Ferienregelung Schweiz: Aktuelle Rechtsfragen und deren Umsetzung

Ferien dienen in erster Linie der Erholung des Arbeitnehmers. In der Praxis können jedoch unterschiedlichste Aspekte wie etwa die Bestimmung des Ferienzeitpunkts, die Zulässigkeit von Betriebs- und Zwangsferien oder Krankheit während der Ferien zu Diskussionen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin führen.

16.09.2024 Von: Simon Kehl, Nicole Vögeli
Ferienregelung Schweiz

Ferienzeitpunkt

Die Arbeitgeberin bestimmt den Zeitpunkt der Ferien (Art. 329c Abs. 2 OR), wobei sie jedoch nicht völlig frei entscheiden kann. Die Ferien sind im Verlauf des betreffenden Dienstjahrs zu gewähren, und mindestens zwei Ferienwochen müssen zusammenhängen (Art. 329c Abs. 1 OR). Eine einmalige Verschiebung der Ferien auf das kommende Dienstjahr ist in Ausnahmesituationen bei Vorliegen entsprechender betrieblicher Gründe denkbar.1 Es liegt in der Verantwortung der Arbeitgeberin, den Bezug der Ferien durch den Arbeitnehmer im Laufe des betreffenden Dienstjahrs sicherzustellen.2

PRAXISTIPP 
Bei Schadenersatzklagen von Arbeitnehmern aufgrund Überlastung (sog. Stresshaftung) werden regelmässig die effektiv bezogenen Ferientage (in Relation zur Arbeitszeit) wie auch der Arbeitszeitsaldo als Indiz für eine von der Arbeitgeberin zu verantwortende Überlastung des Arbeitnehmers herangezogen. Der Ferienbezug des Arbeitnehmers im entsprechenden Dienstjahr liegt daher auch im Interesse der Arbeitgeberin.

Wünsche des Arbeitnehmers

Die Arbeitgeberin hat auf die Bedürfnisse des Arbeitnehmers betreffend Ferienzeitpunkt Rücksicht zu nehmen (Art. 329c Abs. 2 OR). Bei einer allfälligen Interessenskollision gehen jedoch im Zweifelsfall die Interessen der Arbeitgeberin vor.3 Eine zeitgleiche gesamtbetriebliche Absprache sowie Planung ist empfehlenswert, da dadurch eine angemessene Wertung der verschiedenen Arbeitnehmerwünsche durch die Arbeitgeberin erfolgen kann.4 Eine Ungleichbehandlung kann zu einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens führen, weshalb bei Kollisionen nicht immer per se Arbeitnehmer mit schulpflichtigen Kindern bevorzugt werden sollten. Sofern die Arbeitgeberin bei der Ansetzung der Ferien die berechtigten Wünsche des Arbeitnehmers übergeht, ist dieser dazu berechtigt, den Ferienbezug zu verweigern. Er hat jedoch unverzüglich von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen, da ansonsten von seinem Einverständnis ausgegangen werden kann.5 Selbst wenn die Arbeitgeberin den berechtigten Wünschen des Arbeitnehmers keine Rechnung tragen sollte, legitimiert dies keinen eigenmächtigen Ferienbezug durch den Arbeitnehmer. Der eigenmächtige Ferienbezug durch den Arbeitnehmer, entgegen dem gerechtfertigten abschlägigen Bescheid der Arbeitgeberin, stellt gar einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung nach Art. 337 OR dar.6

Die Ankündigungsfrist

Das Obligationenrecht enthält keine Regelung bezüglich der Ankündigungsfrist von Ferien. In Lehre und Rechtsprechung herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass eine solche mindestens drei Monate betragen soll.7 Sofern die Arbeitgeberin die Ferien zu kurzfristig ansetzt, ist der Arbeitnehmer berechtigt, den Ferienbezug zu verweigern.8 Auch hier hat der Arbeitnehmer unmittelbar von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch zu machen. Andernfalls kann von einer Genehmigung ausgegangen werden.9 Die Ankündigungsfrist von drei Monaten gilt jedoch nicht absolut. In Fällen von betrieblicher Dringlichkeit (vgl. COVID-19-Pandemie) kann nach Vornahme einer entsprechenden Interessenabwägung auch eine kurzfristigere Ankündigung zulässig sein.10

Widerruf durch die Arbeitgeberin

Dem Arbeitnehmer bereits bestätigte Ferien können widerrufen werden, sofern unvorhersehbare betriebliche Bedürfnisse dies dringendst erfordern. Die Zulässigkeit eines Widerrufs ist im Einzelfall anhand einer umfassenden Interessensabwägung zu beurteilen.11 Ein allfälliger, durch den Widerruf entstandener Schaden ist dem Arbeitnehmer zu ersetzen, und die entfallenen Ferientage bleiben dem Arbeitnehmer erhalten.12

Betriebs- und Zwangsferien

Die Anordnung von Betriebsferien ist unproblematisch, da das Interesse der Arbeitgeberin an festen Betriebsferien den Interessen der Arbeitnehmer vorgeht.13 Auch bei der Anordnung von Betriebsferien sind die Ankündigungsfristen zu wahren.14

Zwangsferien sind ausserordentliche Betriebsferien aus wirtschaftlichen Gründen.15 Unvorhersehbare Zwangsferien, die auf ein betriebliches Bedürfnis zurückgehen, können ohne Beachtung der üblichen Ferienankündigungsfrist angeordnet werden.16 Ein Teil der Lehre beharrt jedoch auch bei Zwangsferien auf einer Ankündigungsfrist von drei Monaten.17 Dies wird nach der hier vertretenen Auffassung abgelehnt, zumal Zwangsferien regelmässig der Sicherstellung des betrieblichen Fortbestehens dienen und meist aufgrund unvorhergesehener Situationen kurzfristig nötig sind. Eine Ankündigungsfrist von mehr als ein paar Tagen bis zu zwei Wochen würde dem Sinn der Zwangsferien diametral entgegenstehen. Zudem liegen Zwangsferien ebenso im Interesse der Arbeitnehmer.

Krankheit während der Ferien

Gemäss Bundesgericht kann durch das Bestehen einer schweren Arbeitsunfähigkeit die Erreichung des Ferienziels verhindert werden.18 Ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung den Ferienbezug verhindert, hängt massgeblich davon ab, ob der Erholungswert spürbar reduziert ist. Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich nicht mit Ferienunfähigkeit gleichzusetzen, die Möglichkeit zur Erholung trotz des vorliegenden Gesundheitszustands ist entscheidend.19

Der Fokus ist auf die Möglichkeit zur Erholung, nicht auf die Möglichkeit zur Vornahme bestimmter Aktivitäten zu legen. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer während der Ferien viel geschlafen hatte, in sich gekehrt war und lediglich bei zwei Gelegenheiten mountainbiken konnte, stellte für das Arbeitsgericht Zürich keine genügend starke Einschränkung des Erholungswerts dar. Die Erholung könne auch im Schlafen und Spazieren bestehen. Nur weil keine Aktivferien unternommen werden konnten, könne nicht von Ferienunfähigkeit gesprochen werden.20

Die Beweislast für das Bestehen einer Ferienunfähigkeit liegt entsprechend der Beweislastverteilung nach Art. 8 ZGB beim Arbeitnehmer.21 Sofern dieser eine Gutschrift der betroffenen Ferientage anstrebt, empfiehlt es sich, entsprechende Arbeitsunfähigkeitszeugnisse ab dem ersten Tag einzuholen. Die oben erwähnte Differenzierung zwischen Arbeitsunfähigkeit und Ferienunfähigkeit hat zur Folge, dass eine präzisere Beschreibung der Symptome als beim blossen Arbeitsunfähigkeitszeugnis, bzw. eine Attestierung der Ferienunfähigkeit, im Zweifelsfall von Vorteil sein kann. In einem Entscheid aus dem Jahr 2015 erachtete das Arbeitsgericht Zürich die Ferienunfähigkeit trotz Vorliegen von Arbeitsunfähigkeitszeugnissen als nicht nachgewiesen.22

PRAXISTIPP 
Wird eine Arbeitsunfähigkeit während Ferienbezugs geltend gemacht, ist von Arbeitgeberinnen eine umgehende Meldung, ein Arztzeugnis ab dem ersten Tag von einem Spital, auf Englisch oder in einer Landessprache der Schweiz zu verlangen. Zudem sollen weitere Abklärungen wie eine Untersuchung in der Schweiz nach Rückkehr vorbehalten werden.

Abgeltungsverbot

Ferien dürfen nicht durch Geldleistungen oder sonstige Vergütungen abgegolten werden (Art. 329d Abs. 2 OR). Ausnahmsweise zulässig ist eine solche Abgeltung nur, wenn unüberwindbare Schwierigkeiten vorliegen, die eine Lohnzahlung während der Ferien praktisch verunmöglichen. Dies kann namentlich bei Teilzeitangestellten mit (sehr) unregelmässiger Arbeitszeit der Fall sein.23 Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung mit Urteil vom 30. Januar 2023 bestätigt und präzisiert.24 Liegt eine Anstellung von 100% vor, ist eine Auszahlung des Ferienlohns rechtswidrig. Dies stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Darüber entsteht der Eindruck, dass das Bundesgericht generell die Auszahlung mit dem Lohn weiter einschränkt und kaum mehr je eine ausnahmsweise zulässige Abgeltung des Ferienlohns als gegeben erachten dürfte:

«Mit der Vorinstanz erscheint im Hinblick auf die heute zur Verfügung stehenden Softwareangebote und Zeiterfassungssysteme eine dem Gesetz entsprechende Berechnung des Ferienlohns auch bei monatlichen Schwankungen des Lohns nicht mehr als unzumutbar.»

Alternativ kann der Ferienlohn zwar mit dem Grundlohn berechnet und auf der Lohnabrechnung ausgewiesen, jedoch erst bei effektivem Ferienbezug bezahlt werden.

Im Rahmen von gekündigten Arbeitsverhältnissen ist eine Ausnahme vom Abgeltungsverbot zulässig, sofern der Bezug der Ferien während der Kündigungsfrist nicht möglich oder zumutbar ist.25 Wird der Arbeitnehmer für die verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses freigestellt, geht dessen Ferienanspruch unter, sofern die Freistellung das restliche Ferienguthaben sehr stark übersteigt.26 Gemäss Faustregel des Arbeitsgerichts Zürich kann ein Drittel der Freistellungstage als Ferienbezug angerechnet werden.27

Verjährung

Kommt es zu keinem (vollständigen) Bezug der Ferien im betroffenen Jahr, verfällt der Ferienanspruch des Arbeitnehmers nicht. Es kommen die allgemeinen Verjährungsbestimmungen gemäss Art. 127 f. OR zur Anwendung.28 Der Ferienanspruch verjährt für jedes Dienstjahr getrennt, wobei die Verjährungsfrist (Fälligkeit), mangels anderer Abrede, am letzten Tag beginnt, an dem noch die gesamten Ferien während des laufenden Dienstjahrs bezogen werden könnten.29 Die Verjährungsfrist des Ferienanspruchs bestimmt sich nach Art. 128 Ziff. 3 OR und beträgt mithin fünf Jahre.30 Zu beachten ist hierbei, dass die Mitteilung des restlichen Feriensaldos Ende Jahr eine Neuerung (Novation) darstellt. Dies hat zur Folge, dass durch die Mitteilung der Ferienanspruch neu entsteht und die Verjährungsfrist neu läuft.31
 

QUELLEN UND HINWEISE 

1 Manfred Rehbinder/Jean-Fritz Stöckli, Berner Kommentar, Art. 319–330b OR, Bern 2010, N 6 zu Art. 329c OR (zit. Rehbinder/Stöckli). 

2 Ullin Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag, 7. Aufl., Zürich 2012, N 7 zu Art. 329c OR (zit. Streiff/von Kaenel/Rudolph). 

3 Wolfgang Portmann/Roger Rudolph, in: Basler Kommentar Obligationenrecht I, Widmer Lüchinger Corinne/Oser David (Hrsg.), 7. Aufl., Basel 2020, N 7 zu Art. 329c OR (zit. BSK OR I-Portmann/Rudolph). 

4 Hans-Peter Egli, Strittige Fragen zum Thema «Ferien », ArbR 2006, S. 119 ff., S. 126. 

5 BGer 4A_434/2017 vom 14.12.2017, E. 2.1, Rehbinder/ Stöckli, N 10 zu Art. 329c OR. 

6 BGE 108 II 301 E. 3. B. 

7 Rehbinder/Stöckli, N 11 zu Art. 329c, BSK OR I-Portmann/ Rudolph, N 7 zu Art. 329c OR, Obergericht des Kantons Bern, Urteil vom 19. Februar 2010 in: JAR 2011, Bern 2011, S. 412. 

8 BGer 4A_434/2017 vom 14.12.2017, E. 2.1. 

9 BGer 4A_434/2017 vom 14.12.2017, E. 2.1, Rehbinder/ Stöckli, N 10 zu Art. 329c OR. 

10 Prinz Marc Ph./Geel Gian, in: Boris Etter, Nicolas Facincani, Reto Sutter (Hrsg.) Arbeitsvertrag, Stämpflis Handkommentar, Bern, 2021 N 6 zu Art. 329c OR (zit. SHK-Prinz/Geel). 

11 SHK-Prinz/Geel, N 6 zu Art. 329c OR. 

12 Streiff/von Kaenel/Rudolph N 7 zu Art. 329c OR. 

13 Rehbinder/Stöckli, N 9 zu Art. 329c OR. 

14 Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2008 Nr. 13. 

15 SHK-Prinz/Geel, N 9 zu Art. 329c OR. 

16 Streiff/von Kaenel/Rudolph, N 13 zu Art. 329c. 

17 Rehbinder/Stöckli, N 11 zu Art. 329c OR. 

18 BGer 4A_117/2007 vom 13.9.2007, E. 6.3. 

19 Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2007 Nr. 11. 

20 Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2009 Nr. 7. 

21 Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2015 Nr. 9. 

22 Arbeitsgericht ZH in Entscheide 2015 Nr. 9. 

23 BGE 118 II 136 E. 3b, BGE 129 III 493 E. 3.2. 

24 BGer 4A_357/2022 vom 30.1.2023, E. 2.2.3. 

25 BGer 4A_183/2012 vom 11.9.2012, E. 4.4. 

26 Streiff/von Kaenel/Rudolph N 11 zu Art. 329c OR. 

27 Arbeitsgericht ZH, Entscheide 2016 Nr. 14. 

28 BGE 130 III 19 E. 3.2. 

29 BGE 136 III 94 E. 4.1. 

30 BGE 136 III 94 E. 4.1. 

31 Streiff/von Kaenel/Rudolph, N 5 zu Art. 329c OR.

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