Lohnforderungen: Grenzen bei der Verrechnung

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Arbeitgeberinnen bestehende Lohnforderungen von Arbeitnehmerinnen mit Gegenforderungen verrechnen. Nicht selten führt dies zum Streit. Vorliegender Artikel soll aufzeigen, ob und inwieweit eine derartige Verrechnung durch die Arbeitgeberin überhaupt zulässig ist.

14.11.2022 Von: Patrick Howald
Lohnforderungen

Wie können Gegenforderungen entstehen? – Ein Fall aus der Praxis

In unserem Fall verweigert die Arbeitgeberin am Monatsende die Lohnzahlung mit dem Hinweis, die Arbeitnehmerin habe mit dem Firmenfahrzeug ein Kollisionsereignis verursacht und ihr damit einen Schaden zugefügt. Dieser Schaden sei mangels Vollkaskodeckung nicht versichert, weshalb die Arbeitnehmerin dafür aufzukommen habe.

Die Verrechnung von Forderungen generell

Die Verrechnung von Forderungen ist in Art. 120 OR geregelt. Nach dieser Bestimmung muss die Identität der Partien beider Forderungen vorliegen, was in unserem Fall zweifellos gegeben ist. Weitere Voraussetzung für eine gültige Verrechnung ist die Gleichartigkeit der Forderungen, was bei Geldforderungen per se immer gegeben ist. Ferner müssen beide Forderungen fällig sein. Gemäss Art. 323 Abs. 1 OR muss die Arbeitgeberin den Arbeitnehmenden den Lohn grundsätzlich am Monatsende bezahlen, womit die Fälligkeit Ende Monat eintritt. Arbeitsverträge sehen regelmässig sogar eine etwas frühere Fälligkeit vor. Interessanter ist die Frage, ob die Forderung der Arbeitgeberin fällig ist. Das dürfte dann der Fall sein, wenn die Arbeitgeberin unter Ansetzung einer Zahlungsfrist die Arbeitnehmerin zur Zahlung der Reparaturrechnung aufgefordert hat und die Frist unbenutzt abgelaufen ist.

Art. 120 OR setzt nicht voraus, dass die Verrechnungsforderung unbestritten ist. Damit kann sie faktisch verrechnet werden, obwohl die Schuldfrage betreffend das Kollisionsereignis noch nicht geklärt ist und eine allfällige Haftung der Arbeitnehmerin für den Schaden noch nicht feststeht. Spätestens im Rahmen eines Gerichtsverfahrens muss die Arbeitgeberin hingegen die Haftung der Arbeitnehmerin und damit die Gültigkeit der Verrechnung nachweisen. Sollte sich herausstellen, dass ausschliesslich ein Dritter für den Schaden haftet, dürfte die Verrechnung an der mangelnden Identität der Parteien scheitern.

Exkurs: Bei der Haftung von Arbeitnehmern gilt es Art. 321e OR zu beachten. Im Rahmen der Beurteilung des Verschuldens sowie der konkreten Schadenersatzbemessung müssen stets das tatsächliche, einzelne Arbeitsverhältnis, das entsprechende Berufsrisiko, der notwendige Bildungsgrad respektive die nötigen Fachkenntnisse sowie die persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, soweit sie der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen, berücksichtigt werden. Regelmässig kommt es damit zu einer reduzierten Ersatzpflicht des Arbeitnehmers.

Die Verrechnung von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis im Besonderen

Während Art. 325 OR die Abtretung und Verpfändung des Lohns an Dritte regelt, bestimmt Art. 323b Abs. 2 OR demgegenüber die Grenzen der Durchsetzung der Ansprüche der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin darf gemäss Art. 323b Abs. 2 OR Lohnforderungen der Arbeitnehmerin nur insoweit mit ihren Forderungen verrechnen, als diese pfändbar sind. Damit wird die Anwendung von Art. 120 OR bei der Verrechnung von Lohnforderungen eingeschränkt. Unbeschränkt verrechnet werden dürfen hingegen Schadenersatzforderungen für absichtlich zugefügten Schaden, von dem in unserem Fall aber nicht einmal die Arbeitgeberin ausgeht. Zu denken ist da zum Beispiel an Schäden aus strafbaren Handlungen des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber im Rahmen von Diebstahl, Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsführung oder vorsätzlicher Sachbeschädigung.

Einschränkung der Verrechnung von Lohnforderungen

Im Umfang des Existenzminimums gilt für Lohnguthaben einschliesslich Überstundenlohn und Provisionen ein Verrechnungsverbot. Gemäss Gerichtspraxis sind Entschädigungen bei ungerechtfertigter Entlassung (Art. 337c Abs. 3 OR), aus missbräuchlicher Kündigung (Art. 336a OR), nichtbezogenen Ferien oder Abgangsentschädigungen (Art. 339b–d OR) nicht vor Verrechnung geschützt. Ebenso sind Vorschüsse (Art 323 Abs. 4 OR) ohne Begrenzung durch das Existenzminimum verrechenbar. Gar keine Verrechnung ist hingegen möglich, wenn die SUVA die Unfalltaggelder in der Höhe von 80% des Lohns via Arbeitgeber ausrichtet, da hier das Sozialversicherungsrecht (Art. 20 Abs. 2 ATSG analog) die Verrechnung durch den Arbeitgeber ausschliesst. Anders liegt der Fall bei Krankentaggeldern, welche wiederum nur im Rahmen des Existenzminimums vor Verrechnung geschützt sind.

Existenzminimum

Gepfändet bzw. verrechnet darf nur der Teil des Lohns, der für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig ist. Bei der Bestimmung der Höhe dieses Teils sind dieselben Prinzipien wie bei der Lohnpfändung (Art. 325 OR) anzuwenden. Massgebend ist Art. 93 SchKG, der auf das Existenzminimum bzw. den Notbedarf des Schuldners abstellt. Die entsprechenden Ansätze sind kantonal geregelt. Im Kanton Zürich werden sie durch das Obergericht festgelegt. Das Existenzminimum besteht aus einem Grundbetrag, Zuschlägen für Miete, Krankenkasse, Berufskosten sowie Unterstützungs- und Unterhaltsbeiträge und allfällige weitere Kosten, für die der Schuldner aufzukommen hat. Das Betreibungsamt am Wohnsitz des Schuldners berechnet das Existenzminimum auf Gesuch des Arbeitgebers hin grundsätzlich nach Ermessen analog der Vorgehensweise bei der Lohnpfändung. In der Praxis kommt das aber kaum vor. Stattdessen wird das Existenzminimum in der Regel durch die Arbeitgeberin behelfsmässig geschätzt oder eben – wie in unserem Fall – erst gar nicht berücksichtigt.

Rechtsfolge bei Verstoss gegen das Verrechnungsverbot

Wenn die Arbeitgeberin gegen das Verrechnungsverbot verstösst, bleibt die Verrechnungserklärung im Umfang des Existenzminimums unwirksam, und die Lohnforderung kann über diesen Teil rechtlich durchgesetzt werden. So weit ist es hingegen in unserem Fall nicht gekommen. Die Arbeitgeberin konnte mit dem Argument, es sei von einem alleinigen Verschulden des Kollisionsgegners auszugehen, solange das Strafverfahren bezüglich der im Raum stehenden SVG-Delikte noch nicht abgeschlossen sei, zu einer Zahlung veranlasst werden. Die Arbeitnehmerin hat sich zusätzlich auf den Standpunkt gestellt, dass sich die Arbeitgeberin anstelle einer Vorverurteilung im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht in erster Linie einmal um den Schutz ihrer Mitarbeiterin gegenüber dem Kollisionsgegner sowohl im Straf- als auch im Zivilverfahren zu kümmern habe.

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