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Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit: Das gilt in der Praxis

Das Gesetz schützt Mitarbeitende bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall zu einem gewissen Grad vor Kündigung und Lohnausfall. Der vorliegende Beitrag bietet eine Übersicht zu den geltenden Regelungen und zeigt in der Praxis oft vorkommende Problemstellungen auf.

09.08.2021 Von: LL.M Gian Geel, Marc Ph. Prinz
Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeit?

Am Anfang steht die Gretchenfrage: Ist der Arbeitnehmer wirklich krank bzw. arbeitsunfähig? Nicht selten ist das nicht so klar. Denn es gibt leider immer wieder Mitarbeitende, die gezielt eine angebliche Krankheit vorschieben oder übertreiben, um den resultierenden rechtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich beurteilen Ärzte, ob wirklich eine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Die Arbeitgeberin kann verlangen, dass ein Arztzeugnis eingereicht wird. Leider geht die Krankschreibung aber vielen Ärzten (gerade bei der Schilderung von psychischen Beschwerden) ziemlich leicht von der Hand, auch wenn nicht unbedingt tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Eigentlich sind Arztzeugnisse blosse Beweismittel, die dementsprechend gewürdigt werden müssten. Die Schweizer Gerichte stellen aber trotzdem oft sakrosankt auf Arztzeugnisse ab und solche werden nur sehr selten in Zweifel gezogen. Immerhin bleibt der Arbeitgeberin das Recht, bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit auf ihre Kosten die Untersuchung durch einen Vertrauensarzt ihrer Wahl zu verlangen.

Im Übrigen garantiert das Erscheinen zur Arbeit und die Arbeitsleistung eines krankgeschriebenen Arbeitnehmers nicht, dass dieser tatsächlich arbeitsfähig ist. Das Gesetz schützt hier auch übereifrige Arbeitnehmer vor sich selbst.

Ist die Arbeitsverhinderung selbstverschuldet (z.B. Alkohol am Steuer führt zu Unfall), besteht keine Lohnfortzahlungspflicht und kein Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit. Die Schwelle für ein solches Selbstverschulden liegt allerdings hoch.

Im Gegensatz zur Lohnfortzahlungspflicht besteht bei einer bloss arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit kein Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit im Sinne einer Sperrfrist. Dabei geht es um Fälle, in denen der Arbeitnehmer grundsätzlich arbeiten kann, bloss nicht am konkreten Arbeitsplatz. So z.B. in Situationen mit Konflikten oder Mobbing. In solchen Fällen besteht allerdings die Gefahr, dass eine Kündigung missbräuchlich wäre.

Kündigungsschutz durch Arbeitsunfähigkeit

Gesetzliche Regelung

Nach Ablauf der Probezeit darf die Arbeitgeberin gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. a OR das Arbeitsverhältnis für eine gewisse Zeit nicht kündigen, während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist. Diese Sperrfrist gilt im ersten Dienstjahr während bis zu 30 Tagen, ab dem zweiten bis und mit fünftem Dienstjahr bis zu 90 Tage und ab dem sechsten Dienstjahr bis zu 180 Tage. Eine Kündigung während dieser Sperrfristen wäre nichtig und würde damit als unwirksam betrachtet werden. Dies im Gegensatz zu Kündigungen während der Probezeit oder Arbeitnehmerkündigungen, welche trotz Arbeitsunfähigkeit möglich sind. Werden Arbeitnehmer erst nach der Kündigung, aber noch während der Kündigungsfrist krank, wird die konkrete Kündigungsfrist unterbrochen und erst nach dem Ende der Sperrfrist fortgesetzt (Art. 336c Abs. 2 OR).

Berechnung der Sperrfristen

Die genannten Sperrfristen starten mit der Arbeitsunfähigkeit und für sie ist die Anzahl Kalendertage massgebend, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Auch bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit gelten die Sperrfristen in gleicher Länge.

Bei Arbeitsunfähigkeit nach gültig erfolgter Kündigung wird zunächst das (ursprüngliche) Enddatum des Arbeitsverhältnisses berechnet. In einem Beispielfall mit Kündigung am 15. Januar 2021 mit einem Monat Kündigungsfrist wäre das ursprüngliche Enddatum der 28. Februar 2021. Die konkrete Kündigungsfrist im rechtlichen Sinn wird vom Enddatum zurückgerechnet und beträgt daher in unserem Beispielfall 28 Tage. Die Zeit zwischen Kündigung und dem Beginn der rechtlichen Kündigungsfrist (hier Anfang Februar 2021) führt bei Arbeitsunfähigkeit nicht zu einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Tritt also die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am 28. Januar 2021 ein und dauert bis zum 26. Februar 2021 an (30 Tage), sind davon 26 Tage der konkreten Kündigungsfrist betroffen. Diese 26 Tage werden an das ursprüngliche Enddatum angehängt. Das so berechnete Enddatum (26. März 2021) wird dann auf das Monatsende aufgerundet (Art. 336c Abs. 3 OR), weshalb das neue Enddatum des Arbeitsverhältnisses in unserem Beispielfall der 31. März 2021 ist.

Mehrere Krankheitsfälle

Jeder auf einem neuen Grund beruhende Fall der Arbeitsverhinderung löst eine neue, eigene Sperrfrist aus. Aus dem gleichen Grund entsteht grundsätzlich aber nur einmal eine neue Sperrfrist, nicht z.B. jedes Dienstjahr. Rückfälle oder klare Folgeerscheinungen lösen also keine neue Sperrfrist aus. Nach jahrelanger Gesundheit könnte allenfalls vertreten werden, dass eine neue Sperrfrist aus demselben Grund entstehen kann. Wird ein Arbeitnehmer während der bereits verlängerten Kündigungsfrist (in unserem Beispiel im März 2021) wieder arbeitsunfähig, löst dies keine neue oder fortzusetzende Sperrfrist aus.

Dienstjahreswechsel

Wie ausgeführt variieren die Sperrfristen bei Krankheit bzw. Unfall je nach Dienstjahr und fallen pro Grund nur einmal an. Entsprechend stellt sich die Frage, welche Sperrfrist bei einer Krankheit, die vom ersten zum zweiten oder vom fünften zum sechsten Dienstjahr andauert, zur Anwendung kommt. Nach ständiger Praxis gilt in solchen Fällen ausschliesslich die längere Sperrfrist, welche ab Krankheitsbeginn (noch im alten Dienstjahr) gerechnet wird. Das kann zur speziellen Situation führen, dass bei andauernder Krankheit die Sperrfrist zunächst ausläuft, dann aber mit dem Dienstjahreswechsel wieder in Kraft tritt (Sperrfrist des neuen Dienstjahrs, abzüglich des bereits im alten Dienstjahr abgelaufenen Teils). Zwischenzeitlich wäre in einem solchen Fall eine Kündigung möglich gewesen.

Lohnfortzahlung

Gesetzliche Regelung

Ist ein Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit oder Unfall ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert (vgl. dazu die vorstehenden Ausführungen zur Arbeitsunfähigkeit), hat ihm die Arbeitgeberin gemäss Art. 324a Abs. 1 OR für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, sofern das Arbeitsverhältnis bereits mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen worden ist (früheste Kündigungsmöglichkeit).

Von Gesetzes wegen hat die Arbeitgeberin den Lohn für drei Wochen im ersten Dienstjahr und danach für eine angemessene längere Zeit zu entrichten, je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen (Art. 324a Abs. 2 OR).

Um für die Praxis etwas mehr Rechtssicherheit betreffend die «angemessene längere Zeit» ab dem zweiten Dienstjahr zu schaffen, wurden die Berner, Basler und Zürcher Skala entwickelt. Diese sind im Internet abrufbar und legen den Zeitraum der Lohnfortzahlung je nach Dienstjahr konkret fest. Die Zürcher Skala beruht beispielsweise auf der Formel [Anzahl Wochen Lohnfortzahlung = Anzahl Dienstjahre + 6]. Die Skalen sollten aber nicht sklavisch angewendet, sondern immer den besonderen Umständen des Einzelfalls angepasst werden, wie vom Gesetz gefordert.

Anders als bei den Sperrfristen besteht der Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit pro Dienstjahr und entsteht auch bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit. Die verschiedenen Gründe für Abwesenheiten vom Arbeitsplatz werden hier für die Dauer der Lohnfortzahlung zusammengezählt. Zudem verlängert sich der Lohnfortzahlungsanspruch bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit nach herrschender Lehre proportional, bis der Anspruch auf die volle Lohnfortzahlung abgegolten ist.

Versicherungslösung

Alle Arbeitnehmer in der Schweiz sind von Gesetzes wegen (UVG) obligatorisch gegen Betriebsunfälle versichert. Sofern sie für mindestens 8 Stunden pro Woche beim selben Arbeitgeber beschäftigt ist, sind sie auch gegen Nichtberufsunfälle obligatorisch versichert. Solche obligatorischen Versicherungsleistungen ersetzen gemäss Art. 324b OR die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin, die für die beschränkte Zeit geschuldeten Versicherungsleistungen mindestens 80% des darauf entfallenden Lohnes decken. Während der Wartezeit hat die Arbeitgeberin 80% des Lohns zu decken.

Gegen Krankheit gibt es keine obligatorische Versicherung. Die Arbeitgeberin kann jedoch freiwillig Taggeldversicherungen nach KVG oder VVG abschliessen und dadurch ihre Lohnfortzahlungspflicht ersetzen, sofern dies schriftlich vereinbart wird und die getroffene Regelung für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist (Art. 324a Abs. 4 OR).

Krankentaggeldversicherungen nach VVG sind viel häufiger und sehr flexibel, da sie allein dem Privatrecht unterstehen. Einigermassen standardisiert hat sich in der Praxis die Taggelddauer von maximal 720 oder 730 Tagen (abzüglich vereinbarter Wartefrist; z.B. 30 Tage) innerhalb von 900 Tagen. Meist werden diese Leistungen auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus erbracht.

In der Praxis ist oft fraglich, ob bei Taggeldleistungen von 80% des Lohns nach einer vereinbarten Wartefrist die Arbeitgeberin nun während der Wartefrist auch nur 80% oder 100% des Lohns bezahlen muss. Nach wohl herrschender Lehre sind hier 100% des Lohns zu bezahlen, ausser die Parteien des Arbeitsvertrags haben zumindest konkludent 80% vereinbart.

Vorsicht ist geboten bei in Gesamtarbeitsverträgen oder Arbeitsverträgen enthaltenen Leistungszusicherungen (z.B. 100% Lohnfortzahlung für 720 Tage) in Erwartung des Abschlusses einer entsprechenden Versicherung. Wurde nämlich die Versicherung nicht abgeschlossen oder erbringt diese nicht die zugesicherte Leistung, haftet dafür die Arbeitgeberin.

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