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Strafbares Verhalten am Arbeitsplatz: So gehen Sie korrekt damit um

Besteht der Verdacht, dass eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter eine strafbare Handlung begangen hat, stehen die Arbeitgebenden vor der Herausforderung, wie damit umzugehen ist. Eine fristlose Entlassung ist nicht in jedem Fall gerechtfertigt. Zudem stellt sich die Frage, wie umfassend Arbeitgebende den Verdacht untersuchen müssen und ob zu diesem Zweck Überwachungsmassnahmen getroffen werden dürfen. Häufiger Konfliktpunkt sind dabei ebenso das Arbeitszeugnis und die Erwähnung des Kündigungsgrunds.

07.02.2023 Von: Selina Oes, Nicole Vögeli Galli
Strafbares Verhalten am Arbeitsplatz

Fristlose Kündigung

Grundsätzlich gilt, dass für eine gerechtfertigte fristlose Kündigung ein wichtiger Grund vorliegen muss, der geeignet ist, das gegenseitige Vertrauen zu zerstören oder schwer zu erschüttern, und dies auch tatsächlich erfolgt ist, sodass eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist.1 Die Lehre vertritt mehrheitlich die Meinung, dass ein blosser Verdacht auf strafbares Verhalten am Arbeitsplatz für eine fristlose Kündigung nicht ausreicht. Grundsätzlich sprechen Arbeitgebende eine fristlose Kündigung aufgrund eines blossen Verdachts deshalb auf eigenes Risiko aus, und sie tragen die volle Beweislast dafür, dass der Verdacht gerechtfertigt war (Art. 8 ZGB). Erhärtet sich der Verdacht und wurde etwa die Straftat tatsächlich begangen, kann die fristlose Kündigung zulässig sein. Dies gilt insbesondere, wenn die Straftat im Zusammenhang mit der Tätigkeit der betroffenen Person steht oder den Ruf der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers schädigt. Im Falle eines Restaurantmitarbeiters, der seit elf Jahren angestellt war und dabei ertappt wurde, wie er eine Weinflasche aus dem Lagerbestand des Restaurants in seiner Tasche herausschmuggeln wollte, kam das kantonale Gericht zum Schluss, dass die fristlose Kündigung der Arbeitgeberin nicht gerechtfertigt war. Berücksichtigt wurde dabei die Dauer des Arbeitsverhältnisses von elf Jahren und der geringe Wert des Deliktguts. Das Bundesgericht hob diesen Entscheid jedoch auf und statuierte, dass die Dauer des Arbeitsverhältnisses und der Wert des Deliktguts nicht von Relevanz sei und auch ein geringfügiger Diebstahl bereits geeignet sein könne, das Vertrauen derart zu zerstören, dass eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar sei.2 Das Bundesgericht hat diese strenge Praxis, dass der Wert des Deliktguts nicht von Bedeutung sei, regelmässig bestätigt. So wurde die fristlose Entlassung einer Kassiererin mit mehr als zehn Dienstjahren geschützt, nachdem in ihrer Tasche, versteckt unter einer Zeitung, bei einer Mitarbeiterkontrolle am Ausgang der Filiale je zwei Packungen Vollkorncracker und Aufschnitt entdeckt worden waren.3 Hingegen nicht geschützt wurde eine fristlose Entlassung eines Kundenberaters, der wegen sexueller Handlungen mit Kindern verurteilt wurde, wovon der Vorgesetzte aus den Medien erfuhr.4

Kann die Straftat von den Arbeitgebenden nicht bewiesen werden, treten grundsätzlich die Folgen der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung ein: Lohnersatz bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin (Art. 337c Abs. 1 OR) und allenfalls eine Entschädigung in Höhe von maximal sechs Monatslöhnen (Art. 337c Abs. 3 OR). Eine Ausnahme greift, wenn die beschuldigte Person die Abklärung des Tatbestands illoyal behindert. Dies gilt gleichermassen, wenn nach Abklärungen ein erheblicher Verdacht wegen eines schweren Delikts bestehen bleibt.5 Sollte sich der Verdacht jedoch später als unbegründet erweisen, muss der Lohn gestützt auf Art. 337c Abs. 1 OR bezahlt werden. Hingegen wird keine Entschädigung geschuldet sein.6

Kein Grund zur fristlosen Entlassung stellt die unverschuldete Verhinderung an der Arbeitsleistung dar (Art. 337 Abs. 3 OR). Fraglich ist, ob eine Verhinderung bedingt durch die Anordnung einer Untersuchungshaft darunterfällt oder nicht und sodann keine Verdachtskündigung wäre. Das Bundesgericht sieht jedoch keinen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gegeben, solange die Untersuchungshaft nicht durch das Verhalten im Strafverfahren ausgelöst wurde.7 Dies müsste dann anders beurteilt werden, wenn die Untersuchungshaft durch Begehen eines Delikts selbst verschuldet ist. In der Praxis ergibt sich das Problem, dass zum Zeitpunkt der Anordnung der Untersuchungshaft eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgeber in der Regel nicht weiss, ob eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter die Tat tatsächlich begangen hat und damit selbst verschuldet an der Arbeitsleistung verhindert ist.

Praxistipp: Bei Untersuchungshaft empfiehlt es sich, den Lohn einstweilen nicht zu bezahlen. Bei längerer Untersuchungshaft dürfte der Vorwurf der strafbaren Handlung und damit die Einstellung der Lohnzahlung eher begründet sein. Bei kürzerer Untersuchungshaft wird die geringe Lohneinbusse nicht derart ins Gewicht fallen. Danach ist mit den Mitarbeitenden abzusprechen, ob der Lohn dennoch nachbezahlt wird und wer wann welche Entschädigungen im Strafverfahren für eine allfällig unberechtigte Untersuchungshaft geltend macht.

Ordentliche Kündigung

Selbst bei einer ordentlichen Kündigung ist eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgebender nicht in jedem Fall auf der sicheren Seite, wenn aufgrund eines Verdachts auf strafbares Verhalten am Arbeitsplatz gekündigt wird. Da die Liste in Art. 336 OR von missbräuchlichen Kündigungsgründen nicht abschliessend ist, kann eine missbräuchliche ordentliche Kündigung auch dann vorliegen, wenn die Kündigung mit dem Vorwurf eines ehrenrührigen Verhaltens begründet wird und sich der Vorwurf im Nachhinein als unbegründet herausstellt.8

Abklärung, interne Untersuchungen und Überwachung bei Verdacht auf strafbares Verhalten am Arbeitsplatz

Besteht ein Verdacht auf strafbares Verhalten durch eine Mitarbeiterin/einen Mitarbeiter muss gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgeber genügende Anstrengungen unternehmen, um den Sachverhalt in ernsthafter Weise zu prüfen, und unter Umständen eine Untersuchung durchführen.9 Dies gebietet die Fürsorgepflicht abgeleitet aus Art. 328 OR und dem Gebot der schonenden Rechtsausübung. Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung dazu in einem neueren Urteil vom 5. April 2022 bestätigt.10 Die fristlose Entlassung im Falle eines Verdachts auf strafbares Verhalten am Arbeitsplatz ist dann ungerechtfertigt, wenn eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgeber nicht alles getan hat, was erwartet werden kann, um die Richtigkeit der Verdachtsmomente zu überprüfen.11 Das Bundesgericht beurteilte im konkreten Fall die fristlose Kündigung als ungerechtfertigt mit dem Grund, dass die Arbeitgeberin nicht alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um die Indizien zu bestätigen. Es sei nur auf die Aussagen von einigen Mitarbeitenden abgestellt worden, und die Informationen zum Verdacht seinen von einem Anwalt und nicht von externen, unabhängigen Ermittelnden an die Arbeitgeberin herangeführt worden. Dies könne eine Anhörung der verdächtigten Person nicht ersetzen.12

Arbeitgebende stehen damit in der Pflicht, vor Aussprechen einer fristlosen oder ordentlichen Kündigung alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, die Indizien zu prüfen und die verdächtigte Person im Rahmen der Abklärungen anzuhören. Darüber hinaus muss eine Arbeitnehmerin/ein Arbeitnehmer auch die Möglichkeit bekommen, sich angemessen und wirksam verteidigen zu können. Die beschuldigte Person hat ein Recht auf Vorbereitung der Verteidigung, auf anwaltliche Vertretung und auf Vorlegung entlastender Beweise. Dies setzt voraus, dass eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgeber die verdächtigte Person vor einer allfälligen unternehmensinternen Untersuchung über den gehegten Verdacht informiert. Umgekehrt müssen Mitarbeitende aufgrund ihrer Treuepflicht wahrheitsgetreu, vollständig und rechtzeitig Auskunft und Mitteilungen betreffend Arbeit und Betrieb erteilen (Art. 321a Abs. 1 OR). Ob Arbeitnehmende auch dann dazu verpflichtet sind, wenn sie sich durch die wahrheitsgetreue Auskunftserteilung strafrechtlich selbst belasten würden, ist jedoch umstritten.

Schranken für die Untersuchung ergeben sich aus dem Datenschutzgesetz. So sind verdeckte Ermittlungen oder Überwachungen grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ihr Zweck könne nicht anders erreicht werden oder es liege ein Rechtfertigungsgrund vor (Art. 13 DSG). In jedem Fall muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Ein überwiegendes Interesse der Arbeitgebenden liegt z. B. vor, wenn Diebstähle durch das Personal oder Kunden und Kundinnen verhindert werden sollen. Daher sind bei beiden Personenkategorien Taschenkontrollen zulässig. Weiter darf etwa bei Vorliegen eines Verdachts auf strafbares Verhalten auf eine vorgängige Mitteilung der Überwachung verzichtet werden, da die Interessen der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers, der anderen Arbeitnehmenden sowie der Öffentlichkeit an der Aufklärung in einer solchen Situation diejenigen der Arbeitnehmenden überwiegen.13

Reaktionsfrist

Entscheidet sich eine Arbeitgeberin/ein Arbeitgeber dazu, die fristlose Kündigung auszusprechen, hat dies grundsätzlich umgehend nach sicherer und möglichst vollständiger Kenntnis des Kündigungsgrunds zu erfolgen – das Bundesgericht erlaubt dafür normalerweise zwei bis drei Arbeitstage.14 Diese kurze Frist wird zum Teil auch bei Verdachtskündigungen angewandt. Diesbezüglich ist jedoch die Abklärungsfrist von der Überlegungsfrist zu unterscheiden, welche erst dann beginnt, wenn die nötigen Fakten und die Verantwortlichkeiten geklärt sind. Arbeitgebende haben somit Zeit, die nötigen Abklärungen und Anhörung der verdächtigten Person durchzuführen, müssen jedoch im Anschluss schnell handeln.

Fragen im Zusammenhang mit dem Arbeitszeugnis

Inhalt

Erfolgt eine fristlose oder ordentliche Kündigung, ist der nächste Streitpunkt meist der Inhalt des Arbeitszeugnisses. Grundsätzlich gilt, dass einmalige negative Vorfälle, die für den Gesamteindruck unerheblich sind, nicht im Arbeitszeugnis erwähnt werden dürfen. Erfolgen Kündigungen jedoch berechtigt aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens, ist dieses als Kündigungsgrund im Arbeitszeugnis aufzunehmen.

Zeitpunkt der Ausstellung

Nach Art. 330a OR haben Arbeitnehmende das zwingende Recht, jederzeit ein Arbeitszeugnis verlangen zu können. Arbeitgebende dürfen die Ausstellung eines Zeugnisses auch nicht von Gegenforderungen abhängig machen. Im Falle eines Verdachts auf strafbares Verhalten kann die Ausstellung des Zeugnisses jedoch so lange hinausgezögert werden, bis der Sachverhalt abgeklärt und die Untersuchung abgeschlossen ist.15

 

Fussnoten:

1) BGer 4C.154/2006 Urteil vom 26. Juni 2006 E. 2.2; BGE 129 III 380 E. 2.1.
2) BGer 4A_228/2015 Urteil vom 29. September 2015 E. 5.
3) BGer 4A_177/2017 Urteil vom 22. Juni 2017.
4) BGer 4C.431/2005 Urteil vom 31. Januar 2006.
5) BGer 4A_507/2010 Urteil vom 2. Dezember 2010 E. 3.5.
6) BGer 4A_507/2010 Urteil vom 2. Dezember 2010 E. 3.5.
7) BGer 4C.74/2000 Urteil vom 16. August 2001 E. 4b.
8) So z.B. in BGer 4A_694/2015 Urteil vom 4. Mai 2016.
9) BGer 4A_419/2015 Urteil vom 19. Februar 2016 E. 2.4.
10) BGer 4A_365/2020 Urteil vom 5. April 2022.
11) BGer 4A_365/2020 Urteil vom 5. April 2022 E. 3.1.2 m. w. H.
12) BGer 4A_365/2020 Urteil vom 5. April 2022 E. 3.4.1.
13) BGer 9C_785/2010 Urteil vom 10.06.2011.
14) BGer 4A_238/2007 Urteil vom 1. Oktober 2007 E. 4.1; BGE 127 III 310 E. 4b.
15) JAR 1998 S. 167.

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