Krankheitsfälle: «Chef, mein Kind ist krank»
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Dreitägiger bezahlter Urlaub zur Pflege und Betreuung von Kindern und Angehörigen
Arbeitnehmende haben nicht nur einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung bei kurzen Absenzen für die notwendige Betreuung von Kindern, sondern auch für andere Angehörige: Gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses besteht ein Anspruch auf bezahlten Urlaub, d.h. auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung, für die Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners, wenn diese gesundheitlich beeinträchtigt sind (Art. 329h Obligationenrecht [OR] und Art. 36 Abs. 3 und 4 Arbeitsgesetz [ArG]).
Als Familienmitglieder gelten Verwandte in aufund absteigender Linie, d.h. hauptsächlich die eigenen Kinder und Eltern, sowie Geschwister. Dazu kommen die Ehegatten, Schwiegereltern sowie die Lebenspartner, die mit dem Arbeitnehmenden seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen.
Voraussetzung ist einerseits eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Angehörigen, und dass die Betreuung durch den Arbeitnehmenden notwendig ist. Der Begriff der gesundheitlichen Beeinträchtigung wird dabei weit gefasst und liegt nicht nur bei Krankheitsfällen oder Unfällen, sondern auch beispielsweise bei einer Behinderung vor.
Bei der Beurteilung der Notwendigkeit ist v.a. die Verfügbarkeit von anderen Personen, welche die Betreuung in zumutbarer Weise übernehmen könnten, zu beachten. Weiter ist auch der Betreuungsbedarf als Kriterium zu berücksichtigen. Bei kleineren Kindern dürfte eine Betreuung eher als z.B. bei älteren Kindern notwendig sein.
Der Arbeitnehmende ist für die anspruchsbegründenden Tatsachen beweispflichtig.
Neben der regelmässigen Vorlage eines Arztzeugnisses können auch andere Beweismittel beigebracht werden.
Der bezahlte Urlaub ist auf die für die Betreuung erforderliche Dauer begrenzt, beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis. Das heisst, der Urlaubsanspruch gilt einmal pro einzelne Beeinträchtigung – auch wenn diese länger andauert oder wiederholt auftritt. Wird z.B. dasselbe Kind oder der Ehegatte einige Wochen später aufgrund eines neuen Ereignisses notwendigerweise betreuungsbedürftig, besteht grundsätzlich jeweils wieder ein neuer Anspruch auf bezahlten Urlaub von bis zu drei Tagen.
Um eine zu hohe Anzahl von bezahlten Absenzen aufgrund der Betreuung von kranken Angehörigen zu verhindern, gilt eine jährliche Obergrenze von zehn Tagen pro Dienstjahr. Das heisst, ein Arbeitnehmender kann in einem Dienstjahr mehrere gesundheitlich beeinträchtigte Angehörige (z.B. zuerst ein eigenes Kind, dann den Ehegatten und später die Mutter) betreuen, soweit die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind und die Absenzen nicht mehr als zehn Tage betragen.
Wichtig ist, die Obergrenze von zehn Tagen pro Jahr gilt nicht für die Betreuung von gesundheitlich beeinträchtigten Kindern.
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Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung bei längeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Kindern und anderen Angehörigen
Oft kommt es vor, dass eine längere gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt und die Angehörigen, insbesondere Kinder und Ehegatten, länger als nur drei Tage pro Ereignis pflege- bzw. betreuungsbedürftig sind.
In einem solchen Fall kann ein Arbeitnehmender unter Umständen einen längeren Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung haben; die Grenze von drei Tagen ist nicht als absolute Höchstgrenze zu verstehen.
Der Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht und Lohnfortzahlung kann sich in solchen Fällen nach Art. 324a OR (wie im Fall einer eigenen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmenden) richten. Demnach gilt, dass bei einer unverschuldeten Verhinderung des Arbeitnehmenden an der Arbeitsleistung aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse – wie z.B. zur Erfüllung gesetzlicher Betreuungsund Fürsorgepflichten gegenüber erkrankten Kindern oder anderen Angehörigen – der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmenden für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten.
In Ausnahmefällen, in denen die Betreuung nicht delegierbar ist und besondere Umstände vorliegen, namentlich aufgrund der Schwere der Erkrankung, welche z.B. bei einem Kind eine enge elterliche Betreuung bedingt, kann der Arbeitnehmende an der Leistung von Arbeit verhindert sein.
Entscheidend ist, ob dem Arbeitnehmenden die Leistung von Arbeit aufgrund der Umstände unmöglich oder unzumutbar ist.
Kann dies bejaht werden, so kann der Arbeitnehmende einen entsprechenden Anspruch auf Arbeitsbefreiung und Lohnfortzahlung (wie im Fall einer eigenen Arbeitsunfähigkeit) geltend machen.
Zu beachten ist aber, dass die Arbeitnehmenden aufgrund der erforderlichen Voraussetzung des fehlenden Verschuldens generell in solchen Fällen dazu verpflichtet sind, alle zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um (zumindest teilweise) zur Arbeit zurückkehren zu können. Die Betreuung und Pflege von erwachsenen Personen führt nur dann zu einer Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmenden, wenn die Gesundheit solcher Personen schwer beeinträchtigt ist. Dies ist jedenfalls dann namentlich anzunehmen, wenn ein Elternteil in Lebensgefahr schwebt oder gar im Sterben liegt. Ansonsten gilt in solchen Fällen – im Unterschied zu (längeren oder schwereren) Erkrankungen von Kindern –, dass die Betreuung und Pflege anderweitig organisiert werden kann.
Die Modalitäten der Lohnfortzahlung gemäss Art. 324a OR sind abhängig von der Art und Dauer des Vertrags: Bei befristeten Arbeitsverhältnissen besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nur, sofern der Arbeitsvertrag für eine Dauer von mehr als drei Monaten abgeschlossen wurde. Die Pflicht zur Lohnfortzahlung gilt dann bereits ab dem ersten Arbeitstag. Bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen, d.h. wenn der Arbeitsvertrag mit einer Kündigungsfrist ordentlich beendet werden kann, gilt die Lohnfortzahlungspflicht erst ab Beginn des vierten Anstellungsmonats.
Weiter gilt der Anspruch auf Lohnfortzahlung nur für eine beschränkte Zeit und ist abhängig von den geleisteten Dienstjahren sowie von den durch die Gerichtspraxis entwickelten regionalen Skalen:
Im ersten Dienstjahr gilt eine gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht von drei Wochen; in den Folgejahren richtet sich der Anspruch nach der anwendbaren Skala am Arbeitsort (sog. Basler, Berner oder Zürcher Skala).
Zu beachten ist ausserdem, dass es sich beim zeitlich beschränkten Lohnfortzahlungsanspruch nach Art. 324a OR um einen jährlichen Anspruch handelt, der mit jedem Dienstjahr neu entsteht. Das heisst, die einschlägigen Absenzen des Arbeitnehmenden, z.B. eigene Arbeitsunfähigkeit, Pflege eines erkrankten Kindes etc., werden im betreffenden Dienstjahr zusammengezählt. Musste der Arbeitnehmende somit in einem Dienstjahr schon oft die Lohnfortzahlung in Anspruch nehmen, sei es wegen eigener Krankheit oder einer Erkrankung von betreuungsbedürftigen Angehörigen, kann es sein, dass die Freistellung von der Arbeit zur Pflege und Betreuung eines Angehörigen unbezahlt erfolgt. In der Praxis werden im Rahmen von Versicherungslösungen (z.B. über eine Krankentaggeldversicherung) oft längere Lohnfortzahlungspflichten vorgesehen.
14-wöchiger bezahlter Betreuungsurlaub zur Pflege von gesundheitlich schwer beeinträchtige Kindern
Seit 1. Juli 2021 haben Eltern eines minderjährigen Kindes, das gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist, einen Anspruch auf bis zu 14 Wochen Betreuungsurlaub, der über die Ausrichtung von Taggeldern der Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigt wird (Art. 329i OR und Art. 16n ff. Erwerbsersatzgesetz [EOG]). Ein Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht nur, wenn der Arbeitnehmende einen Anspruch auf Betreuungsentschädigung nach EO hat.
Eine schwere gesundheitliche Einschränkung ist gesetzlich definiert und liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Es ist eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustands des Kindes eingetreten.
- Der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung ist schwer vorhersehbar, oder es ist mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder mit dem Tod zu rechnen.
- Es besteht ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern.
- Mindestens ein Elternteil muss die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen.
Davon abzugrenzen sind mittelschwere gesundheitliche Beeinträchtigungen, die zwar Spitalaufenthalte oder regelmässige Arztbesuche erforderlich machen und den Alltag erschweren, bei denen aber mit einem positiven Ausgang zu rechnen oder die gesundheitliche Beeinträchtigung kontrollierbar ist (z.B. bei Knochenbrüchen, Diabetes, einer Lungenentzündung etc.). Die Notwendigkeit der Begleitung, Betreuung oder Pflege durch mindestens einen Elternteil ist durch Vorlage eines Arztzeugnisses zu bestätigen.
Der Anspruch auf Betreuungsentschädigung und -urlaub entsteht pro Krankheits- oder Unfallereignis. Der Betreuungsurlaub beträgt maximal 14 Wochen und kann innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten tageweise oder am Stück bezogen werden. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld des Arbeitnehmenden bezogen wird. Sind beide Eltern erwerbstätig, so hat jeder Elternteil Anspruch auf einen Betreuungsurlaub von höchstens sieben Wochen. Sie können aber auch eine abweichende Aufteilung des Urlaubs vereinbaren. Der Arbeitgeber muss die Änderung der Aufteilung nicht genehmigen, ist aber über die Modalitäten des Urlaubsbezugs zu informieren.
Die Betreuungsentschädigung entspricht maximal 98 Taggeldern in der Höhe von je 80% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Betreuungsurlaubs erzielt worden ist, und beträgt maximal CHF 196.– pro Tag.
Während des Betreuungsurlaubs gilt ein zeitlicher Kündigungsschutz von maximal sechs Monaten ab dem Tag, für welchen der erste Taggeldanspruch entsteht. Schliesslich darf der Ferienanspruch eines Arbeitnehmenden aufgrund der Inanspruchnahme eines Betreuungsurlaubs nicht gekürzt werden.