheitsschutz nach ArG, ArGV3 und ArGV4, Unfallverhütung und Arbeitssicherheit nach UVG und VUV (Verordnung über die Unfallverhütung). Langzeitarbeitsunfähigkeit lohnt sich ein präventiver Blick: Es gibt viele Möglichkeiten, wie Arbeitgebende darüber hinaus für gute Bedingungen und damit gesunde, motivierte Mitarbeitende sorgen sowie ein gutes Mass an Sicherheit bieten können. Doch nur wer diese Vorteile kennt, kann sie auch wertschätzen, eine gute Kommunikation hilft beiden Seiten. Nachfolgend einige Vorschläge, die oft nicht so teuer sind wie gedacht.
Fazit
Langzeitarbeitsunfähigkeiten nehmen zu, sind komplex und belastend sowohl für betroffene Mitarbeitende als auch für die Arbeitgebenden. Es lohnt sich, präventive Massnahmen zu prüfen und Ressourcen in die Erhaltung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit zu investieren statt in die Schadensbehebung.
Fussnoten
1 BFS – Arbeitsvolumenstatistik (AVOL), Stand 22.5.2025.
2 IV-Statistik 2024, Zentrales Rentenregister der AHV/IV.
3 Dasselbe gilt bei Militär-/Zivildienst, Schwangerschaft oder einem neuen Krankheitsfall (ausgenommen Rückfall).