Coaching als Führungsstil: So gelingt der Wechsel vom Chef zum Coach
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Geforderte Führungskraft
Die Erwartungen an eine Führungskraft sind heutzutage hoch. Zum einen soll sie ihre Aufgaben erledigen, Ziele erreichen und Resultate erzielen, zum andern sich und ihre Mitarbeitenden ständig fördern, ermächtigen und weiterentwickeln. Wie soll das gelingen, wenn zugleich Wettbewerbs- und Innovationsdruck steigen, die Transformationsgeschwindigkeit zunimmt, Organisationen flacher, flexibler und netzwerkorientierter agieren und Entscheidungsprozesse komplexer werden? Nachdem der Job erledigt ist und die To-do-Liste abgearbeitet, bleibt oft wenig Zeit zur Entwicklung von sich und andern.
Keine Patentrezepte
Es gibt keine Patentrezepte zur Bewältigung komplexer Führungssituationen. Je grösser das Verhaltensrepertoire der Führungskraft ist, desto eher ist sie auch für Unvorhergesehenes gewappnet. Eine Pianistin wird weniger virtuos, wenn sie nur schwarze oder weisse Tasten spielt. Virtuosität erlangt sie, wenn sie die ganze Bandbreite der Klaviatur beherrscht und ein Gefühl für Rhythmus und Intonation entwickelt. Daniel Goleman, der den Begriff der «emotionalen Intelligenz» populär gemacht hat, unterscheidet insgesamt sechs Führungsstile.' Er kommt zum Schluss, dass Führungskräfte, die mehrere Führungsstile beherrschen und über emotionale Intelligenz verfügen, den grössten Einfluss auf die finanziellen Ergebnisse und das Arbeitsklima haben. Coaching ist einer der effektivsten Führungsstile, der jedoch am wenigsten genutzt wird.
Was ist Coaching, und warum wird es als Führungsstil so wenig genutzt?
Coaching kann als Partnerschaft zwischen Coach und Coachee mit dem Ziel verstanden werden, den Coachee in einem stimulierenden und kreativen Prozess zu inspirieren, sein persönliches und berufliches Potenzial zu maximieren.' Die wichtigsten Coaching-Kompetenzen sind dabei aktives Zuhören, wirkungsvolles Fragen und verständnisfördernde Kommunikation. Das klingt einfach. Coaching als Führungsstil ist aber schwierig, weil Fragen und Zuhören weniger zum Selbstverständnis einer Führungskraft gehören, sondern eher das Anleiten und Beraten. «Ich habe etwas zu sagen» und «Ich habe das Sagen». Coaching setzt ein Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Coachee voraus und basiert auf der Eigenmotivation und Selbstverantwortung des Coachees. Die coachende Person stellt weder die eigenen Interessen als Führungskraft noch die Unternehmensziele in den Vordergrund, sondern konzentriert sich offen, neugierig und vorurteilsfrei auf die Herausforderungen und Entwicklungsbestrebungen der Mitarbeitenden. Die Führungskraft unterstützt einen selbstmotivierten Lernprozess in die zukünftige Entwicklung und Entfaltung der Mitarbeitenden.
Die innere Haltung
Coaching als Führungsstil braucht Zeit und Musse und wurzelt in einer inneren Haltung, die dem Gegenüber zugewandt, partnerschaftlich und wertschätzend begegnet. Es stellt sich deshalb weniger die Frage, ob eine Führungskraft wichtige Coachingkompetenzen lernen kann, sondern ob sie ihren Mitarbeitenden gegenüber positiv und offen begegnet und von ihren Fähigkeiten überzeugt ist. Bin ich als Führungskraft ehrlich interessiert an den Mitarbeitenden und IHREN Anliegen? Bin ich als Führungskraft zutiefst davon überzeugt, dass meine Mitarbeitenden in der Lage sind, sich mit ihren Zielen zu identifizieren, Lösungen zu entwickeln und ihre Arbeit selbstständig zu erledigen? Kann ich als Führungskraft delegieren, Freiräume geben und Gestaltungsmöglichkeiten bieten? Möchte ich als Führungskraft, dass meine Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten, auch wenn sie dadurch besser werden als ich? Wie stark ist mein Bedürfnis, als Führungskraft zu kontrollieren, als Experte zu beraten und anzuleiten und als Manager ständig präsent zu sein?
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Die Führungskraft als Coach
Eine Führungskraft kann unterschiedliche Rollen wahrnehmen, z.B. Mentor, Experte, Trainer, Coach, Berater und Vorgesetzter. Der Rollenwechsel vom Vorgesetzten zum Coach bringt Spannungen mit sich. Die Beziehung zwischen Coach und Coachee wird getragen von Vertrauen, Unvoreingenommenheit, Offenheit und einer symmetrischen partnerschaftlichen Interaktion auf Augenhöhe. Im Mittelpunkt stehen Herausforderungen, Entwicklung und Potenzialentfaltung des Coachees. Insbesondere die disziplinarische Führungsbeziehung ist demgegenüber asymmetrisch. Auch wenn das Machtgefälle zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden in flachen Hierarchien nicht immer offensichtlich ist, bestehen (auch rechtliche) Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Ein Coachingprozess ist ergebnisoffen und braucht Fokus und Zeit. Es braucht Geduld, auch mit sich selbst, um aktiv zuzuhören und effektiv zu fragen. Die Versuchung ist gross, Fachwissen zu demonstrieren, Ratschläge und Anweisungen zu geben oder schnelle Lösungen zu empfehlen. Schlimmstenfalls besteht die Gefahr von Vertrauensmissbrauch, Verantwortungsdiffusion und Manipulation. Rollenkonflikte können entschärft werden, indem sie thematisiert und die Rollen transparent gemacht werden. Hilfreich kann auch die Beantwortung der Fragen sein, was für die Führungskraft auf dem Spiel steht und wer tatsächlich das thematisierte Problem hat — die Führungskraft oder der Mitarbeiter.
Coaching als Führungsstil
Nicht jede Führungssituation lässt sich coachend bewältigen. Es gibt Situationen, in denen die Führungskraft aufgefordert ist, Visionen und Entscheide zu kommunizieren oder Empfehlungen und Anweisungen zu geben. Darüber hinaus gewinnt die Führungskraft an Wirkung, Authentizität und Loyalität, wenn sie sich fragend und zuhörend ihren Mitarbeitenden zuwendet. Eine leichte Gewichtsverlagerung vom Sagen zum Fragen und vom Sprechen zum Zuhören kann sich bereits positiv auf Selbstmotivation, Empowerment und die zukünftige Entwicklung und Potenzialentfaltung der Mitarbeitenden auswirken. Dem möglichen Verlust an Positionsmacht und Autorität steht ein Gewinn an Vertrauen und Selbstverantwortung der Mitarbeitenden gegenüber. Coaching als Führungsstil ist gelebte Sozialkompetenz. Der Einstieg ist einen Versuch wert und kann mit wenigen Fragen gelingen.'
Abschliessende Bemerkungen
Je nach Unternehmenskultur besteht eine unterschiedliche Offenheit gegenüber Coaching. Unabhängig davon kann die einzelne Führungskraft als «Influencer» den Umgang mit Coaching beeinflussen, indem sie eigene Coaching-Erfahrungen teilt, Coaching-Angebote im internen HR anregt oder externes Coaching empfiehlt. Ein coachender Führungsstil lässt sich ohne formales Coaching-Setting pflegen. Einem coachenden Führungsstil kann sich eine Führungskraft (je nach emotionaler Intelligenz und Sozialkompetenz) auch selbstlernend und übend annähern. Die innere Haltung und die Fähigkeit, aktiv zuzuhören und wirkungsvolle Fragen zu stellen, wachsen mit der Erfahrung im Führungsalltag. Als Voraussetzung für ein formelles Coaching wird jedoch eine anerkannte Coachingausbildung empfohlen, damit die Führungskraft die Rolle des Coaches wahrnehmen kann. Die 4 Ms «Man muss Menschen mögen» sind eine gute Voraussetzung für eine Führungskraft. Coaching als Führungsstil erfordert allerdings mehr als «mögen», nämlich Empathie, Wertschätzung, unvoreingenommene Offenheit und die Fähigkeit, sich und andern zu vertrauen.