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AHV21: Vorsorge-Reform als Chance für Unternehmen

Vorsorge-Reformen haben es in der Schweiz schwer. Die einen interessieren sich nicht für sie, die anderen bekämpfen sie aus entgegengesetzten Interessen und schliessen so lange Kompromisse, bis fast nichts mehr übrig bleibt. Doch die Reform AHV21 wird unterschätzt. Personalverantwortliche, die sich auskennen, sind gute Beratungspartner sowohl für den Arbeitgebenden als auch für die Mitarbeitenden.

26.07.2023 Von: Myriam Minnig
AHV21

Warum braucht es überhaupt eine Reform?

Diskutiert und gestritten wird meist über Details. Die Grundthematik ist jedoch einfach. Wir zahlen immer weniger ein und immer länger aus. Nachfolgend eine stark vereinfachte Berechnung, die den Effekt der gestiegenen Lebenserwartung zeigt.

Angenommen, eine Person verdient über 44 Jahre konstant CHF 80 000.– und liefert davon 8,7% AHV-Beiträge ab. Das ergäbe eine Beitragssumme von CHF 306 240.–. Nach aktueller Skala 44 erhielte sie eine monatliche Rente von CHF 2352.– (ohne Berücksichtigung des Aufwertungsfaktors). Lebt die Person ab Alter 65 noch 13 Jahre, müssen über CHF 60 000.– zusätzlich finanziert werden. Lebt sie jedoch noch 22 Jahre, sind es weit über CHF 300 000.–. Die Berechnung basiert auf der Tatsache, dass in der Zeit von 1948 bis 2020 die durchschnittliche Lebenserwartung um rund neun Jahre gestiegen ist.

Anders ausgedrückt: Das Verhältnis von Rentenbezugsjahren zu den Erwerbsjahren hat sich verschoben – von etwa 30 auf rund 50%. Immer mehr Pensionierte beziehen bis zum Lebensende erheblich mehr Rente, als sie jemals Beiträge eingezahlt haben. Je grösser diese Differenz wird, desto grösser wird der Betrag, der aus anderen Quellen für die Zahlung der Altersrenten eingesetzt werden muss.

Für den Einzelnen ist das gefühlsmässig nicht nachvollziehbar. Er kann seinen Lebensbedarf immer auf gleichem Niveau decken. Dass sein längeres Leben von der Allgemeinheit finanziert wird, empfinden viele als Grundrecht.

AHV21 – eine langweilige Reform?

Manch einer hätte sich eine etwas revolutionärere Reform gewünscht, denn die beschlossenen Änderungen sichern das Sozialwerk nur für die nächsten zehn Jahre. Für eine Sanierung gibt es drei Möglichkeiten: Einnahmen erhöhen, Ausgaben senken oder ein Mix aus beidem. Bei einer Reform gilt es also, die Frage zu beantworten: Wer soll die Mehreinnahmen finanzieren und wer für die Minderausgaben zurückstecken? Im Einigungsprozess werden die sich widersprechenden Interessen so weit angeglichen, bis nur noch sanft am Status quo gerüttelt wird.

Diese Beurteilung würde der anstehenden Reform jedoch nicht gerecht. Sie erfüllt einige lang gehegte Bedürfnisse, ohne durch sachlich unbegründete Anreize verwässert zu werden. Namentlich

  • ermöglicht sie eine gestaffelte Pensionierung mit sehr viel grösserer Flexibilität (Neuregelung Vorbezug/Aufschub);
  • erhöht sie die Attraktivität von Weiterbeschäftigung im Alter (Anrechnung Beitragsjahre und Einkommen nach Alter 65);
  • berücksichtigt sie die gestiegene Lebenserwartung (neue Faktoren Vorbezug/Aufschub);
  • schafft sie wieder Gleichstellung beim Rentenalter zwischen Mann und Frau (Angleichung Rentenalter);
  • sichert sie die Renten für die nächsten Jahre (Erhöhung Frauenrentenalter, MWST-Finanzierung).

Insgesamt wird die AHV flexibler und fairer, ohne dass erhebliche Mehrkosten auf die Bevölkerung zukommen. Die gefürchtete MWST-Erhöhung schlägt für den durchschnittlichen Haushalt mit zwischen CHF 85.– und CHF 215.– pro Jahr zu Buche, je nach Familienstand und Einkommen. Die Arbeitsleistung wird nicht mit höheren Beiträgen belastet, die Mehrausgaben für den Staat finanziert schlussendlich der Steuerzahlende – ein System, das ebenfalls einer sozialen Komponente unterliegt.

Fast so flexibel wie die Menschen

Was bei der beruflichen Vorsorge bereits zum Alltag gehört, ist jetzt auch in der ersten Säule möglich. Renten können zeitlich frei vorbezogen oder aufgeschoben werden – nicht nur als Ganzes, sondern auch als Teilrenten. Viele Menschen möchten nicht mehr von heute auf morgen vollständig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Sie möchten die Phase gestalten und beispielsweise vor 65 schon etwas kürzertreten, dafür über das Referenzalter hinaus mit reduziertem Pensum erwerbstätig bleiben. Das ist jetzt auch bei der AHV möglich.

Die Rentenkürzungssätze bei Vorbezug sinken, die Rentenzuschläge bei Aufschub ebenfalls. Damit wird die (Teil-) Frühpensionierung attraktiver. Die Flexibilisierung lässt aber nicht nur eine Gestaltung der Pensionierungsphase zu, sondern auch eine finanzielle Optimierung. Wer die Erwerbstätigkeit aufgibt oder stark reduziert, schuldet bis Alter 65 AHV-Beiträge als Nichterwerbstätiger. Wer noch erwerbstätig ist – auch über das Referenzalter hinaus –, kann je nach Reglement die berufliche Vorsorge weiter äufnen und in die Säule 3a einzahlen – beides reduziert die Steuerbelastung. Durch die flexible Rentengestaltung bei der AHV haben auch Personen mit tieferer Vorsorge mehr Optimierungsmöglichkeiten.

Eine Chance für die «Älteren»

Bisher haben Personen, die über das Referenzalter hinaus arbeiten, einen Rentnerfreibetrag zugute, auf dem keine AHV-Beiträge mehr abgerechnet werden müssen. Auf dem übersteigenden Betrag müssen jedoch weiterhin Beiträge bezahlt werden, ohne dass diese an die eigene Rente angerechnet werden.

Neu besteht ein Wahlrecht bezüglich Rentnerfreibetrag. Zusätzliche Beitragsjahre können allfällige Beitragslücken füllen. Das durchschnittliche Einkommen und damit die Rentenhöhe kann positiv beeinflusst werden. Wahlmöglichkeiten bedingen jedoch immer einerseits die Kenntnis derselben, um sie zu nutzen, und andererseits die Kompetenz, um eine Wahl zu treffen. Denn wer bereits eine ganze Maximalrente erhält, dem nützen zusätzliche Beiträge nichts (ausser dem guten Gefühl, etwas für die Allgemeinheit getan zu haben).

Die neuen Bestimmungen zur Weiterarbeit müssen daher vor allem die Menschen mit Erwerbsunterbrüchen (Auslandaufenthalt, Familienauszeit, Ausbildungsjahre) oder mit durchschnittlich tiefem Einkommen kennen.

Geht es um die Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus, hört man oft das Argument: «Ältere bekommen sowieso keinen Job mehr». Tatsächlich waren 2022 rund 76% der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 55 und 64 Jahren erwerbstätig, ein Wert, der in den letzten zwölf Jahren um 7,5% gestiegen ist.1 Die «Älteren» sind also erwerbstätiger denn je. Die Suche nach einem neuen Job kurz vor der Pensionierung kann jedoch eine Herausforderung sein. Eine längere Erwerbszeit hilft, denn es ist nicht nur das Alter an sich massgebend, sondern auch die noch verbleibende Anzahl Erwerbsjahre (die bei Erhöhung der Erwerbszeit mitsteigt). Voraussetzung ist zweifellos auch, seine Job-Fitness hochzuhalten und Erfahrung nicht in Anzahl Jahren zu messen, sondern in verwertbarem Knowhow. Dann können ältere Mitarbeitende Teil der Lösung des Fachkräftemangels sein. Die Reform der beruflichen Vorsorge BVG21 nimmt diese Thematik mit der Neuregelung der Altersgruppen für die Sparbeiträge auf:

Altersklasse Beiträge bisher Beiträge geplant
25–34 7% 9%
35–44 10% 9%
45–54 15% 14%
55–65 18% 14%

Bedeutung für die Frauen

Nicht nur die Angleichung des Rentenalters an sich gab Anlass zu Diskussionen, sondern auch das Ausmass an Ausgleichsmassnahmen, das Frauen gewährt werden soll. Das Endergebnis sieht vor, dass die Erhöhung schrittweise vollzogen wird und neun Jahrgänge (1961–1969) von Ausgleichsmassnahmen profitieren.

Das Frauenrentenalter wird ab 2025 erhöht, jeweils jährlich um drei Monate. Ab 2028 gilt dann tatsächlich «generell 65».

Jahr Jahrgang Referenzalter
2024 1960 64 Jahre
2025 1961 64 Jahre und 3 Monate
2026 1962 64 Jahre und 6 Monate
2027 1963 64 Jahre und 9 Monate
2028 1964 65 Jahre

Für die Arbeitgebenden bedeutet das für die nächsten Jahre erhöhte Aufmerksamkeit bei der Berechnung des tatsächlichen Rentenalters ihrer Mitarbeiterinnen. Im Idealfall berechnet das Lohnsystem dieses automatisch, ansonsten bietet auch die Webseite des Bundes entsprechende Berechnungstools. Diese Übergangsphase gilt es auch in der Personalplanung zu berücksichtigen.

Frauen der Übergangsgeneration profitieren in jedem Fall:

  • Frühpensionierung: tiefere Kürzungssätze, d.h. weniger Rentenkürzung trotz früherer Pensionierung
  • ordentliche Pensionierung: lebenslanger Rentenzuschlag, d.h. höhere Renten

Bei beiden Massnahmen ist eine soziale Komponente eingebaut. Frauen mit tiefem durchschnittlichem Einkommen profitieren weniger als Frauen, die relativ gut verdient haben. Die Gruppen werden eingeteilt nach durchschnittlichem Jahreseinkommen:

  • Gruppe 1 bis CHF 57 360.–
  • Gruppe 2 zwischen CHF 57 361.– und CHF 71 700.–
  • Gruppe 3 über CHF 71 700.–

Chancen für die Unternehmen

Aktuell ist die ganze Arbeitswelt im Umbruch. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr täglich zu festen Zeiten an einen Arbeitsplatz pendeln, sondern von irgendwoher zu irgendeiner Tageszeit ihre Arbeit verrichten. Sie wollen frei sein wie Selbstständigerwerbende und doch die Sicherheit einer Anstellung geniessen. Arbeitgebende sind gezwungen, sich auf diese neuen Bedürfnisse einzustellen. Zugleich sehen sie sich konfrontiert mit gesetzlichen Bestimmungen, die diesem Wandel noch nicht gerecht werden.

Ob wir wollen oder nicht, die Veränderung kommt. Die BVG21 steht vor der Tür, Europa wird flexibler, Drittstaaten schaffen Sondervisen. Wer nicht bis zum letzten Moment damit wartet, umzusetzen, was umgesetzt werden muss, kann sich jetzt noch einen Vorsprung verschaffen.

Die Personalreglemente und Arbeitsverträge müssen aufgrund der Anpassungen der AHV21 ohnehin überprüft und allenfalls angepasst werden. Vertragsanpassungen bedingen gegenseitiges Einverständnis. Insbesondere bei einer grösseren Anzahl Mitarbeitenden kann sich das zu einem langwierigen Einigungsprozess auswachsen. Es empfiehlt sich, die Reglemente einer Gesamtrevision zu unterziehen, die BVG21 bereits vorwegzunehmen und sich mit fortschrittlichen Bedingungen sowohl für bestehende als auch für neue Mitarbeitende attraktiv zu halten.

Die Vorsorgestiftungen müssen ihre Reglemente ebenfalls auf Anpassungsbedarf hin prüfen. In Harmonisierung mit dem Personalreglement lohnt sich auch hier die Prüfung einer Lösung, die für Arbeitnehmende attraktiv ist (Weiterbeschäftigung nach 65, Teilzeitarbeit, Wahlpläne etc.).

Einen zusätzlichen Bonus können sich Arbeitgebende holen, indem sie ihre Mitarbeitenden fürsorglich informieren über die neuen Möglichkeiten in der Vorsorge. Sie können Teil der persönlichen Pensionierungsplanung ihrer Mitarbeitenden werden und so die eigene Personalplanung optimieren.

Checkliste: Must-dos/Can-dos

Must-dos:

  • Arbeitsverträge/Personalreglement prüfen und nötigenfalls anpassen
  • Informationspflichten und zugehörige Prozesse prüfen und umsetzen
  • Nötige Anpassungen Lohnsystem sicherstellen
  • Notwendigkeit Anpassung PK-Reglement prüfen
  • Umsetzung MWST-Erhöhung

Can-dos:

  • Personalreglement anpassen für moderne Arbeitsformen
  • Vorsorgeplan überprüfen auf die Attraktivität für verschiedene Personengruppen für die Gewinnung von neuen und Bindung von bestehenden Mitarbeitenden
  • Informationsanlass und/oder individuelle Informationsangebote für Mitarbeitende organisieren
  • Auswirkungen der Reform auf die Personalplanung prüfen und optimieren
  • Individuelle Pensionierungspläne erarbeiten

Fazit

Arbeitgebende müssen die zwingenden Anpassungen der Reform AHV 21 umsetzen. Wer etwas mehr investiert, kann die nächste Reform BVG 21 bereits vorwegnehmen und sich für den Wettbewerb um die besten Fachkräfte in eine gute Position bringen.

 

Fussnote:
1) SAKE Schweizerische Arbeitskräfteerhebung nach Alter

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