Lohnerhöhung: Lohnrunde 2023 unter der Lupe

Arbeitskräftemangel und Inflation führen erwartungsgemäss dazu, dass die Löhne ansteigen. Gemäss verschiedenen Umfragen werden die Löhne 2023 um rund 2,5% erhöht. Verdient man also für denselben Job in diesem Jahr 2,5% mehr als im Vorjahr? Nicht unbedingt — im Beitrag begeben wir uns auf Spurensuche.

29.09.2023 Von: Roland Stoll
Lohnerhöhung

Goldgräberstimmung

Es herrscht ein ausgeprägter Arbeitnehmermarkt in fast allen Branchen. Kandidatinnen und Kandidaten wittern die Gunst der Stunde und wollen bei einem Stellenwechsel für denselben Job deutlich mehr verdienen. Rekrutiererinnen und Rekrutierer sind wahrlich nicht zu beneiden. Sie müssen rasch die richtigen Personen finden, ihnen ein attraktives Lohnangebot machen, das zudem ins interne Lohngefüge passt. Und sie müssen versuchen, die internen Mitarbeitenden im Unternehmen zu halten. Keine einfache Aufgabe!

Lohnrunde 2023

Gemäss Umfragen sollen die Löhne 2023 im Vergleich zu 2022 um rund 2,5% steigen. Dies zeigt auch unten stehende Auswertung der Angaben von 880 Firmen aus der Realwirtschaft vom März 2023, welche als Grundlage für diese Analyse dient (siehe Abb. 1).

Fakt ist: Mit einer Erhöhung von 2,5% wird nicht einmal die durchschnittliche Jahresteuerung 2022 von +2,8% ausgeglichen.

Marktlöhne 2023

Wenn die Löhne 2023 gemäss Umfragen um 2,5% ansteigen, heisst das dann «automatisch», dass man in diesem Jahr für denselben Job auch entsprechend mehr verdient als im letzten Jahr? Oder anders ausgedrückt, steigen alle Marktlöhne ebenfalls um die prognostizierte prozentuale Lohnerhöhung?

Das wollten wir genauer wissen und haben dazu die Löhne der teilnehmenden Firmen am Salärvergleich von Landolt & Mächler analysiert. Um ein möglichst unverfälschtes Bild zu erhalten, haben wir Lohndaten von 799 Firmen untersucht, welche 2022 und 2023 an der Marktlohnstudie teilgenommen haben. Für die Teilnahme an der Studie müssen alle Mitarbeitenden anhand ihres Jobs einer Benchmark-Funktion und Funktions-/Lohnstufe zugeordnet werden. In Abb. 2 ist ersichtlich, wie stark sich die Löhne 2023 in den Stufen mit hohem Personalbestand gegenüber 2022 verändert haben.

Die Erhöhungen pro Stufe variieren recht stark. Die Marktlöhne haben sich durchschnittlich um +1,7% erhöht. Weit weniger als der prognostizierte Wert von +2,5%.

Im Rahmen der Datenerhebung werden auch die in den Firmen definierten Anfangssaläre nach Ausbildungs-/Studienabschluss erfasst.

Erhöhung der Anfangssaläre 2023 im Vergleich mit 2022:

EFZ technisch: +1,8%
EFZ kaufmännisch: +0,7%
FH Technik / ICT Bachelor: +0,8%
FH Technik / ICT Master: +0,6%
FH Wirtschaft Bachelor: +1,0%
FH Wirtschaft Master: +1,3%
Hochschule Bachelor: +1,0%
Hochschule Master: +1,1%

Trotz Fachkräftemangel und Inflation haben sich die Anfangssaläre nach Abschluss der Berufslehre/des Studiums nur marginal erhöht. Diese Tendenz haben wir bereits in den letzten Jahren festgestellt. Das erstaunt, würde man doch eher erwarten, dass bei einem ausgeprägten Mangel die Preise steigen (Angebot & Nachfrage). Auf der anderen Seite bestätigt es den Effekt, den wir auch bei der Entwicklung der Marktlöhne festgestellt haben.

Bei Firmen, welche regelmässig an der Marktlohnstudie teilnehmen, stellen wir oft eine gewisse Enttäuschung fest, wenn sich die Anfangssaläre sowie die Marktlöhne in gewissen Stufen und Funktionen weniger stark erhöhen als gemäss Umfrage prognostiziert. Warum ist das so? Wir begeben uns auf Spurensuche nach möglichen Ursachen …

Spurensuche bei der Lohnerhöhung

Es gibt eine Vielzahl möglicher Gründe, weshalb sich die Marktlöhne für identische Funktionen nicht analog den prognostizierten Lohnerhöhungen verändern:

  • Von den 1052 Teilnehmern am Marktlohnvergleich 2023 haben 171 keine Angaben zur Lohnrunde gemacht. Es könnte theoretisch sein, dass diese Firmen die Löhne unterdurchschnittlich oder gar nicht erhöht haben.
  • Es wird nicht das gesamte Lohnerhöhungsbudget im Rahmen der ordentlichen Lohnrunde investiert.
  • Ein Teil des Budgets wird nicht als Lohnerhöhung, sondern als einmalige, ausserordentliche Sonderprämie ausbezahlt und wird so in den Marktlohnerhebungen ggf. nicht sichtbar.
  • Ein Teil des für Lohnerhöhungen vorgesehen Budgets wird für Lohnanpassungen im Rahmen von Beförderungen und Funktionsanpassungen verwendet.

Gerade der letzte Punkt hat es in sich. Dem damit einhergehenden verzerrenden Effekt ist man sich oft nicht bewusst. Ein Erklärungsversuch anhand eines Beispiels:

  • Eine Mechanikerin hat ihre Kompetenzen erweitert und wird deshalb von der Lohnstufe 5 in die Lohnstufe 6 «befördert».
  • Der Marktlohn der Stufe 6 liegt um rund 13% höher als in Stufe 5.
  • Der Lohn der Mechanikerin wird um CHF 450.– oder 8% erhöht.

Lohnerhöhungen sind personenbezogen. Die Mechanikerin freut sich über die Lohnerhöhung. Welchen «verzerrenden» Einfluss hat diese Lohnerhöhung, bedingt durch die Stufenanpassung (Beförderung) an anderer Stelle?

  1. Ein Teil des Lohnerhöhungsbudgets wird für die Anpassung des Lohns bedingt durch die Funktionsanpassung verwendet und steht für die ordentliche Lohnrunde nicht mehr zur Verfügung.
  2. Die Lohnanpassung ist mit 8% tiefer als der Marktlohnanstieg von 13%, welcher notwendig wäre, um die Differenz zwischen der Stufe 5 und 6 voll auszugleichen.
  3. Der Lohn der Mechanikerin fliesst nun in die Marktlohnberechnung der Stufe 6 ein und drückt diesen nach unten, da nicht die gesamte Marktlohndifferenz bei der Beförderung ausgeglichen wurde.

Empfehlungen

Firmen investieren viel Zeit und Geld in die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden mit dem Ziel, diese im Unternehmen zu halten und fit für die Übernahme anspruchsvollerer Aufgaben zu machen. Deshalb können sich folgende Massnahmen und Überlegungen lohnen:

  • Wenn Sie jemanden intern fördern/entwickeln und dann in eine anspruchsvollere Funktion befördern, erhöhen Sie den Lohn auf ein marktgerechtes Niveau der neuen Funktion. Wenn Sie für diese Funktion eine externe Person einstellen müssten, würden Sie ebenfalls diesen Lohn zahlen müssen. Nur so ist Ihre Investition in die Personalentwicklung wirklich nachhaltig.
  • Definieren Sie ein eigenes Budget für Lohnerhöhungen bei Funktionsanpassungen und Beförderungen. Das Lohnrundenbudget sollte dazu nicht verwendet werden. Beispiel: Wenn Sie pro Jahr bei 5–10% der Mitarbeitenden die Funktion um eine Stufe erhöhen, dann müssen Sie rund 1% der Lohnsumme dafür budgetieren (Angaben basierend auf Funktionsstufenmodell von Landolt & Mächler).

Löhne sind ein sehr emotionales Gut. Die Lohnfestsetzung funktioniert nach logischen und psychologischen Aspekten. Nicht alle Einflussgrössen lassen sich in ein Lohnmodell mit klaren Berechnungsregeln verpacken. Menschen wollen insbesondere einen gerechten Lohn für ihre Arbeit erhalten.

Darum gilt: Gerecht ist, was als gerecht empfunden wird. Ohne Kommunikation kann dies kaum gelingen. Lohn- oder Lohnsystemtransparenz richtig angewendet, kann sich also für Firmen durchaus lohnen …

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