Neues Aktienrecht: Die Zukunft ist nachhaltiger und digital

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Neues Aktienrecht: zeitlicher Horizont
Mit der Verabschiedung der parlamentarischen Aktienrechtsrevision am 19. Juni 2020 hat die Schweiz nach langjähriger Diskussion ein modernisiertes Aktienrecht erhalten, welches den veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen sowie den technologischen Entwicklungen gerecht werden kann. Die Bestimmungen des neuen Aktienrechts sind am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Einzig die neuen Geschlechterrichtwerte sowie die Transparenzregeln im Rohstoffsektor waren bereits auf den 1. Januar 2021 in Kraft getreten.
Klare Steigerung von Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung trotz Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative
Neues Aktienrecht ist ein wesentlicher Schritt Richtung nachhaltigere Entwicklung sowie erhöhte soziale Verantwortung von Aktiengesellschaften. Bereits seit dem 1. Januar 2021 haben Rohstoffunternehmen jährlich einen Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen zu verfassen (Art. 964d OR). Dabei handelt es sich um Unternehmen, die gesetzlich zu einer ordentlichen Revision verpflichtet und in den «Gebieten der Exploration, Prospektion, Entdeckung, Erschliessung und Förderung von Mineralien, Erdöl- und Erdgasvorkommen und des Einschlags von Holz in Primärwäldern» tätig sind. Daneben haben seit 1. Januar 2021 kotierte Aktiengesellschaften auch Geschlechterrichtwerte von mindestens je 30% im Verwaltungsrat (VR) und je 20% in der Geschäftsleitung zu beachten (Art. 734f OR). Falls diese Quoten nicht erreicht werden, hat das Unternehmen zu begründen, weshalb die Geschlechter nicht ausreichend vertreten sind, und darzulegen, mit welchen Massnahmen das unzureichend vertretene Geschlecht gefördert wird (indes mit kulanter Übergangsfrist für Berichterstattungspflicht der Einhaltung bis Ende 2025 für VR und bis Ende 2030 für Geschäftsleitung).
Am 29. November 2020 hatten Schweizer Volk und Stände die Konzernverantwortungsinitiative aufgrund eines fehlendes Ständemehrs knapp abgelehnt. Faktisch ist dadurch jedoch der inhaltlich konkretere, indirekte Gegenvorschlag des Parlaments gutgeheissen worden. Dieser ist als Gesetz ausformuliert und wurde auf den 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt.
Der hart geführte Wahlkampf um die Konzernverantwortungsinitiative, das äusserst knappe Resultat sowie auch die gesetzliche Formulierung des indirekten Gegenvorschlages zeigen deutlich, dass das neue Schweizer Aktienrecht zweifellos dem gemeinsamen Ziel von Initiative sowie auch Gegenvorschlag gerecht werden muss: Schweizer Unternehmen sollen Mensch und Umwelt auch im Ausland achten.
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Zu diesem Zweck sind grosse Unternehmen des öffentlichen Interesses, die 500 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt haben, neu dazu verpflichtet, einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht (Bericht über nichtfinanzielle Belange) zu erstellen (Art. 964a OR). Erstmals war der Bericht für das Geschäftsjahr 2023 zu verfassen. Dieser Nachhaltigkeitsbericht hat aus Unternehmenssicht «Rechenschaft über Umweltbelange, insbesondere die CO2-Ziele, über Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption» abzulegen (Art. 964b OR). Am 23. November 2022 hat der Bundesrat zudem eine Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange erlassen, welche die Berichterstattung von Unternehmen über Klimabelange als Teil der Umweltbelange konkretisierend regelt (AS 2022 747) und am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist.
Ferner sind grundsätzlich unabhängig von der Unternehmensgrösse (der Bundesrat kann Erleichterungen für KMU vorsehen) Sorgfaltspflichten in der Lieferkette von Unternehmen und Transparenz zu beachten, wenn Mineralien oder Metalle aus Konfliktgebieten in der Schweiz bearbeitet oder in den Verkehr gebracht werden sowie wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass ein angebotenes Produkt oder eine Dienstleistung unter Einsatz von Kinderarbeit zustande kam (Art. 964j ff. OR). Dazu bestehen mit der Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr) auch bereits detaillierte Ausführungsvorschriften. Der erste Bericht musste für das Geschäftsjahr 2023 erstellt werden.
Die neuen Vorschriften entsprechen dem europäischen Unionsrecht, im Bereich der Kinderarbeit sind sie noch weitergehend und haben sich der holländischen Regelung angelehnt.
Aktienkapital und Währungswechsel
Das Aktienkapital beträgt immer noch mindestens CHF 100’000.– (Art. 621 Abs. 1 OR). Aktiengesellschaften und GmbH können aber neu ihr Grundkapital auch in einer zulässigen FIAT-Fremdwährung wie Euro, US-Dollar, britisches Pfund oder japanischer Yen angeben, wenn dies ihre funktionale Währung ist. Ein Währungswechsel ist jeweils zu Beginn eines Geschäftsjahrs möglich. Bei einem Aktienkapital in Fremdwährung sind sämtliche kapitalbezogenen Aspekte (z.B. Dividenden, Reserven, Überschuldung) nach der entsprechenden Fremdwährung zu beurteilen. Der Nennwert von Aktien kann kleiner sein als das frühere Minimum von 1 Rappen, muss jedoch grösser sein als null (Art. 622 Abs. 4 OR). Die nennwertlose Aktie gibt es somit auch im neuen Aktienrecht nicht. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass Inhaberaktien nur noch dann zulässig sind, wenn die Gesellschaft börsenkotiert ist oder ihre Inhaberaktien als Bucheffekten ausgestaltet hat (Art. 622 Abs. 1bis OR).
Kapitalband
Eine bedeutende Flexibilisierung bringt das neu eingeführte Kapitalband mit einer Bandbreite von plus 50% bzw. minus 50% des bestehenden Aktienkapitals (Art. 653s ff. OR). Mit diesem Institut kann der Verwaltungsrat ermächtigt werden, das Aktienkapital während bis zu fünf Jahren im Rahmen dieser Bandbreite zu erhöhen und/oder herabzusetzen.
Zulässigkeit einer Zwischendividende
Das neue Aktienrecht lässt eine Zwischendividende zu (Art. 675a OR), wenn die Voraussetzungen für eine Dividendenausschüttung gegeben sind. Weiter muss ein geprüfter Zwischenabschluss vorliegen (Ausnahme Opting-out), oder sämtliche Aktionäre müssen zustimmen, und die Forderungen der Gläubiger dürfen durch die Ausschüttung der Zwischendividende nicht gefährdet sein.
Neue digitale Möglichkeiten
Vor dem 1. Januar 2023 waren rein digital abgehaltene Generalversammlungen (GV) nicht möglich, da damit das aktienrechtliche Unmittelbarkeitsprinzip verletzt worden wäre. Dieses Erfordernis der unmittelbaren physischen Anwesenheit sollte sicherstellen, dass ein Ort des tatsächlichen diskursiven Austausches, der Meinungsbildung sowie der Entscheidung der Aktionäre geschaffen wird. Mit der Aktienrechtsrevision, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, sind jedoch neuerdings hybride wie auch rein virtuelle GVs explizit zugelassen (Art. 701d OR) – eine Entwicklung, die unter dem Motto neues Aktienrecht steht. Analog ist nun das Prinzip der digitalen Unmittelbarkeit einzuhalten: Die Teilnehmer müssen elektronisch eindeutig identifiziert und die Voten elektronisch unmittelbar (ohne Zeitverzögerung) übertragen werden. Weiter muss auch jeder remote teilnehmende Aktionär Anträge stellen und an der Diskussion teilnehmen können. Schliesslich darf das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden können. Auf diese Weise soll die gesellschaftliche Interaktion anlässlich der GV gleichermassen ermöglicht und die Idee der (nun digitalen) Landsgemeinde fortgeführt werden. Die Umsetzung dieser Neuerungen wird durch neues Aktienrecht unterstützt, um höchste Transparenz und Sicherheit zu garantieren. Darüber hinaus stellt neues Aktienrecht sicher, dass alle digitalen Prozesse den geforderten Standards entsprechen.
Alsdann ist auch das Wertpapierrecht noch digitaler geworden. Mit dem Bundesgesetz zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register ist aber kein Distributed-Ledger-Technology-(DLT-)Gesetz geschaffen worden, sondern es wurden punktuelle Gesetzesänderungen vorgenommen (im OR, SchKG, IPRG, BEG und den Finanzmarktgesetzen inkl. NBG), um die Entwicklung der dezentralen elektronischen Registerführung, welche meist auf der Blockchain-Technologie basiert, in allen betroffenen Rechtsbereichen auch auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Die Technologie ist indes nicht auf DLT beschränkt, sondern kann auch andere Innovationen der digitalen Registerführung auffangen. Die digitalen Aktien der Zukunft sollen demnach sog. Registerwertrechte sein, welche nicht vertretbar sein müssen und im Gegensatz zu den einfachen Wertrechten echte Wertpapierfunktion erfüllen. Sie werden entsprechend nicht durch Zession, sondern durch Umbuchung im Register übertragen.
Stärkung der Aktionärs- und Minderheitenrechte
Aktionären, die mindestens über 5% des Aktienkapitals oder der Stimmrechte von nicht kotierten Gesellschaften verfügen, das Recht zu, die Geschäftsbücher und Akten einzusehen. Der VR hat wiederum innert vier Monaten Einsicht zu gewähren, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 697a OR).
Ausserdem wurde der Schwellenwert für Minderheitsaktionäre bei nicht kotierten Gesellschaften für die Einberufung von einer ausserordentlichen GV (Art. 699 Abs. 3 Ziff. 1 OR) auf 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen festgesetzt. Bei kotierten Gesellschaften beträgt der Schwellenwert 5%.
Der Schwellenwert für die Traktandierung von Verhandlungsgegenständen an der GV (Art. 699b Abs. 1 OR) wurde bei nicht kotierten Gesellschaften auf 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen festgelegt – und bei kotierten Gesellschaften auf 0,5%.
Änderungen im Zusammenhang mit dem Verwaltungsrat
Mit der Aktienrechtsrevision wurden die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des VR um zwei Pflichten erweitert: um die Einreichung eines Nachlassstundungsgesuchs (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 7 OR) und bei kotierten Gesellschaften um die Erstellung des Vergütungsberichts (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 8 OR).
Was die Finanzkontrolle des VR anbelangt, war dieser bisher erst bei einem Kapitalverlust zu expliziten Handlungen verpflichtet. Neu hat der VR explizit auch die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu überwachen und bei drohender Zahlungsunfähigkeit mit gebotener Eile zu handeln (Art. 725 OR). Bei einem Kapitalverlust sind die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen und nur noch, wenn nötig, eine GV einzuberufen (z.B. für Kapitalherabsetzung). Neu kann zudem die Benachrichtigung des Richters im Überschuldungsfall unterlassen werden, wenn begründete Aussicht besteht, die Überschuldung innert höchstens 90 Tagen zu beheben (Art. 725b OR).