Ü50-Arbeitnehmende: So klappt die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt
Passende Arbeitshilfen
Die heutigen Marktrealitäten – alles bestens, oder?
Seit 1997 ist die Zahl der Erwerbstätigen recht konstant von etwa 3,9 auf 5,3 Millionen Personen angestiegen, was circa 4,4 Millionen Vollzeitäquivalenten entspricht. Damit hat die Erwerbstätigkeit einen neuen Höchststand erreicht. Auf dem offenen Stellenmarkt (Jobplattformen, Unternehmenswebsites und bei Personalvermittlern) sind konstant etwa 230 000 Stellen ausgeschrieben. Die Arbeitslosenquote lag über die vergangenen Jahre auf einem vergleichsweise tiefen Stand, im Juli 2023 betrug der Wert 2%. Diese aggregierten Zahlen weisen auf einen gut funktionierenden und robusten Schweizer Arbeitsmarkt hin.
Wie zeigt sich die Situation für Arbeitnehmende Ü50?
Basierend auf dem Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zur Situation älterer Arbeitsloser aus dem Jahr 2023 beträgt die Erwerbsquote von Schweizer Arbeitnehmenden (Anteil der Erwerbstätigen, die ihre Dienstleistung auf dem Arbeitsmarkt anbieten) in den Altersgruppen von 40 bis 54 89% und von 55 bis 64 78%, was auch im internationalen Vergleich hoch ist. Die Arbeitslosenquote bei der Altersgruppe Ü50 liegt seit den 90er-Jahren fast immer leicht unter den Quoten der übrigen Altersgruppen. Auch die Erwerbslosenquote, die zusätzlich auch die bereits ausgesteuerten Personen beinhaltet, war bis vor Kurzem praktisch immer tiefer als bei jüngeren Altersgruppen.
Allerdings ist seit 2018 eine stetige Erhöhung der Erwerbslosenquote bei der Altersgruppe der über 55-Jährigen festzustellen. Die im Oktober 2019 veröffentlichten Kennzahlen zur Sozialhilfe in Schweizer Städten zeigen im Langzeitvergleich der letzten zehn Jahre, dass das Sozialhilferisiko in diesem Zeitraum bei den 46- bis 55-Jährigen deutlich zugenommen hat. Das Risiko eines Stellenverlusts ist für Arbeitnehmende Ü50 in der Schweiz also rein statistisch gesehen gering. Wenn man in diesem Alter von einem Stellenverlust betroffen ist, ist es jedoch etwas schwieriger, eine Stelle zu finden.
Dass das Thema Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen auch in der Politik angekommen ist, zeigt sich an Überbrückungsleistungen, die am 1. Juli 2021 in Kraft getreten sind. Sie sollen einen gesicherten Übergang in die Pensionierung ermöglichen. In der aktuellen Diskussion wird aus unserer Sicht häufig zu wenig darauf hingewiesen, wie unterschiedlich und individuell sich die Situation im Einzelfall darstellt. Aus unserer Erfahrung bieten sich nämlich speziell für die «mittlere Generation» ganz viele Opportunitäten und Nischen, die es auszuloten und zu nutzen gilt.
Passende Produkt-Empfehlungen
Chancen für die mittlere Generation
- Heterogenität der Arbeits- und Stellenmärkte erkennen und nutzen
Während in bestimmten Funktionen und Branchen Fachkräftemangel herrscht und die Unternehmen händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften suchen und auch bereit sind, Quereinsteigern eine Chance zu bieten, gibt es in anderen Branchen und Funktionen ein Überangebot an qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern. Letzteres führt dazu, dass Unternehmen «Schlüssellochbesetzungen» anstreben, d.h. Personen bevorzugen, die die benötigten fachlichen, wie persönlichen Eigenschaften praktisch haargenau mitbringen. Die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage gilt es genau zu analysieren. Je nach Funktion, Rolle, Branche und/oder Region stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar. Die Marketing- und Suchstrategie «in eigener Sache» ist auf die spezifischen Marktrealitäten auszurichten. Sonst besteht die Gefahr, sich zu verrennen und wertvolle Zeit zu verlieren. - Demografischer Wandel als Chance
In der Schweiz wird der demografische Wandel in den nächsten zehn Jahren mit dem Erreichen des Pensionsalters der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1964 voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Ab den Jahren 2019 und 2020 werden also viele Menschen das AHV-Alter erreichen und aus dem Erwerbsleben austreten. Dadurch steigen die Chancen für Arbeitnehmende mittleren Alters auf dem Arbeitsmarkt wieder an. Voraussetzung ist allerdings, dass der eigene «Rucksack» genügend gefüllt ist. «Schlüsselloch»-Besetzungen werden weniger möglich sein. - Fokus auf Stärken und Motivatoren
Die Fokussierung auf die eigenen Fähigkeiten und Stärken ist zentral: Häufig ist ja das, worin man wirklich gut ist, auch das, was man am liebsten macht (und umgekehrt). Diesen «Kern» gilt es zu erkennen, zu formulieren, zu schärfen und zu nutzen. Neben der Fokussierung auf die Stärken dürfen die Schwächen selbstverständlich nicht ausser Acht gelassen werden. Es geht darum, sich auf einen genügend guten Stand zu bringen und das Know-how laufend à jour zu halten. - Alternative Suchstrategien
Wie erwähnt, sind im Schnitt rund 230 000 Stellen im offenen Stellenmarkt ausgeschrieben. Diese Zahlen widerspiegeln die öffentlich sichtbaren Stellen. Ebenso gibt es einen gewichtigen Anteil an Stellen, die verdeckt vergeben werden. Schätzungen gehen von einem Anteil von bis 70% der Stellen aus, die gar nie ausgeschrieben werden. Aufgrund der Bedeutung des verdeckten Arbeitsmarkts ist es gerade für über 50-Jährige enorm wichtig, wirksame Wege zu finden, um auf den verdeckten Stellenmarkt zuzugreifen.
Welches sind die Erfolgsfaktoren, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können?
Im Rahmen unserer Karriere-Coaching-Beratungen und Newplacements begleiten wir zahlreiche Menschen Ü50 (Fachkräfte, Führungskräfte aller Stufen bis und mit Geschäftsleitung).
Durchschnittlich beträgt die Suchdauer bei unseren Klienten und Klientinnen zwischen fünf und sechs Monaten. Über 50-Jährige finden derzeit durchschnittlich innert sechs bis zwölf Monaten eine passende berufliche Lösung.
Wir sehen folgende Erfolgsfaktoren:
- Machen Sie eine nüchterne Markteinschätzung: Was können Sie anbieten, wie gestaltet sich Angebot und Nachfrage in Ihrem Suchfeld? Wer ist bereit, für Ihre Dienste/Angebote zu bezahlen? Sich bewusst sein, dass der Arbeitsmarkt sehr heterogen ist. Eine spezifische Fähigkeit oder ein bestimmter Skill-Mix kann sehr gesucht sein. Ganz wichtig: Was für andere stimmt, stimmt nicht für Sie und umgekehrt.
- Tendenziell ist es für generalistische Profile schwieriger, in hoch arbeitsteiligen Organisationen zu «landen» oder auch nur zum Interview eingeladen zu werden. Prüfen Sie bewusst auch Rollen in kleineren und mittleren Unternehmen. Hier sind die Funktionen oftmals breiter und generalistischer ausgerichtet. Es gibt viele tolle und erfolgreiche Arbeitgeber jenseits der bekannten Namen und Brands!
- Informieren Sie sich über Trends und Entwicklungen in Ihrem Arbeitsfeld, schauen Sie über den Tellerrand hinaus, recherchieren Sie, forschen Sie nach, und – ganz wichtig – bleiben Sie neugierig.
- Nehmen Sie bei der Stellensuche ein positives «Mindset» ein und fokussieren Sie auch auf kleine Fortschritte und Erfolgserlebnisse – diese gibt es praktisch immer. Stärken Sie Ihre Selbstmanagementfähigkeiten und lernen Sie, mit «Rückschlägen» selbstbewusst umzugehen. Und das Wichtigste: dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben!
- Machen Sie alle zwei bis drei Jahre eine Standortbestimmung, entweder für sich allein, im Austausch mit anderen oder mit einem Profi. Werden Sie sich klar über Ihre Talente, Stärken, Wertvorstellungen, Kernfähigkeiten sowie Ihre idealen Arbeitsumfelder (Unternehmenskultur/-grösse, Sinnhaftigkeit, Branchen, Produkte, Arbeitsmodelle, Autonomie etc.), Zielrollen und Entwicklungsbereiche. Bilden Sie sich laufend in Themenfeldern weiter, die für Sie spannend und beruflich relevant sind.
- Seien Sie kreativ bezüglich zukünftiger Karrierepfade und Rollen. Je nach beruflichem Hintergrund gibt es für erfahrene Fach- und Führungskräfte nebst Feststellen weitere spannende Möglichkeiten wie z.B. Consulting/Coaching/Training, Interim-Management, VR- und Stiftungsratsmandate, (Teilzeit-)Selbstständigkeit, Nachfolgeplanung/ Firmenkauf, Start-ups (Beirat/-rätin, Investor/-in) oder als Kombination im Rahmen eines Job-Portfolios.
- Stärken Sie Ihre Selbstvermarktungskompetenz und lernen Sie, sich je nach Zielrolle passend, authentisch und wirkungsvoll zu verkaufen (mehr Storytelling). Sie haben in Ihrer langjährigen Karriere sehr viel Wissen und Fähigkeiten erlangt, die relevant sein könnten. Sprechen Sie immer wieder darüber, welchen Mehrwert Sie genau leisten und wie Sie die Bedürfnisse des Arbeitgebers bzw. des Entscheiders lösen können. So generieren Sie im Bewerbungsprozess einen klaren Vorsprung.
- Bauen Sie Ihr relevantes Netzwerk auf und pflegen Sie dieses kontinuierlich, analog und digital. Überlegen Sie sich, wo Sie genau beruflich hinmöchten, und richten Sie Ihre Kontakte und Beziehungen darauf aus. Wenn Sie noch kein «Netzwerker» sind, beginnen Sie heute damit und hören Sie nie mehr damit auf! Bei 40% unserer Klientinnen und Klienten kam die Lösung via Netzwerk im weitesten Sinne zustande. Je älter die Person, desto bedeutsamer sind diese Kanäle.
Wie wir sehen, zeigt sich der Schweizer Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmende anspruchsvoll, aber gleichzeitig chancenreich. Wer sich frühzeitig mit den eigenen beruflichen Wünschen auseinandersetzt, sein Wissen und seine Fähigkeiten bewusst weiterentwickelt, das persönliche Netzwerk gezielt stärkt und sich auf dem Markt einzigartig positionieren kann, hat gute Chancen, ein erfülltes Berufsleben bis zum Laufbahnabschluss und allenfalls auch über das Pensionsalter hinaus aktiv auszugestalten.