Grenzüberschreitende Telearbeit: Was ändert sich durch die neue Rahmenvereinbarung?

Der Sommer ist vorbei, und es schleicht sich wieder der Gedanke ein, man könnte seine Arbeit auch an einem wärmeren Ort verrichten. Mittlerweile haben viele erkannt, dass dies — insbesondere, wenn es über eine Landesgrenze geht — einige rechtliche Herausforderungen mit sich bringt. Eine neue Rahmenvereinbarung soll das grenzüberschreitende Arbeiten erleichtern. Doch auch sie ist kein Freifahrtschein, das Büro auf eine sonnige Insel zu verlegen.

20.10.2023 Von: Myriam Minnig
Grenzüberschreitende Telearbeit

Grenzüberschreitende Telearbeit: Wichtige Grundlagen

Grundsätzlich gilt es mehrere Bereiche zu prüfen, wenn jemand im Ausland arbeiten will: Arbeitsbewilligung sowie anwendbares Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Die neue Rahmenvereinbarung bezieht sich ausschliesslich auf Letzteres.

Bei der Prüfung der Unterstellung – also der Frage, in welchem Land man Sozialversicherungsbeiträge bezahlt und Leistungen bezieht – ist vorab zu prüfen, ob und welches Sozialversicherungsabkommen anwendbar ist und welche Bereiche dieses abdeckt. In Europa gibt es zwei wichtige multilaterale Abkommen: Das Freizügigkeitsabkommen FZA mit der EU und das EFTA-Übereinkommen. Diese gelten für Staatsangehörige der Schweiz und der EU bzw. der EFTA. Diese Abkommen werden durch die neue Rahmenvereinbarung ergänzt, nicht ersetzt. Somit gelten die bisherigen Regeln grundsätzlich unverändert. Wir unterscheiden weiterhin:

  • Gewöhnliche Tätigkeit in einem anderen Staat: Federico ist Italiener und wohnt in Italien, arbeitet aber in der Schweiz. Er arbeitet also grundsätzlich in einem anderen Staat, als er wohnt.
  • Mehrstaatentätigkeit: Frederike ist Deutsche, wohnt in Deutschland und arbeitet zwei Tage pro Woche im Homeoffice und drei Tage am Arbeitgebersitz in der Schweiz.
  • Entsendung: Frank ist Deutscher, wohnt und arbeitet in der Schweiz. Der Arbeitgeber schickt ihn für zwei Jahre nach Frankreich, um dort ein Projekt zu leiten.

Die in diesem Artikel erwähnten Verordnungsartikel beziehen sich auf die Grundverordnung VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009.

Art. 11 Abs. 3 lit. a) besagt, dass Arbeitnehmende grundsätzlich in dem Staat unterstellt sind, in dem sie ihre Erwerbstätigkeit ausüben. Federico aus obigem Beispiel dürfte somit in der Schweiz unterstellt sein.

Art. 13 regelt die Mehrstaatentätigkeit. Abs. 1 lit. a) besagt, dass Arbeitnehmende im Wohnstaat unterstellt sind, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Erwerbstätigkeit ausüben (25-%-Regel). Frederike aus obigem Beispiel dürfte somit in Deutschland unterstellt sein, da die zwei Tage Homeoffice 40% ausmachen.

Art. 12 regelt die Entsendung. Diese ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen, einen Mitarbeitenden für eine beschränkte Zeit im Ausland zu beschäftigen mit Beibehaltung der Unterstellung im Arbeitgeberstaat. Frank aus obigem Beispiel könnte somit in der Schweiz unterstellt bleiben, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind.

Dann gibt es noch den Art. 16 Abs. 1, der Ausnahmeregelungen vorsieht. Dieser lässt eine Hintertür offen, durch die Staaten in gegenseitigem Einverständnis von den üblichen Regelungen abweichen können, wenn dies im Interesse bestimmter Personen oder Personengruppen liegt.

Was ändert sich durch die neue Rahmenvereinbarung?

Am 1. Juli 2023 ist die Rahmenvereinbarung «Multilaterial Framework Agreement MFA» in Kraft getreten. Diese hat das Ziel, erweitertes Homeoffice im Ausland zu ermöglichen. Wer jeweils nur die Headlines liest, verpasst allerdings den Teufel im Detail und freut sich womöglich zu früh über die ganz grosse Flexibilität. Nachfolgend die wichtigsten Elemente und Abgrenzungen, was die neue Rahmenvereinbarung möglich macht und was nicht.

Bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um eine Regelung zur Anwendung der Ausnahmeregelung nach Art. 16 Abs. 1. Sie besagt, dass die Unterstellung im Sitzstaat des Arbeitgebenden bleiben kann, wenn die Tätigkeit im Wohnstaat ab 25 und unter 50% liegt. Im Unterschied zur üblichen Anwendung der Ausnahmeregelung muss das Einverständnis des Wohnstaats nicht eingeholt werden, das ist mit der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung gegeben. Die Mehrstaatenregelung nach Art. 13 bleibt jedoch unberührt, die Rahmenvereinbarung ist lediglich eine ergänzende Option. Daher bedarf die Anwendung der Rahmenvereinbarung eines «Opt-in».

Beispiel im Fall Frederike

Frederike arbeitet 40% im Wohnstaat Deutschland und 60% im Arbeitgeberstaat Schweiz. Nach Art. 13 wäre sie folglich in Deutschland unterstellt, da die 25% überschritten werden. Es besteht nun aber die Möglichkeit, die Unterstellung in der Schweiz zu belassen, denn die 40% fallen in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung. Das bedingt ein «Opt-in» und beidseitiges Einverständnis. Konkret kann über die ALPS-Plattform eine neue Bescheinigung A1 beantragt werden für den Geschäftsfall «grenzüberschreitende Telearbeit».

Fazit: Bei einem Homeoffice-Anteil ab 25 und unter 50% besteht faktisch ein Wahlrecht, ob nach deutschem oder nach Schweizer Recht abgerechnet werden soll. Fällt der Homeoffice-Anteil unter 25% bzw. erreicht er 50% oder mehr, fällt der Sachverhalt aus dem Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung heraus. Dann gelten wieder die üblichen Koordinationsregeln ohne Wahlrecht.

Wann ist die Rahmenvereinbarung nicht anwendbar?

Da es sich um eine Ergänzung zur Grundverordnung handelt, ist die Rahmenvereinbarung nur dann anwendbar, wenn der Sachverhalt unter das FZA oder das EFTA-Übereinkommen fällt. Das bedeutet auch, dass sie nur dann anwendbar ist, wenn die betroffenen EU-/EFTA-Staaten die ergänzende Rahmenvereinbarung unterzeichnet haben. Welche das sind, kann über die Webseite des föderalen öffentlichen Diensts abgerufen werden.1

Die Rahmenvereinbarung bezieht sich zudem ausschliesslich auf gewöhnlichegrenzüberschreitende Telearbeit im Wohnsitzstaat in Kombination mit gewöhnlicher Tätigkeit im Sitzstaat des Arbeitgebers, wie dies typischerweise der Fall ist bei Homeoffice. Sie umfasst nicht gewöhnliche andere Tätigkeiten und/oder auch nicht gewöhnliche Tätigkeiten in anderen als diesen Staaten. Sie umfasst ebenfalls keine Selbstständigerwerbenden.

Beispiele im Fall Frederike

(wo nicht anders angegeben, gilt die Ausgangslage von oben)

Staatsangehörigkeit
Frederike hat nicht die deutsche, sondern die norwegische Staatsangehörigkeit. Sie lebt als EFTA-Bürgerin in einem EU-Staat. Somit ist weder das FZA noch das EFTA-Übereinkommen und in der Folge auch nicht die Rahmenvereinbarung anwendbar.

Wohn- und Arbeitgebersitz
Frederike zieht um nach Italien. Damit fällt das Arbeitsverhältnis aus dem Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung raus, da Italien diese (als einziger Nachbarstaat) nicht unterzeichnet hat.

Mehrere Arbeitgebende
Frederike jobbt nebenbei noch für einen anderen Arbeitgeber im Wohnstaat Deutschland. Die Rahmenvereinbarung ist nicht anwendbar, weil sie eine gewöhnliche Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber in einem anderen Staat als dem Sitzstaat des Arbeitgebers hat. Wäre der andere Arbeitgeber ebenfalls in der Schweiz, wäre sie anwendbar, und die weitere Tätigkeit wird bei der Berechnung der 50 Prozent mitberücksichtigt. Handelt es sich jedoch um einen selbstständigen Nebenerwerb, entfällt die Anwendbarkeit aufgrund der Selbstständigkeit.

Noch nicht ganz klar ist, ob der Nebenerwerb aufgrund Marginalität ignoriert werden kann (5-%-Regel). Da die Rahmenvereinbarung die Regel nicht erwähnt muss wohl davon ausgegangen werden, dass dem nicht so ist, sodass selbst die kleinste Tätigkeit in einem anderen Staat die Anwendung der Rahmenvereinbarung verhindert.

Geschäftsreisen in andere Länder
Frederike muss in ihrem Job regelmässig geschäftlich nach Österreich reisen. Das verhindert die Anwendbarkeit der Rahmenvereinbarung, da ein anderer Staat als Wohn- und Arbeitgebersitz involviert ist.

Tipp: Handelt es sich nur um gelegentliche Reisen, kann jeweils eine Entsendung beantragt werden für die Dauer der Tätigkeit im anderen Staat, also pro Reise. Frederike hat dann ein A1 für grenzüberschreitende Telearbeit und ein A1 für die einzelne Reise nach Österreich.

Definition und Umfang der Telearbeit

Telearbeit bedingt die Verwendung von Informatikmitteln. Das beinhaltet eine normalerweise bestehende digitale Verbindung mit der Infrastruktur des Arbeitgebers. Manuelle Arbeiten sind in der Regel ausgeschlossen.

Beispiel

Frederike arbeitet als Professorin an einer Schweizer Universität. Im Homeoffice in Deutschland schreibt sie Forschungsberichte und bereitet Lektionen vor (IT-Verbindung zur Universität steht) oder korrigiert Prüfungen von Studenten (keine IT-Verbindung). In diesem Fall dürfte die Definition von Telearbeit erfüllt sein. Im Einzelfall ist jeweils zu prüfen, welche Tätigkeiten genau wo ausgeübt werden und ob jeweils eine IT-Verbindung steht oder nicht.

Die Beurteilung des Umfangs von Telearbeit basiert auf einer Prognose für die nächsten zwölf Monate. Es ist daher nicht schädlich für die Anwendbarkeit der Rahmenvereinbarung, wenn ein Mitarbeitender in einem Monat über 50% im Homeoffice arbeitet, wenn sich das über die zwölf Monate wieder ausgleicht. Ein regelmässiger Wechsel wird jedoch vorausgesetzt. Diese recht schwammige Regelung lässt einen gewissen Ermessensspielraum zu. Dennoch ist zu empfehlen, die Grenzen nicht allzu grosszügig auszuloten.

Gültigkeit und Fristen

Die Rahmenvereinbarung gilt seit dem 1. Juli 2023. Sollte künftig ein weiterer Staat unterzeichnen, gelten die Regelungen im Verhältnis zu diesem Staat ab dem Folgemonat nach Unterzeichnung.

Die Bescheinigung A1 für grenzüberschreitende Telearbeit ist drei Jahre gültig, und kann nahtlos erneuert werden, sofern sich der Sachverhalt nicht geändert hat. Grundsätzlich ist das A1 gültig ab Zeitpunkt des Antrags, kann aber bis zu drei Monate rückwirkend ausgestellt werden. Während einer Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2024 können A1 für grenzüberschreitende Telearbeit rückwirkend per 1. Juli 2023 beantragt werden.

Ein Hauch von «working from anywhere»

Für all jene, die nun enttäuscht sind über die eingeschränkte Anwendung der Rahmenvereinbarung, gibt es doch noch einen Lichtblick. Bei Entsendungen nach Art. 12 konnten sich die Staaten auf eine einheitliche Auslegung einigen.

Während Entsendungen bisher nur im Interesse des Arbeitgebenden erfolgen konnten, ist die Begründung neu unerheblich. So kann bis zu 100% grenzüberschreitende Telearbeit geleistet werden, wenn der Einsatz vorübergehend punktuell geschieht und die übrigen Entsendebedingungen erfüllt sind. Sind Arbeitnehmende und Arbeitgebende sich einig, wird beispielsweise die Entsendung in eine Feriendestination oder vollumfängliches Homeoffice im Ausland während einer medizinischen Behandlung möglich. Sie ist auf maximal 24 Monate beschränkt ohne Möglichkeit einer Verlängerung.

 

Quellen und Hinweise:
1) tinyurl.com/yckue2v3
2) Gewöhnlich bezieht sich in diesem Zusammenhang auf den Normalfall, wenn also die Tätigkeit üblicherweise und nicht nur ausnahmsweise ausgeübt wird.

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