Virtuelle Assistenten: Freund oder Feind im Homeoffice?
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Besonderheiten der Homeoffice-Arbeit
Homeoffice kann die Produktivität durch bessere Konzentration bei ungestörtem Arbeiten steigern und durch die zeitliche und örtliche Flexibilität der Arbeit positiv motivieren. Die Wahrnehmung von Selbstständigkeit und Autonomie wird gefördert und auch das Gefühl unterstützt, die Arbeit besser zu bewältigen. Weniger Formalismen und die verbesserte Privatsphäre reduzieren Stress und führen zu einer höheren Zufriedenheit und Motivation.
Nachteilig wirken sich die Abkapselung im Heimbüro oder die falsche Organisation des Arbeitstags aus. Der fehlende informelle Austausch, die erschwerte Zusammenarbeit und die Erosion des Teamgeists sind nachgewiesen. Berichtet wird auch von oft mangelnder Infrastruktur sowie direkten und indirekten Kosten, die auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden. Auch entsteht sozialer Druck, wenn das Homeoffice unzureichend in der Firmenkultur verankert ist und die Heimarbeitenden ihren Arbeitsstil legitimieren müssen.
Virtuelle Assistenten sind umfassende Ökosysteme
Virtuelle Assistenten sind eine relativ neue Technologie, die sich enorm stark im Haushalt verbreitet. Schnell haben Siri, Alexa und Co. die Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küchen über intelligente Lautsprecher und Bildschirme erobert. Dabei sind die Assistenten cloudbasierte Software-Agenten, die Sprache interpretieren können. Anhand künstlicher Intelligenz können sie auf möglichst sinnvolle Weise über synthetisierte Stimmen antworten. Zu den Arbeitsumgebungen im Homeoffice-Kontext gehören auch Smarthome-Technologien, z. B. für die Steuerung der Haustechnik und damit die Arbeitsbedingungen.
Vielfältige Effekte im Homeoffice
Von den vielen Effekte der Assistenten auf einen Haushalt sind nicht alle für das Arbeiten im Homeoffice relevant.2 Ein Thema ist beispielsweise die mit der Wahl des Ökosystems verbundene Unklarheit. Zwar mag es für einen Nutzer wichtig sein, ob man sich mit dem Ökosystem von Apple oder Android oder einem anderen auseinandersetzen muss. Aber letztlich weisen die Ökosysteme ähnliche Folgen für das Arbeiten zu Hause auf. Und alle Systeme enttäuschen bezüglich der beworbenen Smartness, die ohne umfängliche Auseinandersetzung nicht erreicht wird. Dies ist im Arbeitskontext dann wichtig, wenn die Einrichtung oder komplizierte Nutzung die Produktivität behindert und der Assistent als Spielzeug abgetan wird. Hervorheben lassen sich aber diese drei Themenkomplexe:
1. Gegenseitige Abhängigkeit – wechselseitiger Lernprozess
Für virtuelle Assistenten gibt es keine Nutzerhandbücher. Sowohl der Algorithmus virtueller Assistenten als auch die Nutzenden probieren aus, was funktioniert. Es entsteht ein wechselseitiger Lernprozess, wobei Menschen viel schneller lernen als der Algorithmus der Assistenten. Was sich bewährt, wird beibehalten. Hierfür muss sich der Mensch meist viel stärker der Technologie anpassen als andersherum. Dies umfasst beispielsweise den Wechsel zwischen Sprachen, Verwendung befehlsähnlicher Ausdrücke und auch die physische Annäherung an den virtuellen Assistenten, um bei Umgebungslärm überhaupt verstanden zu werden. Oft befremdend wirkt die Umstellung beim Wechsel von Alltagssprache oder Dialekt ins Standarddeutsche.
2. Unklarer Daten(ab)fluss
Je nach Anwendungsort des virtuellen Assistenten verbinden Haushaltsmitglieder unterschiedliche Erwartungen zur Privatsphäre. Die Gefühlspalette beim Umgang reicht von «unsicher» und «peinlich» bis hin zu «herausfordernd» und «akzeptabel». Mit zunehmender Dauer der Nutzung werden der Assistent und dessen Möglichkeiten vertraut und nutzbar. Unklar bleibt dabei aber immer die eigentliche Verwendung der persönlichen Daten: Das Bewusstsein für den Wert der Daten und den damit verbundenen Fragen zum Datenschutz ist bei den Nutzenden bereits sehr ausgeprägt. Man traut den Anbietern nicht. Es gibt aber auch eine kompromisshafte Zustimmung zum Teilen der persönlichen Daten, sofern der wahrgenommene Nutzen des Assistenten die wahrgenommenen Kosten übersteigt. Ein konkreter Wert für die preisgegebenen Daten ist aber schwer zu beziffern. Auch deren Weiterverwendung bleibt unklar. Ein Kontrollverlust droht. Ist ein konkreter Nutzen für die Heimarbeitenden nicht sichtbar, schalten sie diese Helfer teils endgültig aus oder deinstallieren sie.
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3. Ambivalente Auswirkungen auf die Familie – und Arbeitspartnerinnen
Die Folgen der Technologie auf das Familienleben zeigen sich in Veränderungen von gemeinsamen Verhaltensmustern (z. B. Umstellung der Familiensprache auf Befehlssprache, Verlust von Privatsphäre oder Spontaneität, Spiele zur Auflockerung der Stimmung), der Benachteiligung einiger Familienmitglieder bei der Nutzung der Assistenten (z. B. Kinder) und Störungen, wenn der Assistent beispielsweise plötzlich ein laufendes Gespräch am Telefon oder online unterbricht. Die Störung ist dann nicht nur lokal, sondern erstreckt sich auch auf Personen außerhalb des Hauses (z. B. in einer virtuellen Sitzung während der Arbeit im Homeoffice). Es entwickelt sich eine neuartige Arbeitsteilung: Oft übernimmt eine Person die Verantwortung für die Installation, Kontrolle, Wartung und Entwicklung des Assistenten und die Verwaltung der Nutzung. Eltern sind oft besorgt über die Interaktion zwischen virtuellen Assistenten und ihren Kindern und übernehmen eine schützende Rolle. Wenn die Nichtinteraktion zwischen Mensch und Assistenten zum Streit führt, wird dieser in der Regel schnell abgeschaltet, und eine Diskussion über die gemeinsamen Nutzungsspielregeln folgt.
Was folgt?
Homeoffice-Nutzende müssen sich virtuelle Assistenten einrichten und deren Funktionen entwickeln. Das kann sehr zeitaufwendig sein, und Enttäuschungen sind garantiert. Die eigentlichen «Office Assistenzrollen» von virtuellen Assistenten stecken dabei noch in den Kinderschuhen. Sie können minimale Aufgaben erledigen, wie auf Zuruf bestimmte Personen anwählen, Informationen vom Web einholen, das Arbeitsambiente gestalten oder Erinnerungen verwalten. Stärker sind Smarthome-Lösungen entwickelt, die aber für die meisten Homeoffice-Nutzer nicht notwendig sind und nur geringen Mehrwert bieten.
Der Einsatz der virtuellen Assistenten in der Unternehmenspraxis stellt neue Fragen an den Datenschutz und den Umgang mit der Privatsphäre der Mitarbeitenden. Da die Nutzenden quasi mit ihren Daten bezahlen, ist nach deren Herausgabe offen und unbekannt, was weiter mit ihnen geschieht. Ein Kontrollverlust ist die Folge. Für die meisten Unternehmen ist dieses Risiko nicht akzeptabel, insbesondere wenn sensible Daten betroffen sind. Und Angebote zur Lösung dieses Problems befinden sich erst in der Entwicklung.
Der Einsatz von virtuellen Assistenten hat ambivalente Auswirkungen auf die Familiendynamik und damit die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Den notwendigen Zeitressourcen für die Schulung der Nutzenden und der Einrichtung der Technologie stehen nur vage Nutzenpotenziale gegenüber. Und negativen Wirkungen auf die Familie stehen auch verblüffend unterhaltsame und nützliche Funktionen gegenüber.
Tatsächlich sorgen VAs dafür, dass die Grenzen zwischen Privatleben und Arbeitsleben weiter verschwimmen. Dabei zeigen sie aber auch neue Wege des neuen Arbeitens auf und ermöglichen dieses.
Unternehmen müssen aufklären
Daher birgt die Nutzung von virtuellen Assistenten im Homeoffice-Kontext momentan mehr Risiken als Chancen. Einzelanwender sind oft bereit, insbesondere Datenschutzrisiken in Kauf zu nehmen. Unternehmen aber – ob nun implizit oder nicht – meiden häufig die Gefahren dieser Technologie. Wichtig dabei ist, dass die entstehende soziotechnische Wirklichkeit im Homeoffice nicht mehr weggehen wird. Selbst wenn die Nutzenden die Sprachassistenten ausschalten oder wieder deinstallieren, so wird die technische Entwicklung rasant voranschreiten. Daher bleibt Unternehmen nur die Möglichkeit, im Austausch mit den Mitarbeitenden für die Situation zu sensibilisieren und gemeinsam Nutzenpotenziale zu entfalten.
Über das Forschungsprojekt VA-PEPR
Das Forschungsprojekt VA-PEPR untersucht im Kontext der Schweiz, wie Sprachassistenten (VAs) Praktiken und Routinen im Alltag verändern. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt der Hochschule Luzern, OST – Ostschweizer Fachhochschule und der Northumbria University wird unter der Leitung der HSLU Design & Kunst durchgeführt. Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert.
Fussnoten:
1) Die hier vorgestellten Überlegungen stammen aus dem laufenden Projekt «VA-PEPR» des Schweizerischen Nationalfonds unter der Leitung von Sabine Junginger, Hochschule Luzern.
2) Im Forschungsprojekt VA-PEPR wird im weiteren Sinne gefragt, wie virtuelle Assistenten in das soziotechnische System des Haushalts – und damit auch des Heimbüros – eingreift. Im Projekt wurden sehr umfangreiche qualitative Interviews und Tagebuchstudien in Haushalten durchgeführt. In der Forschungsstudie konnten 14 Grundthemen identifiziert werden, wie virtuelle Assistenten auf das soziotechnische System im Haushalt einwirken.