Wertekonflikt: So bewältigen Sie Wertekonflikte im Projektteam
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Werte bestimmen das Miteinander
Toleranz. Fairness. Respekt. Ehrlichkeit. Transparenz. Mitgefühl. Selbstbestimmung. Solidarität. Würde. Gleichberechtigung. Freiheit. Mitbestimmung. Verlässlichkeit. Teamgeist. Nur, einige, der vielen Werte, die unser Dasein und unsere Kultur prägen – auch im Unternehmensalltag.
Vielleicht hat das Unternehmen, in dem Sie arbeiten auch ganz konkret die Unternehmenswerte innerhalb der Corporate Identity definiert. Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, in beiden Fällen wird sich an Werten orientiert und diesen bei den eigenen Entscheidungen und Handlungen auch gefolgt. Es sind Werte, die
- während der eigenen Kindheit und Sozialisation prägend waren – und sicherlich noch sind,
- kulturelles Gewicht erhielten und weiterhin haben,
- aus eigenen Erfahrungen und Zielsetzungen an Bedeutung für Ihr Leben gewonnen haben,
- durch persönliche, aber auch der Perspektiven des Umfeldes (Berufsbranche, Jobfunktion, Kollegen, Vorgesetzten, Freunde, Familie) priorisiert werden.
Werte spielen somit eine entscheidende Rolle im Miteinander und bei der Handlungsorientierung – und zwar immer. Das hat viele Vorteile, wie beispielsweise einem gemeinsamen Wertekompass folgen, der das Tun ausrichtet. Leider hat es auch so manchen Nachteil. Ein solcher Nachteil ist der Wertekonflikt.
Der Wertekonflikt im Projektteam
Es wäre so schön. Ein Projekt, das ohne Streit, Schwierigkeiten, endlosen Diskussionen und Konflikten verliefe. Den Traum träumen viele und werden leider immer wieder von der Realität eingeholt. Denn Konflikte im Projektteam sind die Regel – und keine Ausnahme.
Verankern Sie diesen Fakt: Konflikte im Projektteam sind die Regel. Die Bandbreite der Konflikte ist gross: Von Zielkonflikten, Beurteilungskonflikten über Vorgehenskonflikten, Verteilungskonflikten, Informationskonflikten, Beziehungskonflikten bis zu Wertekonflikten. Dabei nimmt der Wertekonflikt eine besondere Rolle ein.
Ein Wertekonflikt zählt zu den schwierigsten Konflikten im Projekt, weil
- Wertekonflikte im Grunde nicht im üblichen Sinne lösbar sind,
- sich über Werte einfach nicht streiten lässt,
- es keine „besseren“ Werte gibt, sondern „nur“ Werte,
- jeder für seine Werte kämpft – manches Mal bis zum bitteren Ende,
- von persönlichen Werten – verständlicherweise – nicht abgerückt werden kann, da diese für die eigenen Handlungen einen wichtigen Orientierungsrahmen bilden.
Beispiele für Wertekonflikte
Einige typische Wertekonflikte (Ihnen fallen bestimmt viele weitere ein):
- Mitarbeiterorientierung vs. Wirtschaftlichkeit
- Kundenorientierung vs. Gewinn
- Gesundheitsmanagement vs. Leistungssteigerung
- Mitarbeiterbindung vs. Stakeholder Rendite
- flache Hierarchien vs. Machtspiele
- Empowerment vs. Kontrolle
- Transparenz vs. Informationspoker
- Fairness vs. Equal Pay Gap
Beispiel eines Wertekonfliktes
Vier Tage vor der Abgabe des ersten Softwaremoduls ändert der Kunde mal wieder die gestellten Anforderungen. Der Projektleiter informiert das Team sofort, das gerade in den Feierabend gehen will.
„Alles hierbleiben“, fordert er laut und deutlich. „Die nächsten Tage sind Überstunden angesagt.“
„Es reicht“, hält der Teamsprecher dagegen. „Wir haben in der letzten Woche jeden Arbeitstag länger gearbeitet.“
„Der Kunde ist König. Die Sache muss erledigt werden. Das hat oberste Priorität.“
„Der kommt doch ständig mit Änderungswünschen. Der weiss nicht, was er will. Und wir dürfen es ausbaden, obwohl wir schon auf dem Zahnfleisch gehen.“
„Es lässt sich nicht ändern. Da müssen wir alle durch.“
„Wir? Wohl eher das Team!“
Und so weiter und so weiter.
Werte, die bei diesem Wertekonflikt aufeinanderprallen
In diesem Konflikt kollidieren mehrere Werte miteinander:
- Aufgabenerfüllung vs. Mitarbeiterorientierung
- Kundenorientierung vs. Mitarbeiterzufriedenheit/Beziehungsorientierung
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Wertekonflikte bewältigen: 5 Tipps
Wertekonflikte können schnell eskalieren, weil jeder auf dem Wert seines Wertes besteht. So führt oft ein Wort zum nächsten. Bevor die Fronten total verhärten, sollten Sie, ob nun Aussenstehender oder Beteiligter am Konflikt, unbedingt einschreiten.
Und ja, obwohl Wertekonflikte im eigentlichen Sinne nicht lösbar sind, können sie bewältigt werden. Ziel ist es: Eine Lösung zu finden, die die Werte aller Beteiligten zufriedenstellt. Die folgenden Tipps unterstützen Sie bei dieser Zielerreichung – also den Wertekonflikt wahrzunehmen, ihn zu entschärfen und eine gemeinsame Lösung ohne Auflösung der Werte zu finden.
Tipp 1: Innehalten
Wertekonflikte zeichnen sich dadurch aus, dass jeder Beteiligte auf seinem Standpunkt – also seinen Werten – beharrt. Um überhaupt in einem Bewältigungsmodus schalten zu können, ist es wichtig, erst einmal innezuhalten.
Stoppen Sie die Endlosschleife-Diskussion. „Wir kommen gerade nicht weiter. Jeder bringt Argumente ein, die wichtige Werte spiegeln. Machen wir eine kurze Pause. Dann können wir beginnen, unsere Werte-Perspektiven auszuloten.“
Tipp 2: Wert erkennen
Hinter den vorgebrachten Einwänden verbergen sich Werte. Holen Sie diese gemeinsam mit den einzelnen Teammitarbeitern ans Tageslicht. Da die Gemüter sicherlich weiterhin erhitzt sind, ist es ratsam, dass erst einmal jeder für sich alleine seine Werte eruiert. Verteilen Sie deshalb Papier, Stifte und/oder Moderationskarten. Bitten Sie das Team ihre Antworten aufzuschreiben. Vielleicht ganze Sätze. Vielleicht auch Stichwörter auf den Moderationskarten, die danach an die Pinnwand angebracht werden können.
Um das Suche nach den eigenen Werten zu erleichtern, stellen Sie Fragen, die Sie auch gut sichtbar auf einem Bogen an die Pinnwand heften. Folgende Fragen beleuchten die eigenen Werte:
- Was ist mir gerade wichtig?
- Worauf lege ich in dieser Situation wert?
- Welchem Wert folge ich gerade?
- Welchen Wert sehe ich gerade in Gefahr, verletzt und vernachlässigt zu werden?
- Welchen Wert bzw. welche Werte will ich somit beschützen?
Tipp 3: Vertieft hinterfragen
Jeder hat seinen Wert herausgefunden. Beleuchten Sie den Wert hinter dem Wert, d.h. klären Sie gemeinsam die Bedürfnisse und Ziele, die mit diesem Wert verbunden werden. Fragen Sie das Team:
- Was wäre mit diesem Wert erreicht?
- Was wollen Sie durch die Einhaltung dieses Wertes erreichen?
- Wofür ist dieser Wert gut und wichtig?
- Was würde geschehen, würde der Wert in dieser Situation verletzt?
Beispiel: Überstunden vs. Feierabend - Die Werte hinter den Werten
Widmen wir uns erneut dem obigen Beispiel eines Wertekonflikts.
Aufgabenerfüllung: Der Projektleiter will sicherstellen, dass der Kunde zufrieden ist, die Kundenbindung gestärkt wird und der Umsatz stimmt.
Mitarbeiterorientierung: Der Teamsprecher dagegen will das Wohl der Mitarbeiter schützen, damit deren Motivation erhalten bleibt und alle weiterhin eine gute Leistung erbringen wollen und können.
Welche Werte hinter den Werten gibt es zu entdecken?
Aufgabenerfüllung: Kundenzufriedenheit, Kundenbindung, Umsatzerhalt/-steigerung
Mitarbeiterorientierung: Wohlbefinden der Mitarbeiter, Mitarbeitermotivation, Erhalt des Leistungsniveaus.
Tipp 4: Gemeinsame Werte entdecken
Vielleicht ergeben sich schon erste Schnittstellen, die einen Werte-Kompromiss ermöglichen. Vielleicht auch nicht. Es lohnt sich in beiden Fällen jedoch, wiederholt der Frage „Was wäre damit erreicht?“ zu stellen – also beispielweise:
- Was wäre damit erreicht, dass der Kunde zufrieden ist?
- Was wäre damit erreicht, dass die Kundenbindung gestärkt wird?
- Was wäre damit erreicht, dass der Umsatz erhalten bleibt bzw. gesteigert wird`?
- Was wäre damit erreicht, sich um das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu kümmern?
- Was wäre damit erreicht, für eine gute Mitarbeitermotivation zu sorgen?
- Was wäre damit erreicht, den Erhalt des Leistungsniveaus sicherzustellen?
Finden Sie durch das wiederholte Fragen gemeinsame Werte hinter den vorgebrachten „strittigen“ Werten, die den Wertekonflikt getriggert hatten. Denn diese bilden die Basis für die Lösung.
Tipp 5: Kompromiss finden
Durch das Betrachten der eigenen, aber auch gemeinsamen Werte verschiebt sich langsam und allmählich der Konflikt. Oft gibt es Aha-Erlebnisse „Eigentlich wollen wir ja dasselbe, nur auf unterschiedliche Weise“. So lösen sich nach und nach die Spannungen auf. Das Beharren auf dem eigenen Werte-Standpunkt ist auch verschwunden.
Vielmehr stellt sich die Bereitschaft ein, jetzt gemeinsam nach einem Handlungs-Kompromiss zu suchen, der die Werte aller Beteiligten würdigt. Fragen Sie das Team:
- Welche Werte-Schnittmengen haben sich eröffnet?
- Wie könnte aus diesen ein Kompromiss gefunden und formuliert werden?
- Welche Kriterien müssen erfüllt werden, damit der Kompromiss für alle stimmig ist?
- Welche Abstriche kann jede Seite akzeptieren, ohne einen Werte-Verlust zu erleiden?
- Worauf wollen alle bei der Umsetzung achten?
Beispiel: Überstunden vs. Feierabend
Der Projektleiter, der Teamsprecher und das Team einigen sich auf folgenden Werte-Kompromiss. Das Team macht bis zur Abgabe in vier Tagen jeden Tag eine Überstunde. Dafür bekommt es nach der Abgabe einen halben Tag frei.