Diversity-Quoten: Sinnvoll oder kontraproduktiv?
Passende Arbeitshilfen
«Diversity-Quoten sind ein sinnvolles Instrument, um Durchmischung zu fördern»
Standpunkt von Laetitia Dacorogna
Heterogene Teams sind kreativer beim Lösen von komplexen Aufgaben. Das haben zahlreiche Studien gezeigt. Vor allem Expertenorganisationen in innovativen Tätigkeitsgebieten sollten daher auf eine gute Durchmischung ihres Personals achten – und zwar in verschiedenen Dimensionen wie Nationalität, Geschlecht oder Alter. Diversity-Quoten sind ein sinnvolles Instrument, um Durchmischung zu fördern. Das gilt vor allem für Firmen, deren Teams eher homogen aufgestellt sind. Durchmischte Teams tragen zu einer nachhaltigen Nachwuchsplanung bei und stärken die Attraktivität von Arbeitgebern, gerade in Branchen mit Fachkräftemangel. Diversity-Quoten können zudem einen positiven Wandel in der Unternehmenskultur vorantreiben, besonders wenn der Anteil von Minderheiten über die kritische Schwelle von einem Drittel steigt. Sollen Diversity-Quoten verbindlich oder unverbindlich sein? Die Forschung hat gezeigt, dass es oft nicht genügt, wenn sich Führungspersonen im Sinne einer Selbstverpflichtung für Diversität einsetzen sollen. Unbewusste oder bewusste Stereotype sind stark veränderungsresistent, und so bevorzugen Kadermitarbeitende tendenziell Bewerbende, die ihnen ähneln. Zielwerte für die Durchmischung sollten deshalb an verbindliche Vorgaben und Anreize geknüpft sein, zum Beispiel im Rahmen des Vergütungsmodells. Diversity-Zielwerte dürfen aber nicht im luftleeren Raum stehen. Sie sollten stets realistisch gesetzt werden. Das ist wichtig, um zu verhindern, dass Mitarbeitende im Arbeitsalltag oder bei Beförderungen und Rekrutierungen auf quotenrelevante Eigenschaften reduziert werden unabhängig von ihrer persönlichen Leistung im Beruf. Entscheidend für die nachhaltige Durchmischung ist vor allem auch, dass die generellen Arbeitsbedingungen stimmen. Eine gute Atmosphäre, in der Mitwirkung gewünscht wird, Toleranz und Respekt gelebt und flexible Arbeitsmodelle angeboten werden, sind Motivatoren, damit Mitarbeitende sich mit Freude einbringen und einem Unternehmen treu bleiben. Zielwerte können vor diesem Hintergrund nicht nur im Bereich persönlicher Eigenschaften zum Tragen kommen, sondern auch auf der strukturellen Ebene. Ein Beispiel dafür ist eine Teilzeitquote im Kader. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt hin zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und bildet so ein weiteres nützliches Steuerungselement für das Personalmanagement.
Laetitia Dacorogna ist Kommunikationswissenschaftlerin mit Master in Human Resources Management, Leiterin HR Beratung am Universitätsspital Zürich und führt die Abteilungen HR Business Partner, Gesundheitsmanagement sowie die Fachstelle Diversity & Inclusion Management. Letztere hat sie 2020 aufgebaut. Sie ist Mutter einer zweijährigen Tochter und Buchautorin.
«Es hängt vom Unternehmen und von seinen Werten ab, ob Diversity-Quoten die richtige Wahl sind»
Standpunkt von Samuel Stalder
Es gibt kein nobleres Ziel, als in einer Gesellschaft zu leben, die Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (DE&I) wertschätzt und aktiv fördert. Es erfreut mich ausserordentlich, zu sehen, dass viele Unternehmen sich diesem Gedanken angeschlossen haben und DE&I mittlerweile einen der am meisten diskutierten Begriffe in der Arbeitswelt darstellt. Allerdings sollten wir uns bei «Diversity-Quoten» auf keinen Fall täuschen lassen! Denn oft sind wir uns nicht bewusst, was «Diversity» eigentlich bedeutet. Viele denken dabei an die Themen «Gender» und «LGBTIQ+». Doch dieser Begriff beinhaltet viel mehr. Aus diesem Grund muss ich kurz Klarheit schaffen: Diversity beschreibt den Zustand von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund innerhalb einer Gruppe oder Organisation – sei es bezüglich ihres Alters, Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, Beeinträchtigung, Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Doch ist es wirklich sinnvoll, Mitarbeitende aufgrund dieser Merkmale bevorzugt einzustellen? Sollen Verhältnisse durch Quotierungen geregelt werden? Diese Fragen sind äusserst komplex – die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Einige befürworten die Einführung von Diversity-Quoten als Mittel, um der Benachteiligung bestimmter Personengruppen am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. Andere argumentieren jedoch gegen sie. Sie seien eine kurzfristige Lösung mit potenziell negativen Auswirkungen auf lange Sicht. Ich bin der Meinung, dass Unternehmen versuchen sollten, eine möglichst vielfältige Belegschaft zu beschäftigen. Dies bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich, wie zum Beispiel eine grössere Bandbreite an Perspektiven und Erfahrungen. Genauso wichtig ist, dass Unternehmen die richtigen Personen in den richtigen Positionen einsetzen. Denn wenn «unpassende» Mitarbeitende Schlüsselpositionen innehaben, kann dies zu grossen Problemen führen. In diesem Fall sind Diversity-Quoten weder hilfreich noch zielführend, sondern nur kontraproduktiv. Letztendlich hängt es vom Unternehmen und von seinen Werten ab, ob Diversity-Quoten die richtige Wahl sind. Aber ich bin überzeugt: Eine vielfältige Belegschaft bleibt ein wichtiger Faktor für den Erfolg unzähliger Unternehmen.
Samuel Stalder ist Founder von Including YOU! – eine Jobvermittlung, welche sich für DE&I-Themen einsetzt. Zudem ist er Co-Founder der Diversity Job Group und TalentReach. Er hat über 20 Jahre Erfahrung im Bereich Human Resources und davon acht Jahre DE&I.
Passende Produkt-Empfehlungen
«DE&I-Ziele bilden die entscheidende Ergänzung in HR-Prozessen und sind Voraussetzung für den Fortschritt»
Standpunkt von Roxana Achermann
Gut 90 Minuten hatten wir Zeit, neu startenden Führungskräften etwas über unser Engagement für Diversity, Equity und Inclusion (DE&I) zu erzählen und mit ihnen darüber zu diskutieren. Obwohl wir dabei kein einziges Mal das Wort Quote verwendet haben, sagte eine IT-Führungskraft kurz vor Ende der Veranstaltung: «Ich finde euer Engagement wichtig, aber eine Quotenfrau will ich nicht sein.» Quote – kein einziges Wort scheint in Verbindung mit Zielsetzung derart negativ behaftet zu sein. Genau aus diesem Grund haben wir im Zuge unserer DE&I-Strategie das Wort Quote aus unserem Wortschatz gestrichen. Was aber nicht bedeutet, dass wir hinsichtlich DE&I keine Ziele verfolgen. Ganz im Gegenteil. Für Unternehmen die DE&I nicht nur als Marketingkampagne verstehen, sondern als Treiber für Innovation, Erhöhung der Kund*innen- und Mitarbeitendenzufriedenheit und als wirksame Massnahmen gegen den Fachkräftemangel, ist die Zielformulierung unabdingbar. Darum stellt sich für uns nicht die Frage, ob es DE&I-Ziele braucht, sondern in welchem Prozess diese formuliert werden. Wir sind davon überzeugt, dass tiefgreifende Veränderungen personeller Strukturen nicht nur in der Verantwortung von HR liegen, sondern von allen Bereichen mitgetragen werden müssen. Ebenso erachten wir es als wenig zielführend, wenn DE&I-Ziele von oben vorgegebenen werden und für alle Bereiche, im Sinne einer «One-size-fits-all-Lösung» genau gleich ausfallen. Weitaus produktiver als eine starre, generalisierte Vorgabe ist unserer Meinung nach, die einzelnen Bereiche in ihre Zielformulierungen einzubinden. Besser noch: Sie legen ihre Ziele selbst fest. Basierend auf dem Status quo definieren die Bereiche Ziele unter Berücksichtigung bereichsinterner Bewegungen und der jeweiligen Kultur. Aus diesem Grund gibt es bei Swisscom seit rund drei Jahren realistische, aber dennoch ambitionierte DE&I-Ziele. Diese stehen keinesfalls über anderen Zielen, sondern bilden eine entscheidende Ergänzung in diversen HR-Prozessen. DE&I-Ziele liefern Diskussionsgrundlage für Entscheidungsträger*innen, schaffen Verbindlichkeit und sind Voraussetzung für den Fortschritt unseres Engagements. Dabei stellen sie nicht das Ende der Geschichte dar, sondern bieten vielmehr Legitimation für alles Weitere, wie beispielsweise Trainings zu unbewussten Vorurteilen, die Durchführung von LGBTIQ+-Kampagnen oder die Einführung von besseren Angeboten für eine höhere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Roxana Achermann arbeitet als Projektleiterin im DE&I-Team der Swisscom und studiert im Master Organisationskommunikation an der ZHAW. Es ist ihr wichtig, zu einer inklusiveren Arbeitswelt frei von Vorurteilen und Diskriminierung beizutragen.