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Co-Leadership: Konzepte und Erfahrungen aus der Praxis

Zahlreiche Unternehmen spüren ein steigendes Interesse an neuen und flexiblen Arbeitszeitmodellen, auch im Bereich der Führung. Sie sehen sich gefordert, sich mit dem Konzept Jobsharing auf Führungsebene und seinen Chancen und Herausforderungen zumindest auseinanderzusetzen. Wie erfolgreich Jobsharing von den Beteiligten (Führungskräfte und Mitarbeitende) eingeschätzt wird, zeigen vier Fallstudien aus Schweizer Unternehmen.

07.07.2023 Von: Sibylle Olbert-Bock
Co-Leadership

Begriffliche Vielfalt und uneinheitliche Verwendung

Topsharing bzw. Co-Leadership liegt vor, wenn zwei Personen eine gemeinsame Führungsfunktion ausüben und sie sich die Befugnisse sowie Verantwortung für die mit der Funktion verbundenen Fragestellungen teilen. Oft geht dies mit einem reduzierten Beschäftigungspensum, also Teilzeit einher. Systematisiertes Wissen über verschiedene Ansätze und ihre Gestaltung in Schweizer Unternehmen ist derzeit noch wenig verfügbar.

Ziel des Artikels ist es, zu begrifflicher Klarheit beizutragen und Hinweise für die Gestaltung von Co-Leadership zu geben, das mit Teilzeit der beteiligten Führungskräfte einhergeht. Die Aussagen basieren auf einer Analyse von vier Fallstudien aus der Schweizer Unternehmenspraxis.

Stellenbezogene Perspektive – Co-Leadership

In der aktuellen Fachliteratur finden sich eine intensive Diskussion und eine Vielzahl unterschiedlicher Begrifflichkeiten und Ansätze, um die Funktion der Führung auf mehrere Personen zu verteilen.

Bei Co-Leadership – auch als Doppelspitze, Dual-Leadership, Co-Leitung und Co-Heads bezeichnet – wird aus einer primär stellenbezogenen Perspektive heraus argumentiert. Die mit der Stelle verbundene Führungsverantwortung wird auf zwei Personen aufgeteilt, die gleichberechtigt einer Organisationseinheit vorstehen. Beide Personen teilen je nach Untermodell (Jobpairing – Jobsharing – Jobsplitting) bzw. Praktikabilität die Aufgaben untereinander auf (siehe Abbildung 1). Dabei können die üblichen 100% einer Stelle in Summe durchaus unter- oder überschritten werden.

Inhaltsbezogene Perspektive – hybride Führungstandems

Anders sind «hybride Führungstandems» zu sehen, bei denen beide Personen voneinander unabhängige Fach- und Führungsaufgaben wahrnehmen. Des Weiteren sind Konzepte unterscheidbar, die zunächst unter inhaltsbezogener Betrachtung die Frage stellen, inwiefern eine Arbeitsteilung verschiedener Personen in der Problemlösung besteht und wer je nach Fachbereich den Lead übernimmt. Konzepte wie Distributed Leadership, Plural oder Shared Leadership lassen sich einer solchen Perspektive zuordnen.

Personenbezogene Perspektive – Teilzeitführung

Unter einer personenbezogenen Betrachtung geht Co-Leadership oft mit «Teilzeitführung» einher. Der Normalfall ist nach wie vor, dass eine einzelne Führungsperson sämtliche Führungsaufgaben für einen definierten Bereich mit den verschiedenen Aufgaben und Arbeitskräften übernimmt (Ellwart et al., 2016). Dies gilt auch für die Schweiz, wo immer noch zwischen 80-85% der Führungspositionen Vollzeitstellen sind (Karlshaus  & Kaehler, 2017; Bundesamt für Statistik [BFS], 2006).

Eine genaue Definition, wann eine Führungskraft als «Teilzeitführungskraft» gilt, ist nicht möglich. Es bestehen erhebliche Differenzen, um wie viel Prozent oder Stunden diese Arbeitszeit verkürzt sein muss. Erschwerend kommen hierbei nationale Unterschiede in der üblichen Anzahl an Arbeitsstunden pro Woche sowie branchenübliche Unterschiede hinzu. Für die Schweizerische Arbeitskräfte-Erhebung (SAKE) wird jedoch eine Anstellung von <90% als Teilzeitarbeit definiert.

Teilzeit im Management mit einem Pensum von 75–90% ist am häufigsten anzutreffen und wird bisweilen auch «Vollzeit Light» genannt (Karlshaus, 2016). Dabei wird aber nicht selten implizit erwartet, dass dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit erledigt wird.

Nutzenerwartungen und Herausforderungen

Sowohl die Nutzenerwartungen als auch die damit verbundenen Herausforderungen (siehe Abbildung 2) unterscheiden sich zum Teil je nach Modell. Für ein Co-Leadership spricht oft, dass Führungstätigkeiten komplexer werden und Unsicherheiten sowie wirtschaftliche Risiken steigen. Auch sind zwei Personen auf der gleichen Stufe besser erreichbar und können sich in ihren Kompetenzen ergänzen. Oftmals wird dieses Führungsmodell bei Fusionen angewendet, und die ehemaligen InhaberInnen der Führungspositionen beider Firmen werden als Co-Heads eingesetzt. Hierbei, genauso wie als Instrument der Führungsentwicklung werden Co-Heads nicht unbedingt als langfristige Lösung gedacht.

Teilzeitführung erwächst oft aus dem Wunsch des Einzelnen, neben einer Führungstätigkeit Zeit für andere Aktivitäten zu haben. Sie kann auch Belastungen reduzieren, indem die immer anspruchsvollere Führungstätigkeit im Umfang reduziert wird. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Aufgaben auch weniger werden. Viele Unternehmen tun sich schwer mit der Entscheidung für eine Doppelspitze oder Teilzeitführung. Beispielsweise führt die Teilung von Aufgaben zu einem erhöhten Abstimmungsbedarf und daher oft zu der Notwendigkeit, insgesamt mehr Gesamtstellenprozent vorzusehen als bisher. Auch besteht die Sorge um das Entstehen von Pattsituationen oder zusätzlichen Machtrangeleien der Führungskräfte, die sich die Position teilen (Münderlein, 2021). Teilzeitführende haben mit ihrer Anerkennung als Führungskraft zu kämpfen.

Elemente einer gelingenden Umsetzung von Co-Leadership

Wie bei zahlreichen Neuerungen in Organisationen gilt die Rückendeckung durch das Topmanagement bzw. Board als wesentlich, damit Co-Leadership gelingen kann. Wie wichtig die bestehende Unternehmenskultur ist, zeigt sich bereits an immer wieder anzutreffenden Aussagen, wonach sich das Aufgabengebiet zur Teilung «eignen» muss. Die «Eignung» bezogen auf Führung überhaupt wird aktuell von verschiedenen Personen sehr unterschiedlich beantwortet. Entsprechend wichtig sind gemeinsame Vorstellungen der Co-Leader, ob und wie sie die Verantwortung, Zuständigkeiten und Befugnisse z.B. in der Orientierung, Organisationsoptimierung, Aufgabensteuerung, Gestaltung von Mitarbeitenden- und Zusammenarbeitsbeziehungen aufteilen wollen, für Transparenz sorgen und Einheitlichkeit gewährleisten können. Die Begleitung des Führungstandems sowie die Bereitstellung von Ressourcen sind wichtige flankierende Massnahmen einer gelingenden Umsetzung.

In Bezug auf die Erfolgsfaktoren von Co-Leadership wird in der bestehenden Literatur daher immer wieder auf die Kompatibilität der beiden Führungskräfte sowohl auf fachlicher als auch auf persönlicher Ebene hingewiesen, die über die Zeit hinweg immer wieder herzustellen ist.

Beispielhafte Cases von Co-Leadership in Schweizer Unternehmen

Co-Leadership mit Teilzeitführung betrifft nicht nur die unmittelbar beteiligten Führungskräfte. Zu wenig werden bisher die Perspektiven von verschiedenen Betroffenen des Führungsprozesses berücksichtigt. Deshalb wurde in der vorliegenden Studie eine Fallstudienbetrachtung vorgenommen, bei der neben Erfahrungen der Co-Leader auch die von weiteren Personen eingehen sollen. Dies war in zwei von vier betrachteten Fällen möglich. Es kamen daher Interviews der Co-Leader und eine schriftliche Befragung ihrer Mitarbeitenden zum Einsatz. Ihre Modelle des Co-Leadership lassen sich wie folgt charakterisieren (siehe auch Tabelle 1):

Case 1:

  • gesamt 110% (50% und 60%) 
  • teilweise Jobsplitting: Führungsaufgaben werden von beiden Personen wahrgenommen, nur einzelne sind spezifisch

Case 2:

  • gesamt 120% (60% und 60%) 
  • teilweise Jobsplitting: personelle Führung wird von beiden Personen wahrgenommen, fachliche Aufgaben sind teilweise aufgeteilt

Case 3:

  • gesamt 110% (50% und 60%)
  • Jobpairing: alle Aufgaben werden von beiden Personen wahrgenommen

Case 4:

  • gesamt 140% (70% und 70%)
  • Jobpairing: alle Aufgaben werden von beiden Personen wahrgenommen, bei Sitzungen wechseln sie sich ab

Auffällig ist, dass alle Führungspersonen weiblich sind, eine Bürotätigkeit ausüben und sich bereits im Vorfeld des Stellenantritts kannten. Sieben der acht befragten Jobsharing-Führungskräfte geben die Familie als Hauptgrund für ihren Wunsch nach Teilzeitführung an.

Erfahrungen mit Co-Leadership mit Teilzeitführung

Die befragten Führungskräfte sind mit ihrem Co-Leadership-Modell sehr zufrieden. Sie sehen Vorteile in der Absprache, der Gewährleistung von Vertretung, einer Verteilung des Drucks auf mehrere Schultern sowie in der Verringerung der «Einsamkeit» in ihrer Führungsfunktion. Genauso ist ihr Modell aber mit dem bereits genannten hohen Abstimmungsaufwand verbunden. Dazu kommen zusätzliche Kosten für die gesamthaft höheren Stellenprozente und zu wenig Zeit für gemeinsame Abstimmungen. Die Mitarbeitenden zeigen sich auch zufrieden. Erwähnenswert ist aber, dass in beiden Beispielen, bei denen auch die Mitarbeitenden befragt werden konnten, diese das Co-Leadership nicht unbedingt klassischen Modellen vorziehen würden. Auch äussern sich die Mitarbeitenden etwas skeptischer als ihre Führungskräfte.

Einen Überblick über die Einschätzungen im Vergleich Führungskräfte – Mitarbeitende bietet Tabelle 2 für das Beispiel von Case 3.

Erfolgsfaktoren

Die Ergebnisse bestätigen, dass der «Fit» der Führungskräfte einen erheblichen Einfluss auf das Gelingen von Co-Leadership hat. In allen Cases kannten sich die beteiligten Führungskräfte zuvor. Insgesamt entfallen viele der genannten Aspekte auf die Eignung der Personen bzw. lassen sich in der Persönlichkeit der Führungskräfte finden. Dies begründet sich nicht zuletzt durch die Notwendigkeit und Fähigkeit zu abgestimmtem Handeln sowie den dazu erforderlichen umfassenden Austausch. Hierbei helfen überschneidende Arbeitszeiten.

Der Informationsfluss ist nicht nur innerhalb des Tandems, sondern auch zu den Mitarbeitenden klar zu gestalten.

Tabelle 3 fasst die insgesamt identifizierten Erfolgsfaktoren zusammen.

Fazit zur Förderung von Co-Leadership mit Teilzeit-Führung

Wollen Unternehmen Co-Leadership fördern, müssen im ersten Schritt Führungspositionen proaktiv mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der geteilten Stellenbesetzung ausgeschrieben werden. Die passende Partnerwahl gilt als besonders zentrales Erfolgskriterium. Daher sollten Massnahmen des HR bereits an diesem Punkt ansetzen. Um die Suche nach einem passenden Jobsharing-Partner zu erleichtern, gibt es bereits Online-Plattformen, die Arbeitnehmende und Unternehmen gleichermassen nutzen können (z.B. www.go-for-jobsharing.ch). Um persönlichen «Fit» und die eigenen Bereitschaften und Fähigkeiten zu gemeinsamen Absprachen und Verbindlichkeit in ihrem Einhalten zu prüfen, bedarf es kluger Auswahl und ehrlicher Selbstreflexion.

Co-Leadership mit Teilzeitführung steht im Widerspruch zum Verständnis der klassischen Führung bzw. Führungskraft und erfordert nicht selten einen kulturellen Wandel. Es könnte verstärkt, aber nicht ausschliesslich, genutzt werden, um Führungsfunktionen für Zielgruppen attraktiv zu machen, die sich eine Vollzeitstelle in ihrer aktuellen Lebenssituation nicht vorstellen können. Für Unternehmen kann so auch der Zugang zu einer grossen Gruppe von gut ausgebildeten Fachkräften eröffnet werden. Um von einem temporären zu einem Dauermodell zu gelangen, ist zentral, dass mit Teilzeitführung einhergehendes Co-Leadership weder ausschliesslich an individuellem Vereinbarkeitsbedarf ausgerichtet wird, noch zu der für Teilzeitarbeit üblichen Sackgasse wird. Entsprechend wichtig ist, dass die Interessen aller Beteiligten ausgewogen in die Gestaltung einfliessen können. Bisher wird es noch etwas zu sehr unter dem Fokus alltäglicher und interaktioneller Führung diskutiert. Wichtig wäre, darüber hinausgehende Führungsverantwortung und verbundene Gestaltungsfragen mit anzugehen, damit z.B. Zukunftsarbeit und die strategische Orientierung in dieser Konstellation optimal gestaltet werden können.

Über die Studie

Es wurden vier Fallstudien analysiert, um aus Perspektive von verschiedenen Beteiligten zu erfassen, wie Unternehmen in der Schweiz das Jobsharing auf Führungsebene gestalten und welche Erfahrungen damit bestehen. Konkrete Forschungsfragen waren: 

  • Welche Erfahrungen, Anforderungen und Vorbehalte im Hinblick auf Jobsharing auf Führungsebene bestehen bei den verschiedenen Interessensgruppen?
  • Welche Strukturelemente und Rahmenbedingungen sind in Organisationen mit Jobsharing auf Führungsebene zu finden?
  • Welche Erfolgsfaktoren und Herausforderungen bestehen in Organisationen mit Jobsharing auf Führungsebene?

Die Datenerhebung fand in zwei Phasen statt:

Phase 1: Acht qualitative Tiefeninterviews mit Jobsharing-Führungskräften zu individuellen Einschätzungen zur aktuellen Gestaltungsform, wichtigen praktischen Implikationen sowie individuellen Motiven der Führungskräfte.

Phase 2: In zwei der vier Fallbeispielen wurde ergänzend eine Online-Befragung der Mitarbeitenden des Führungskräfte-Tandems zur Gestaltung des Modells in ihrem Unternehmen durchgeführt. Es wurde zunächst fallbezogen ausgewertet, bevor die Ergebnisse fallübergreifend betrachtet wurden.

Der fallspezifische Erhebungsablauf, sowie eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Branchen, der Mitarbeitendenzahl des Unternehmens sowie der direkt unterstellten Mitarbeitendenzahl der Jobsharing-Führungskräfte und die Position der befragten Führungskräfte pro Fall sah daher wie folgt aus, siehe Abbildung 3.

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