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Lohnfortzahlungspflicht: Arbeitsunfähigkeit – und ihre rechtlichen Folgen

Was Arbeitgeber beachten müssen, wenn ihre Arbeitnehmer arbeitsunfähig werden. Eine kleine Auslegeordnung zu den wichtigsten Aspekten der Arbeitsunfähigkeit.

08.02.2022 Von: Viviane Zollinger-Anderegg
Lohnfortzahlungspflicht

Arbeitgeber werden vor grosse Herausforderungen gestellt

Krankheiten und Unfälle von Mitarbeitern ziehen nicht nur körperliches Ungemach nach sich, sie stellen auch die Arbeitgeber immer wieder vor grössere Herausforderungen. Ab wann kann ein ärztliches Zeugnis vom Arbeitnehmer verlangt werden, wie lange dauert die Lohnfortzahlung, kann der Arbeitnehmer dennoch seinen Urlaub beziehen, und wie sieht es z.B. mit dem Kündigungsschutz aus? Diese und noch weitere Fragen werden hier näher betrachtet.

Lohnfortzahlung

Art. 324a OR hält fest, dass die Lohnfortzahlungspflicht erst besteht, wenn der Arbeitsvertrag auf mehr als drei Monate fest abgeschlossen wurde oder bereits länger als drei Monate gedauert hat. Bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Probezeit von drei Monaten (oder kürzer) und mit einem Kündigungstermin, welcher vor Ablauf der drei Monate liegt, beginnt die Lohnfortzahlungspflicht erst am ersten Tag des vierten Anstellungsmonats. Die meisten Arbeitsverträge werden unbefristet und mit einer Probezeit von drei Monaten abgeschlossen. Für diese Arbeitsverträge gilt, dass eine Arbeitsunfähigkeit während der Probezeit keine Lohnfortzahlung nach sich zieht.

Die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers muss gemäss Art. 324a OR für eine beschränkte Zeit geleistet werden. Die Gerichte haben dafür die sog. Skalen entwickelt, gemäss denen sie in Abhängigkeit vom jeweiligen Dienstalter des Arbeitnehmers die Lohnfortzahlungspfl icht festsetzen. Es gibt eine Berner, eine Basler und eine Zürcher Skala. Die Zürcher Skala wird von den Gerichten in den Kantonen Zürich, Schaffhausen und Thurgau verwendet, die Baslerskala von den Gerichten der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land und die Bernerskala von den Gerichten in den übrigen Kantonen. Die Dauer der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hängt also von der Anzahl Dienstjahre und vom jeweiligen Kanton ab.

Zürcher-,Berner, Baslerskala

Achtung: Mit jedem neuen Dienstjahr entsteht auch ein neuer Anspruch!

Die Arbeitgeberin muss also bei Krankheit, Unfall, aber auch bei Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder in Ausübung eines öffentlichen Amts dem Arbeitnehmer den Lohn während einer bestimmten Zeit gemäss der vom jeweiligen Gericht verwendeten Skala weiterhin bezahlen. Wichtig ist, dass der Arbeitnehmer ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist. Ist der Arbeitnehmer selbstverschuldet an der Arbeit verhindert, muss der Arbeitgeber keinen Lohn bezahlen. Von einer selbstverschuldeten Arbeitsverhinderung spricht man beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer alkoholisiert einen Unfall verursacht oder bei gefährlichen Betätigungen die gebotenen Vorsichtsmassnahmen ausser Acht gelassen hat.

Krankentaggeldversicherung

Gegen die Folgen der Krankheit versichern sich die Arbeitgeber oft mit Krankentaggeldversicherungen. Nur wenn ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) eine Krankentaggeldversicherung vorschreibt, ist diese zwingend. Alle anderen Versicherungslösungen für Krankentaggelder sind vom Arbeitgeber freiwillig abgeschlossen. Die meisten Versicherungen sind sog. Ergänzungslösungen. Das heisst, dass der Arbeitgeber trotz Krankentaggeldversicherung nach wie vor eine Lohnfortzahlungspfl icht nach Art. 324a OR hat; er kann sich aber anrechnen lassen, was er von der Versicherung erhält.

Eine sog. gleichwertige Ersatzlösung nach Art. 324a Abs. 4 OR muss gültig abgeschlossen werden, damit der Arbeitgeber während der Wartefrist (bis die Versicherungsleistung eintritt) lediglich 80% des Lohns und nach Eintritt der Versicherungsleistung gänzlich von seiner Lohnfortzahlungspflicht befreit ist. Folgende Voraussetzungen müssen mindestens erfüllt sein, damit von einer gültigen und gleichwertigen Ersatzlösung gesprochen werden kann:

  • schriftliche Vereinbarung in einem Arbeitsvertrag (kann auch in einem Reglement stehen, der Arbeitsvertrag muss aber auf das Reglement verweisen)
  • Umschreibung der abgedeckten Risiken
  • maximal drei Karenztage (ohne Lohnzahlung bei Krankheit)
  • Dauer der Versicherungsleistungen (720/730 Tage innerhalb von 900 Tagen)
  • Modalitäten der Prämienfi nanzierung (die hälftige Prämienteilung ist zulässig)
  • Prozentsatz des versicherten Lohns (mindestens 80% des Lohns müssen versichert sein)
  • Wartefrist von maximal 30 Tagen (Arbeitgeber muss die ersten 30 Tage 80 % des Lohns bezahlen)

Wichtig: Bei der sog. Ergänzungslösung, bei welcher der Arbeitgeber für die Dauer seiner Lohnfortzahlungspflicht – gemäss Skala – 20% des Lohns entrichtet und 80% von der Taggeldversicherung geleistet werden, muss der Arbeitgeber einen sog. Nettolohnausgleich vornehmen. Da Krankentaggelder von den Sozialabgaben befreit sind, erfolgen die Sozialversicherungsabzüge nur auf der Differenz zwischen dem 100% Bruttolohn und dem 80% Krankentaggeld. Die Sozialversicherungsabzüge fallen daher kleiner aus, wenn Krankentaggelder ausbezahlt werden, was faktisch eine Erhöhung des Nettolohns zur Folge hat. Beim Nettolohnausgleich wird die Differenz zwischen dem normalen Nettolohn und dem höheren Nettolohn bei Krankheit durch einen Abzug beim Bruttolohn ausgeglichen.

Ist dieser Nettolohnausgleich überhaupt zulässig? Im Arbeitsvertrag wird jeweils zwischen den Parteien ein Bruttolohn vereinbart. Dieser Bruttolohn darf nicht durch den Arbeitgeber einseitig nach unten korrigiert werden. Beim Nettolohnausgleich geschieht dies aber so und kann auch sachlich gerechtfertigt sein, denn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer soll nicht durch die Arbeitsunfähigkeit überentschädigt werden. Noch kein Gericht hat sich bis heute zur Frage der Zulässigkeit des Nettolohnausgleichs geäussert, eine Rechtsprechung dazu gibt es soweit ersichtlich nicht.

Um aber als Arbeitgeber keine rechtliche Auseinandersetzung diesbezüglich zu riskieren, muss empfohlen werden, mit dem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass der Arbeitgeber für den Fall von Lohnersatzleistungen zur Vermeidung einer Überentschädigung einen Nettolohnausgleich vornehmen darf.

Arztzeugnis/Vertrauensarzt

Obwohl das Arztzeugnis von erheblicher Relevanz für die Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit ist, findet man weder im Obligationenrecht noch im Arbeitsgesetz und in dessen Verordnungen dazu spezifische Regelungen. Das Arztzeugnis gilt nur als sog. Parteibehauptung, d.h., dass dem Arztzeugnis kein absoluter Beweiswert zukommt. Die Gerichte stützen sich jedoch meistens darauf, weshalb man von einem «Anscheinsbeweis» spricht. Die Gerichte gehen dann von der tatsächlichen Vermutung aus, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig war. Da das Arztzeugnis keinen absoluten Beweiswert hat, kann der Arbeitgeber das Arztzeugnis jedoch jederzeit mit eigenen weiteren Beweisen entkräften. Erhebliche Zweifel am Arztzeugnis können bestehen, wenn u. a. folgende Mängel vorliegen:

  • unvollständiger, unklarer, unleserlicher Inhalt
  • offensichtlich fehlerhafte Untersuchung, Rückdatierung (maximal eine Woche gemäss Empfehlung der Ärzte gesellschaft des Kantons ZH)
  • Verhalten des Arbeitnehmers vor und nach der Arbeitsunfähigkeit erscheint zweifelhaft
  • verspätetes Beibringen des Arztzeugnisses
  • Weigerung des Arbeitnehmers, einen Vertrauensarzt aufzusuchen
  • Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunfähigkeit (z.B. immer vor/ nach dem Wochenende oder um Feier tage herum)

Bei unklaren Arztzeugnissen wird empfohlen, auf Kosten des Arbeitgebers, ein detailliertes Arztzeugnis einzuholen. Rückfragen beim behandelnden Arzt sind nur unter strengen Auflagen erlaubt; vgl. dazu Art. 321 StGB (Berufsgeheimnis) sowie Art. 11 der Standesordnung FMH.

Der Arbeitgeber kann jedoch den Arbeitnehmer jederzeit zu einem Vertrauensarzt schicken. Da der Arbeitnehmer zur Treue gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet ist (Art. 321a OR) und der Arbeitgeber zudem ein Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer hat (Art. 321d OR), muss dies im Arbeitsvertrag nicht speziell geregelt werden. Die Weisung zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung stellt keine Persönlichkeitsverletzung dar (BGE 125 III 70). Eine vertrauensärztliche Untersuchung kann allerdings nicht erzwungen werden. Will der Arbeitnehmer den Vertrauensarzt nicht aufsuchen, wird das Gericht diese Weigerung frei würdigen. Ebenso muss der Arbeitgeber keinen Lohn bezahlen, wenn der Arbeitnehmer den Besuch beim Vertrauensarzt trotz Abmahnung verweigert, da er diesfalls seine Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen konnte. Eine ordentliche Kündigung kann ebenfalls eine Konsequenz dieser Weigerung sein, allenfalls sogar eine fristlose Kündigung, da das Nichterscheinen zur Arbeit ohne Grund eine grobe Treuepflichtverletzung darstellt. Der Arbeitgeber muss aber den Arbeitnehmer unbedingt warnen, bevor er die fristlose Kündigung ausspricht.

    Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Vertrauensarzt schicken, kann er dem Vertrauensarzt folgende Fragen stellen, ohne Art. 328b OR zu verletzen:

    • Grad der Arbeitsunfähigkeit in Prozenten
    • Falls Teilarbeitsfähigkeit gegeben ist: Welche Arbeiten kann der Arbeitnehmer verrichten und wie viele Stunden pro Tag?
    • Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit: Kann der Arbeitnehmer evtl. an einem anderen Arbeitsort und/oder für eine andere Tätigkeit in einem anderen Bereich eingesetzt werden?

    Krankheit in den Ferien

    Die Ferien sind grundsätzlich in gesundem Zustand zu verbringen, denn sie dienen der Erholung. Falls eine Krankheit oder ein Unfall diesen Ferienzweck vereitelt, dürfen die Ferien nachgeholt werden. Dazu braucht es jedoch ein ausländisches Arztzeugnis, welches nicht nur die Krankheit respektive den Unfall und somit die Arbeitsunfähigkeit attestiert, sondern auch noch die Ferienunfähigkeit festhält. Denn nicht jede Arbeitsunfähigkeit bedeutet auch eine Ferienunfähigkeit. Eine Schnittverletzung bei einem Pianisten führt zu einer Arbeitsunfähigkeit, die ihn aber nicht Ferienunfähig macht.

    Ferienkürzung infolge Arbeitsunfähigkeit

    Der Arbeitgeber kann den Ferienanspruch um ein Zwöftel des Jahresferienanspruchs kürzen, wenn der Arbeitnehmer selbstverschuldet während eines Dienstjahres während mehr als einen Monat arbeitsunfähig ist (Art. 329b OR). Ist der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden während mehr als zwei Monaten arbeitsunfähig, tritt ab vollendetem zweiten Monat der Verhinderung eine Kürzung von einem Zwölftel des Jahresferienanspruchs pro vollen Abwesenheitsmonat ein.

    Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit

    Von einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit spricht man, wenn der Arbeitnehmer nur in Bezug auf seine konkrete Arbeitsstelle arbeitsunfähig ist, im Übrigen aber ganz normal arbeitsfähig ist und auch bezüglich seiner Freizeit keine Einschränkungen aufweist. Meistens sind psychische Belastungen am Arbeitsplatz wie z.B. behauptetes Mobbing der Grund für eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit (zum Ganzen: Streiff/Von Kaenel/Rudolph, in: Praxiskommentar, 7. Aufl ., Art. 324a/b OR N 10).

     Liegt eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vor, so ist die Lohnfortzahlung geschuldet, sofern der Arbeitnehmer nicht hauptverantwortlich für den Konfl ikt am Arbeitsplatz ist. Eine Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a OR besteht bekanntlich nur bei Nichtverschulden des Arbeitnehmers.

    Kündigungsschutz bei Krankheit

    Der Arbeitnehmer ist gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR je nach Dienstjahr während einer Krankheit oder eines Unfalls 30, 90 oder 180 Tage vor einer Kündigung geschützt. Erfolgt eine Kündigung während dieser Sperrfrist, so ist sie vollkommen nichtig und ungültig. Ist eine Kündigung vor Beginn der Sperrfrist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt (vgl. Art. 336c Abs. 2 OR).

    Wichtig: Eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit löst zwar eine Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a OR aus, jedoch keinen zeitlichen Kündigungsschutz nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR! Der Arbeitnehmer ist nämlich nur an seinem angestammten Arbeitsplatz arbeitsunfähig, jedoch woanders voll einsetzbar, weshalb der Arbeitnehmer den zeitlichen Kündigungsschutz nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR nicht braucht. Eine Kündigung während einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit ist also gültig, dem Arbeitnehmer steht aber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein Lohnfortzahlungsanspruch zu (zum Ganzen: Streiff/Von Kaenel/Rudolph, in: Praxiskommentar, 7. Aufl ., Art. 336c OR N 8).

    Tipp: Bei Verdacht auf eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit soll der Arbeitnehmer unverzüglich von einem Vertrauensarzt untersucht werden, welcher auch die Frage einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit zu beantworten hat.

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