Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit: Das gilt in der Praxis

Das Gesetz schützt Mitarbeitende bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall zu einem gewissen Grad vor Kündigung und Lohnausfall. Dieser Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit verhindert, dass Arbeitgebende während einer bestimmten Sperrfrist eine Kündigung aussprechen können, solange die Arbeitsunfähigkeit nachweislich besteht.

20.01.2025 Von: LL.M Gian Geel, Marc Ph. Prinz
Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeit?

Am Anfang steht die Gretchenfrage: Ist der Arbeitnehmer wirklich krank bzw. arbeitsunfähig? Nicht selten ist das nicht so klar. Denn es gibt leider immer wieder Mitarbeitende, die gezielt eine angebliche Krankheit vorschieben oder übertreiben, um den resultierenden rechtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich beurteilen Ärzte, ob wirklich eine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Die Arbeitgeberin kann verlangen, dass ein Arztzeugnis eingereicht wird. Leider geht die Krankschreibung aber vielen Ärzten (gerade bei der Schilderung von psychischen Beschwerden) ziemlich leicht von der Hand, auch wenn nicht unbedingt tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Eigentlich sind Arztzeugnisse blosse Beweismittel, die dementsprechend gewürdigt werden müssten. Die Schweizer Gerichte stellen aber trotzdem oft sakrosankt auf Arztzeugnisse ab und solche werden nur sehr selten in Zweifel gezogen. Immerhin bleibt der Arbeitgeberin das Recht, bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit auf ihre Kosten die Untersuchung durch einen Vertrauensarzt ihrer Wahl zu verlangen.

Das schweizerische Recht kennt grundsätzlich die freie und jederzeitige Kündigungsmöglichkeit eines Arbeitsverhältnisses. Einzuhalten sind lediglich die gesetzlich vorgesehenen und vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen. Insbesondere bei Arbeitsverhinderungen infolge Krankheit und Unfall, bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie für Dienstleistende besteht aber ein zeitlich begrenzter Kündigungsschutz nach Art. 336c OR..

Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit

Nach Ablauf der Probezeit darf die Arbeitgeberin gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. a OR das Arbeitsverhältnis für eine gewisse Zeit nicht kündigen: 

Das Obligationenrecht sieht zugunsten des Arbeitnehmenden folgende Sperrfristen vor (Art. 336c OR). Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen: 

Bei obligatorischem schweizerischem Militärdienst, Zivilschutz oder Zivildienst besteht der Schutz für 4 Wochen vor und nach der Dienstleistung, sofern diese mehr als 11 Tage dauert und während der Dauer der Dienstleistung. Im Krankheits- oder Unfallfall gilt der Schutz je nach Dienstjahr: 30 Kalendertage im 1. Jahr, 90 Kalendertage im 2. bis 5. Jahr und 180 Kalendertage ab dem 6. Jahr. Während der gesamten Schwangerschaft bis 16 Wochen nach der Geburt – oder bis zum Ende eines verlängerten Mutterschaftsurlaubs gemäss EOG – gilt ebenfalls ein Kündigungsschutz. Zudem sind Arbeitnehmende während Dienstleistungen für Hilfsaktionen im Ausland sowie während eines Betreuungsurlaubs für schwerkranke Kinder (gemäss Art. 329i OR) geschützt,  wobei die Sperrfrist während des Betreuungsurlaubs maximal sechs Monate ab dem ersten Taggeldanspruch beträgt.

Hinweis: Die Bestimmungen zum Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit im Obligationenrecht sind relativ zwingend, das heisst, längere Sperrfristen können vereinbart werden, kürzere jedoch nicht. Eine Kündigung während des Urlaubs des anderen Elternteils ist hingegen gültig.

Kündigung während der Sperrfrist

Arbeitgeber dürfen während Arbeitsverhinderungen der Arbeitnehmenden nicht kündigen, wenigstens so lange nicht, als die sogenannten Sperrfristen nicht abgelaufen sind.

Als Arbeitsverhinderungen gelten dabei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall. Sperrfristen gelten auch bei Dienstleistungen (Militär, Zivilschutz und Zivildienst) sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft und Betreuungsurlaub für schwer kranke Kinder. 

Praxisbeispiel: Als die Arbeitnehmende ihrem Vorgesetzten mitteilt, dass sie schwanger sei, kündigt er umgehend das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist von zwei Monaten. Eine solche Kündigung, welche während einer Sperrfrist ausgesprochen wird, ist ungültig («nichtig»). Das Arbeitsverhältnis läuft weiter, wie wenn die Kündigung nicht geschrieben worden wäre.

Sperrfrist und Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit

Der zeitliche Kündigungsschutz ist nicht mit der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht abgestimmt. Letztere richtet sich nach Art. 324a OR und hängt vom Dienstalter der Mitarbeitenden ab. Gemäss den Basler, Berner oder Zürcher Skalen verlängert sich die Dauer der Lohnfortzahlung mit der Länge des Arbeitsverhältnisses. Häufig endet die Lohnfortzahlung jedoch früher als der Kündigungsschutz. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass Mitarbeitende weiterhin in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, aber keinen Lohn mehr erhalten. Eine Krankentaggeldversicherung kann helfen, diese Einkommenslücke bei längeren Abwesenheiten zu schließen. Es besteht jedoch keine gesetzliche Verpflichtung, eine solche Versicherung abzuschliessen.

Praxisbiespiel

Einem Mitarbeiter im zweiten Anstellungsjahr wurde auf Ende März unter Einhaltung der zweimonatigen Kündigungsfrist gekündigt. Am 1. März erkrankt er und ist während sechs Wochen, also bis am 11. April, arbeitsunfähig. Die Kündigungsfrist verlängert sich um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, jedoch längstens um die Sperrfrist. Die Sperrfrist im zweiten Anstellungsjahr beträgt 90 Tage. Im Beispiel verlängert sich die Kündigungsfrist um sechs Wochen bis am 12. Mai. Da die Beendigung immer auf Ende Monat erfolgt, endet das Arbeitsverhältnis neu Ende Mai.
Der Mitarbeiter erhält während der Krankheit vom 1. März bis 11. April für die gesetzliche oder vereinbarte Dauer Lohnfortzahlung. Nach der anwendbaren Berner Skala dauert die Lohnfortzahlung vier Wochen, also bis am 28. März. Anschliessend erhält er keinen Lohn mehr. Am 12. April nimmt er die Arbeit wieder auf, erhält wieder Lohn und arbeitet bis Ende Mai.

Fazit Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit

Zusammenfassend ist der Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsrechts, der Arbeitnehmenden Stabilität und Schutz bietet. Arbeitgebende und Arbeitnehmende sollten jedoch die individuellen Regelungen und möglichen Konsequenzen, insbesondere im Zusammenhang mit Lohnfortzahlung und Versicherungen, genau kennen und berücksichtigen.

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