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Bestellungsänderungen: Bei Bauwerkverträgen

Bei Bauwerkverträgen wird selten ausgeführt, was ursprünglich bestellt wurde. Bestellungsänderungen kommen vom Bauherrn, vom Kunden des Bauherrn und nur gelegentlich vom Unternehmer. Während das Werkvertragsrecht des OR keine Bestellungsänderungen vorsieht, werden diese in der bauspezifischen SIA-Norm 118 thematisiert.

23.04.2024 Von: Matthias Streiff
Bestellungsänderungen

Grundsätzliches zur Bestellungsänderung

Der abgeschlossene Werkvertrag bindet beide Seiten. Leistungen, Termine und Preise werden damit fixiert. Pacta sunt servanda - so der römisch-rechtliche Leitsatz. Das ist auch die werkvertragliche Ausgangslage, welche das Obligationenrecht (OR) abbildet. 

Das praktische Bedürfnis bei Bauprojekten sieht jedoch anders aus, denn der Bauherr benötigt Spielraum bei der Bestellung. Es gilt drei Varianten zu differenzieren: 

  • Ein Werkvertrag, der ausschliesslich dem OR folgt, kann grundsätzlich nur über neuen Konsens, also einen gemeinsam vereinbarten «Nachtrag», abgeändert werden. Über OR 377 stehen dem Besteller jedoch einseitige Kündigungsrechte zu, was auch im Rahmen von Teilkündigungen praktiziert werden kann. So kann der Besteller auf Teilleistungen verzichten (was jedoch auch entsprechend über OR 377 abzurechnen ist). Der Besteller kann den Unternehmer jedoch nicht zu Mehrleistungen verpflichten, denn Mehrleistungen sind in OR 377 nicht enthalten. Der Unternehmer kann den Wunsch auf Mehrleistungen ablehnen. 
  • Ein Werkvertrag, der der SIA Norm 118 unterstellt ist, beinhaltet vertragliche Abreden über Bestellungsänderungen, so die Art. 84 ff. der SIA Norm 118. Das OR wird durch vertragliche Abreden teilweise verdrängt und ergänzt. Damit wird ein bedingter, beschränkter change modus initiiert. Das ist ein Teil der Vertragsfreiheit. Die SIA Norm 118 regelt das praktische Bedürfnis der Baustelle: Der Bauherr kann nur, aber immerhin, die Art und Weise der Herstellung oder die Menge einseitig abändern, so lange der Gesamtcharakter des Werkes bestehen bleibt. Eine einseitige Abänderung betreffend der Vergütung ist selbstredend nicht möglich.
  • Ein Werkvertrag über das öffentliche Submissionswesen ist grundsätzlich nicht abänderbar, ansonsten die Submission unterlaufen würde. Es stellt sich da die dogmatische Frage, ob (und wie weit) Submissions-Werkverträge die auch der SIA Norm 118 unterstehen, gleichwohl über die Art. 84 ff. angepasst werden können. 

Das einseitige Änderungsrecht des Bestellers ergibt sich nicht aus dem Gesetz und muss daher ausdrücklich im Vertrag selbst (durch Einfügen von change-modus Klauseln) oder durch den pauschalen Einbezug der SIA-Norm 118 vereinbart werden. Bestellungsänderungen im Rahmen der SIA-Norm 118 führen zu veränderten Mengen, Mehr- oder Minderleistungen und folglich zu Anpassungen der Preise. Ebenso bedeutsam ist, dass auch der Bauablauf und die Koordination der Zulieferungen tangiert werden mit Auswirkungen auf Fristen und Termine. Während der Unternehmer einerseits vertraglich verpflichtet ist, derartige Bestellungsänderungen anzugehen - er hat kein Leistungsverweigerungsrecht – stehen dem Unternehmer deshalb andererseits bei Bestellungsänderungen auch Anpassungen von Preisen und Terminen (Art. 90) zu. Das ist zum Schutz des Synallagmas vorgesehen. 

Bedingt eine Bestellungsänderung eine Anpassung der Baubewilligung, über Melde-, Anzeige- oder ordentliches Verfahren, so ist das grundsätzlich Sache des Bauherrn und seines Architekten. 

Vergütungen bei Bestellungsänderungen gemäss der SIA-Norm 118 Art. 86 bis Art. 89

Mit Einheitspreis (SIA-Norm 118 Art. 86)

Wird durch eine Bestellungsänderung die zu einem Einheitspreis gehörende Menge gegenüber der im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Menge verändert, so wird wie folgt unterschieden:

Beträgt die Abweichung nicht mehr als 20%, dann bleibt der vereinbarte Einheitspreis für die gesamte Menge massgebend. Bei Änderungen über 20%, welche also auf mehr als 120% oder weniger als 80% zielen, wird für den übersteigenden bzw. unterschrittenen Teil ein neuer Einheitspreis vereinbart. Basis für diesen Nachtragspreis bildet die ursprüngliche Kostengrundlage. Im Werkvertrag kann jedoch auch von der 20%-Grenze abgewichen und die Toleranzgrenze anders festgesetzt werden.

Ohne Einheitspreis (SIA-Norm 118 Art. 87)

Fordert der Bauherr durch die Bestellungsänderung eine Leistung, für die das Leistungsverzeichnis keinen Einheitspreis enthält, muss ein zusätzlicher Einheitspreis als Nachtragspreis vereinbart werden. Dabei soll der Einheitspreis auf der Basis des Einheitspreises für die ähnlichste vertragliche Leistung und aufgrund der ursprünglichen Kostengrundlage festgesetzt werden (Primat der Preisfortsetzung). Kommt keine Vereinbarung zustande, kann der Bauherr die Arbeiten in Regie ausführen lassen. Wird dazu preislich nichts mehr vereinbart, dann gelten grundsätzlich die «Marktpreise» (BGE 143 III 545). 

Pauschalpreis (SIA-Norm 118 Art. 89)

Führt eine Bestellungsänderung zur Änderung einer pauschal zu vergütenden Leistung, so wird für diese Leistung ein Mehr- oder Minderpreis vereinbart. Der vereinbarte Pauschalpreis wird durch einen solchen Nachtragspreis ersetzt oder ergänzt. Basis für diesen Nachtragspreis ist gemäss SIA-Norm 118 Art. 89 Abs. 2 i.V.m SIA-Norm 118 Art. 62 Abs. 2 die Kostengrundlage im Zeitpunkt der Bestellungsänderung (Primat Preisfortsetzung).

Kommt keine Vereinbarung zustande, so ist gemäss SIA-Norm 118 Art. 89 Abs. 4 durch Verweis auf SIA-Norm 118 Art. 87 Abs. 4 auf eine Ausführung in Regie abzustellen (Vergütung in Regie). Das ist elegant, aber wenn eine Preisabmachung zum Regie-Tarif fehlt, dann hilft dieser Verweis auch nicht weiter. Dazu hat das Bundesgericht in einem neueren Entscheid (BGE 143 III 545) festgehalten, dass im Streitfall über die Vergütungshöhe derartiger Leistungen gerade nicht auf Art. 89 Abs. 4 abgestellt werde, bzw. keine Abrechnung in Regie erfolgen soll. Der Nachtragspreis muss objektiv und unabhängig von der Kostenstruktur und dem Ermessen des Unternehmers festgelegt werden. Eine Objektivierung wird angestrebt. Daher soll für die Bestimmung der Nachtragspreise bei vereinbarten Pauschalpreisen generell auf die «allgemeinen Marktpreise im Zeitpunkt der Bestellungsänderung» abgestellt werden. Das Gericht hat bei der Festsetzung derartiger Nachtragspeise einen Ermessensentscheid zu treffen und dabei alle Preiselemente zu berücksichtigen, die von den Parteien vorgebracht werden.

Daraus leitet sich für die Kaufleute auf Unternehmer- und Bestellerseite ab, dass sie sich sinnvollerweise jeweils vor Beginn der Arbeiten der Bestellungsänderung auf einen Preis einigen. Ohne einen Konsens über die Nachträge werden teure Prozesse zu führen sein. 

Vergütung bei Bestellungsänderungen nach OR

Einigen sich die Parteien bei Werkverträgen, die alleine dem OR folgen, auf Bestellungsänderungen, dann sollte sich die Einigung auch auf Preise und Termine richten. 

Unterlassen die Parteien bei Bestellungsänderungen eine Einigung über den Werklohn, so gilt diesbezüglich OR 374. Die SIA Norm 118 ist dann nicht anwendbar. Folglich bemisst sich die Vergütung der Bestellungsänderung anhand des Wertes der Arbeit und der Aufwendungen des Unternehmers (OR 374). 

Grundsätzlich sind dann die Selbstkosten des Unternehmers für zielgerichtete, notwendige, effiziente Leistungen zu vergüten. Unseres Erachtens werden auch da im Zweifelsfall die «Marktpreise» heranzuziehen sein, wenn die Grundlagen der unternehmerischen Selbstkosten zu wenig transparent (substantiiert) sind (wobei Marktpreise nicht den Branchentarifen entsprechen). So oder so wird das Gericht hier erhebliches Ermessen haben. 

Entspricht die Bestellungsänderung einem Verzicht auf eine Teilleistung, so wird das bei reinen OR Verträgen sinngemäss unter OR Art. 377 subsumiert. 

Nachtragsmanagement und Fristen

Eine Bestellungsänderung kann Einfluss auf die Vertragsfristen, insbesondere die Ausführungsfristen haben. Auch die Zahlungsfristen, Akonti etc. sind davon betroffen. Betroffen sind oft auch Fertigstellungfristen und damit verbunden allfällige Konventionalstrafen. Allfällige Zulieferengpässe sind zu berücksichtigen. Die Bestellungsänderung ist wie jeder Nachtrag vollständig zu erfassen; also bezüglich Leistung, Qualität, Termine, Fristen und Preise zu planen und zu kalkulieren. 

Die SIA-Norm 118 bleibt dazu schemenhaft pragmatisch und gibt in Art. 90 dem Unternehmer ein Recht auf Anpassung der Fristen, wobei diese zu vereinbaren wären – was wiederum Konsens bedingt. Der Hinweis in SIA Norm 118 Art. 90 auf «Fristen» ist folglich weit zu verstehen und vom Unternehmer aktiv anzugehen. Das bedingt eine Kalkulation und mehrdimensionale Disposition der Bestellungsänderung. 

Es liegt auf der Hand, dass Bestellungsänderungen administrativ und baulich genau zu führen sind. Baumängel können auch in gebauten Abweichungen zu Bestellungsänderungen auftreten, Mehrpreise bedingen entsprechende Absprachen und das Einhalten von Fristen und Terminen ist schnell an Verzug und Schadenersatz gekoppelt. Die Nachvollziehbarkeit von Bestellungsänderungen ist da entscheidend. Und beweisrechtlich sind Schriftstücke immer besser als Behauptungen. 

Sinn und Unsinn

Bei noch nicht absolut und endgültig definierten Bestellungen sind die Parteien in der Baubranche gut beraten, sich der SIA-Norm 118 zu unterwerfen und damit eine grundsätzlich taugliche Regelung zu treffen. Aus der Möglichkeit der jederzeitigen Bestellungsänderung durch den Bauherrn hat sich jedoch teilweise eine Untugend entwickelt: Es werden Werkverträge frühzeitig abgeschlossen, bevor die exakte Leistung und annähernd genaue Termine definiert werden können. Das Änderungsrecht über die SIA Norm 118 soll es dann richten. 

Als Beispiel der Werkvertrag vor Bestand einer rechtskräftigen Baubewilligung: da müssen unter Umständen «Auflagen» oder «Projektanpassungen» berücksichtigt werden, die den ursprünglichen Plänen widersprechen. Dann gibt es vor Baustart Bestellungsänderungen. 

Derartiges Vorgehen widerspricht dem Gebot von SIA Norm 118 Art. 5 Abs. 1, wonach die Ausschreibung ein hinreichend klares Projekt voraus setzt. Starten die Bauarbeiten bereits mit Projekt- und Bestellungsänderungen, führt das zu einer rollenden dynamischen Planung, bei der Fristen, Leistungen und Preise, aber oft auch die Qualität dauernd hinterfragt und geändert werden. 

Ein anderer Unsinn liegt darin, jede Weisung des Bauherrn als «Bestellungsänderung» einem Nachtragsverfahren zu unterziehen und so den Bauablauf zu hemmen und zu verkomplizieren. Wählt der Bauherr eine andere Farbe bei einem Anstrich, dann ist das eher eine Konkretisierung der ursprünglichen Bestellung als eine Bestellungsänderung. Anders wiederum, wenn anstelle von mineralischen doch synthetische Verputze (Kunstharzprodukte) verwendet werden sollen. Eine solche Änderung kann andere bauphysikalische Eigenschaften haben und Umplanungen erfordern. Beim Wechsel von Dämmstoffen in der Fassade können beispielsweise die Brandschutzanforderungen ändern. Es ist Augenmass anzuwenden. 

So oder so gilt für beide Seiten, das Nachtragswesen mit den Bestellungsänderungen immer à jour, akkurat und (schriftlich) nachvollziehbar zu führen. Es gibt dann immer noch genügend Differenzen, über die es sich zu debattieren lohnt. 

Grundlagen

SIA-Norm 118 Art. 84 ff., Art. 363 ff. OR 

Alfred Koller, Schweizerisches Werkvertragsrecht, St. Gallen 2015. S. 46 ff.

BGE 143 III 545 (BGE 4A_125/2017) vom 20.11.2017

Gauch / Stöckli, SIA Norm 118, Zürich 2017, Vorbemerkungen zu Art. 84 - 91

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