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Anfangsmietzins: Wie erfolgt die Überprüfung des Anfangsmietzinses?

Die Vermieterin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, die im Jahr 2002 erstellt wurde. Sie ist seit Fertigstellung im Eigentum der Vermieterin. Die Vermieterin schloss mit den Mietern unter dem Datum vom 6. Juni 2018 einen Mietvertrag ab über eine 4,5-Zimmer-Wohnung in dieser Liegenschaft ("das Mietobjekt"). Der Mietzins wurde auf CHF 2000.– netto zzgl. Heiz-/Betriebskosten Akonto CHF 205.–, mithin CHF 2205.– brutto pro Monat, festgelegt. Die Vormieter bezahlten für das Mietobjekt netto CHF 1638.– zzgl. Heiz- und Betriebskosten Akonto CHF 205.–, brutto somit CHF 1843.– pro Monat. Der Nettomietzins wurde damit um CHF 362.– pro Monat beziehungsweise rund 22% angehoben. Der neue Mietzins (CHF 2000.–) basiert auf einem Referenzzinssatz von 1,5%, während der Mietzins der Vormieter (CHF 1638.–) noch auf einem Referenzzinssatz von 2% basierte.

28.02.2023 Von: Urban Hulliger
Anfangsmietzins

Ausgangslage

Die Wohnung wurde den Mietern am 27. Juli 2018 übergeben. Diese fochten den Anfangsmietzins mit Gesuch vom 10. August 2018 bei der zuständigen Schlichtungsbehörde an. Da eine Einigung nicht erzielt werden konnte, wurde den Mietern die Klagebewilligung ausgestellt. Die entsprechende Klage wurde am 26. November 2018 beim zuständigen Gericht anhängig gemacht. Die Mieter beantragen eine Reduktion des Nettomietzinses "auf das zulässige Mass". Dieses soll bei einem Nettomietzins von CHF 1544.60 liegen. Dies entspreche der Senkung des Referenzzinssatzes von 2% auf 1,5% vom seitens der Vormieter geschuldeten Mietzins von CHF 1638.–.

Zu den sich stellenden Rechtsfragen im Einzelnen Folgendes:

Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen

Voraussetzungen für die Anfechtung des Anfangsmietzinses gemäss Art. 270 OR

Die Voraussetzungen dafür, dass es zu einer Überprüfung der Missbräuchlichkeit des angefochtenen Mietzinses kommt, sind: (i) Notlage des Mieters beim Abschluss des Mietvertrags oder (ii) Wohnungsnot auf dem Markt oder (iii) erhebliche Erhöhung des Anfangsmietzinses gegenüber dem Vormieter.

Es handelt sich dabei gemäss Bundesgericht um alternative Voraussetzungen. Es genügt, wenn sich der Mieter auf einen der erwähnten Gründe berufen kann (Urteil des Bundesgerichts BGE 142 III 442, E. 3.1). Von einer "erheblichen" Erhöhung des Mietzinses ist dann auszugehen, wenn der Nettomietzins gegenüber dem Vormieter um mindestens 10% erhöht worden ist (BGE 136 III 84, E. 3.4; bestätigt im Urteil des Bundesgerichts 4A_295/2016 vom 26. November 2016, E. 5.3.1).

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Mieter weder eine Wohnungsnot noch eine persönliche Notlage nachzuweisen haben. Es genügt, dass der Mietzins gegenüber den Vormietern um 22% erhöht worden ist. Sind die Eintretensvoraussetzungen erfüllt, erfolgt die Überprüfung der Missbräuchlichkeit. Dazu sogleich:

Beurteilung der Missbräuchlichkeit nach Kosten- oder Marktkriterien?

Verhältnis der Missbrauchskriterien der Markt- und Kostenmiete

Das Bundesgericht hat erstmals im Jahr 1998 entschieden, dass aus den Randtiteln der Art. 269 und Art. 269a OR eine Art Hierarchie unter den Missbrauchstatbeständen existiere. Demnach sei der angemessene Ertrag als "Regeltatbestand" gegenüber dem Missbrauchskriterium der Orts- oder Quartierüblichkeit gemäss Art. 269a lit. a OR übergeordnet beziehungsweise vorrangig (BGE 124 III 310, E. 2b; seither mehrfach bestätigt, unter anderem im Urteil 4A_276/2011 vom 11.10.2011, E. 5.2.1/5.2.3 und BGE 140 III 433, E. 3.1). Eine Ausnahme und damit eine Umkehr dieser Hierarchie ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann angezeigt, wenn es sich bei der betroffenen Liegenschaft um eine sogenannte Altbaute handelt. Eine solche liegt gemäss Auffassung des Bundesgerichts dann vor, wenn sie vor mehreren Jahrzehnten erstellt worden ist (Urteil des Bundesgerichts 4C.285/2005 vom 18.01.2006; seither mehrfach bestätigt). Zwischenzeitlich präzisierte das Bundesgericht seine Praxis zum Begriff der Altbaute etwas. Auf eine exakte Grenze des Alters der Baute hat sich das Bundesgericht bis heute aber nicht festgelegt. Aufgrund verschiedener Entscheide ist diese Grenze bei einem Liegenschaftsalter von ca. 30 Jahren zu ziehen (BGE 140 III 433; Urteil des Bundesgerichts 4A_295/2016 vom 29.11.2016).

Da die streitgegenständliche Liegenschaft im Jahr 2002 erstellt wurde (und seither auch im Eigentum der Vermieterin ist), ist die Altersschwelle von 30 Jahren nicht erreicht. Daher hat die Beurteilung der Missbräuchlichkeit im vorliegenden Verfahren nach der Nettorendite zu erfolgen. In diesem Zusammenhang wird die Vermieterin im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht die sachdienlichen Unterlagen zur Verfügung stellen müssen, um die Nettorendite zu bestimmen, welche sie mit dem streitgegenständlichen Mietobjekt erzielt (zur Mitwirkungspflicht des Vermieters siehe BGE 139 III 13, E. 3.1.4).

Die Bestimmung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses erfolgt zwingend nach der absoluten Methode

Es ist ferner festzuhalten, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Beurteilung der Missbräuchlichkeit eines Anfangsmietzinses stets nach absoluter Methode erfolgt (Urteil des Bundesgerichts 4A_295/2016 vom 29.11.2016, E. 5.1.1). Mithin ist unerheblich, auf welchem Referenzzinssatz der angefochtene Anfangsmietzins beruht und ob er sich seit der letzten Mietzinsgestaltung im Vormietverhältnis verändert hat. Die Missbräuchlichkeit des Nettomietzinses von CHF 2000.– für die streitgegenständliche Wohnung hat nach dem Gesagten somit einzig durch Berechnung der Nettorendite zu erfolgen, den die Vermieterin mit dem Nettomietzins von CHF 2000.– pro Monat für die streitgegenständliche Wohnung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erzielte (individuelle Ertragsrechnung).

Wer trägt die Beweislast zum Nachweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses?

Vorbemerkung

Steht fest, dass die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses von CHF 2000.– auf der Basis einer individuellen Nettorenditeberechnung zu ermitteln ist, spielt die Frage der Beweislast eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch deshalb nicht, weil es mit Blick auf das Alter der Liegenschaft (zum Zeitpunkt der Klageeinleitung rund 16 Jahre) und in Anbetracht der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht von Unterlagen von zehn Jahren denkbar wäre, dass ein Teil der für die Berechnung der Nettorendite erforderlichen Unterlagen heute nicht mehr verfügbar ist.

Beweislast: Grundsatz und Ausnahme

Die Beweislast für die Missbräuchlichkeit eines Anfangsmietzinses trägt grundsätzlich der Mieter. Das geht zum einen klipp und klar aus der Botschaft des Bundesrats zum Mietrecht hervor (Bundesblatt 1985 I, S. 1491); und dies ergibt sich auch aus den Beweisgrundsätzen des schweizerischen Zivilgesetzbuchs, demgemäss jene Partei die Beweislast für eine Tatsache trägt, die aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 ZGB). Davon scheint im Wesentlichen auch das Bundesgericht auszugehen (BGE 139 III 13, E. 3.1.3.2, ins Deutsche übertragen in: MRA 2/13, S. 15 ff.). Das Bundesgericht hat jedoch in einem in der Praxis als "Samichlaus"-Entscheid bezeichneten Urteil vom 6. Dezember 2012 (BGE 139 III 13) entschieden, dass unter gewissen Umständen der Vermieter (anstatt der Mieter) die Beweislast dafür trägt, dass der Mietzins nicht missbräuchlich sei. Dies sei dann der Fall, wenn sich eine Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem Vormieter trotz sinkender Zinssätze (insb. Referenzzinssatz und bei schwacher bis rückläufiger Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise) als "ungerechtfertigt" erscheinen lasse. Das war nach Ansicht des Bundesgerichts im referenzierten Entscheid der Fall, da der Vermieter den Nettomietzins gegenüber dem Vormieter um 43% erhöht hat (BGE 139 III 13, E. 3.1.4). Das Bundesgericht sprach dabei von einer "massiven" Erhöhung.

Ob die in Rede stehende Mietzinserhöhung um 22% des Nettomietzinses als "massive" Erhöhung bezeichnet werden kann und zu einer Umkehr der Beweislast führen würde, ist schwer vorauszusagen. Dem urteilenden Gericht steht diesbezüglich ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Es gibt zweifelsohne gute Gründe, eine Erhöhung von 22% noch nicht als "massiv" zu bezeichnen.

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