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Bewerberinterview: Beeinflussungen und Manipulationen des Bewerbers erkennen

Menschen manipulieren, steuern und beeinflussen immer – nicht nur im Bewerbungsverfahren. Aber gerade in diesem Kontext ist es wichtig, kompetent zu analysieren, um mögliches künftiges Verhalten der Bewerber am Arbeitsplatz vorauszusehen. Nur wenn die Talente und Potenziale im Bewerberinterview erkannt werden, gelingt es Unternehmen, die richtigen personellen Entscheidungen zu treffen.

21.09.2022 Von: Patricia Staniek
Bewerberinterview

Ein Bewerbungsverfahren ist mit einem Verkaufsprozess zu vergleichen. Das Produkt des Verkaufsprozesses ist der Bewerber oder der bestehende Mitarbeiter. Und dieser will und muss sich bestmöglich präsentieren und verkaufen. Dabei verschwimmt oft die Grenze zwischen «bestmöglicher Selbstpräsentation», «kreativer Wahrheitsauslegung» und «beinharter Lüge» und verbindet sich gerne mit Beeinflussungs- oder Manipulationsverhalten. Das Beeinflussungs- und Manipulationsportfolio reicht von der simplen, leicht durchschaubaren Opferstrategie bis hin zum Manipulations- und Blendungsprofi.

Wonach werden denn Bewerber beurteilt? Nach Seriosität, Leistung und klarer Aussage? Oder lässt man sich vom sensationellen Storytelling mit Trommelschlag überwältigen? Oft scheint es so, als würde der ehrliche, geradlinige Kandidat, der seine Schwächen kennt und zugibt, gegenüber demjenigen abgestraft, der sich durch Schaumschlagen in die nächste Runde katapultiert. Blender-Rhetorik und ordentlich Wind schlägt oft das Ehrliche. Das Ehrliche wirkt ungeschickt, es verrät die kleinen Makel, die der Manipulant und Blender durch geschickte Selbstinszenierung verdeckt.

Der Fall Jens und Gernot

Der Bewerber Jens, 38 Jahre alt, kam in ein Bewerbungsgespräch, bei dem ich als Ausbildnerin für die HR-Experten dabei war. Er war sehr angenehm, die Körpersprache war reduziert, und er zeigte Stressanzeichen. Er liess sich mit den Antworten Zeit, überlegte und antwortete dann. Er war sehr offen, blieb stets realistisch und zählte eine Schwäche auf, die eigentlich keine war, sondern lediglich seine Art und Weise, wie er neue Aufgaben anpackt. Er investiere lieber etwas mehr Zeit, um die Sache dafür ordentlich zu erledigen.

Gernot, 40 Jahre alt, war der nächste Bewerber für dieselbe Stelle. Seine Qualifikationen waren beinahe deckungsgleich mit denen von Jens. Allerdings hatte er im Vergleich zu Jens bereits wesentlich mehr Jobwechsel hinter sich. Mit ausladender Gestik und vollem Körpereinsatz fuchtelte er wie ein britischer Bobby, der den Verkehr regelt. Die überaktive Körpersprache unterlegte er mit geschickter Rhetorik und Suggestivfragen, war stimmlich überdeutlich hörbar und schenkte uns mit strahlend weissen Zähnen ein breites Siegerlächeln. Er warf mit Erfolgsstorys um sich und antwortete auf die Frage nach seinen Schwächen: «Ich gebe ein Arbeitstempo vor, da bleiben alle auf der Strecke. Da muss ich immer bremsen, damit die auch mit mir auf der dreispurigen Autobahn mithalten können.»

Bei der anschliessenden Besprechung meinten die beiden Rekruter, Bewerber Gernot wäre definitiv der ideale Kandidat. Schliesslich hatte dieser ein selbstsicheres Auftreten, war nicht nervös und war zusätzlich rhetorisch top. Kandidat Nr. 1 wurde als unsicher, zu langsam beim Antworten und als behäbig beschrieben. Aus meiner Sicht war Bewerber Nr. 1 nicht unsicher, sondern wegen der Bewerbungssituation aufgeregt, der Job war ihm wichtig. Er war nicht behäbig, sondern hatte eine ruhigere Körpersprache und war bedacht in seinen Antworten.

Ich liess beide Bewerber in die nächste Runde und briefte die Rekruter mit speziellen Fragen. Sehr schnell erkannten sie, dass das Blendekartenhaus von Gernot in sich zusammenfiel. Jens bekam die Stelle und stellte sich als ideale Besetzung heraus.

Das Opfer

Manipulation hat viele Gesichter. Mit innen hochgezogenen Augenbrauen und flehentlichem Blick erzählte die Bewerberin, wie mies man mit ihr in der vorherigen Firma umgegangen sei. Sie hatte schnell erkannt, dass die Abteilungsleiterin, die das Bewerbungsgespräch führte, ein grosses Herz und eine Tendenz zum Retten hatte. Die Bewerberin fand also einen Weg, um die emotionale Ansprechbarkeit der Abteilungsleiterin zu bespielen.

Das klingt jetzt so, als wären Rekruter nicht in der Lage, Personalentscheidungen zu treffen. So ist das nicht. Wir haben unsere Filter, diese sind durchlässig, und wir sprechen auf bestimmtes Verhalten an. Wir unterliegen Mechanismen, welche uns beeinflussbar machen. Ein Lächeln wirkt sympathisch, eine zugewandte Körpersprache und ein Lächeln wirken noch sympathischer. Ein sympathisches Lächeln kann uns also schon beeinflussen, ohne dass uns das Gegenüber manipulieren will. Andererseits ist ein Lächeln etwas, von dem wir wissen, dass wir positive Emotionen beim anderen ansprechen. Und natürlich nutzen wir es, um bei anderen zu punkten. Ständig sind wir Beeinflussungen und Manipulationen ausgesetzt. Jeder will was vom anderen. Wir vom Bewerber und der Bewerber von uns. Der Bewerber richtet seine Kommunikationsstrategien auf uns aus und wir unsere «Ermittlungsstrategien» auf den Bewerber.

Das Lob

«Ja, ich habe mich bei mehreren Unternehmen beworben», sagte die Bewerberin, «aber Ihres ist für mich die absolute Nr.1, Sie sind ja am Markt die Bekanntesten. Bei Ihnen will ich unbedingt arbeiten. » In ihrer Aussage ist Lob verpackt, und Lob ist per se nichts Schlechtes, wenn es ehrlich gemeint ist. Wenn dann aber auf die Nachfrage, was denn an diesem Unternehmen konkret anders oder besser ist, die Antwort des Bewerbers dünn und ausweichend ausfällt, kann dies als Versuch des Kandidaten, Sie für sich zu vereinnahmen, gedeutet werden.

Alles, was ich bisher aufgezählt habe, ist jetzt nichts hochgradig Bedrohliches oder Gefährliches. Doch es kann teuer werden, wenn sich die Ratio des Rekruters auf den emotionalen Bereich umlenken lässt. So gerät man in den Gefahrenbereich der Fehlentscheidung bzw. könnte man Qualitäten, Fähigkeiten und Kompetenzen von sich nicht so «geschickt» präsentierenden Bewerbern übersehen.

Der Narzisst – Hoppla, da bin ich!

Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch den einen oder anderen narzisstischen Anteil hat oder eine narzisstische Eigenschaft in sich trägt und die auch mal auspackt. Aber da gibt’s dann noch die Kategorie: «ICH-AG». Es ist keine grosse Kunst, narzisstisches Verhalten zu entdecken. Dem Narzissten tropft sie aus allen Poren – die Grossartigkeit. Er hält sich für äusserst kompetent, trällert Lobgesänge über sich selbst, legt überpräsente Auftritte hin und wirft mit Charme und Witz nur so um sich. Er konstruiert sich ein Selbstbild, welches ihm nicht wehsondern guttut. Sein Selbstwert ist wie eine Praline, aber sein übersteigertes Selbstbewusstsein wie eine Riesen-Pralinenschachtel. Deshalb flüchtet er vor Kritik, wendet sie ab oder kehrt sie um. Es gib einen grossen Widerspruch zwischen Selbstwert, Selbstzweifel und dem, was er nach aussen an Selbstbewusstsein trägt. Er zeigt ständig seine Überlegenheit, wertet andere ab, giert nach Bestätigung von aussen und versucht so, sein instabiles Selbstwertgefühl auszubalancieren. Wie viel von diesem Verhalten ist der jeweiligen Position zuträglich? Das ist eine Frage, die sich die Rekruter stellen müssen. Narzissten haben auch Vorteile. Sie können nach oben und nach aussen bestens verkaufen, sind in vielen Positionen gut besetzt. Man sollte das Mass des narzisstischen Verhaltens immer im Blick halten und auch die Mitarbeiter des Narzissten beobachten. Solange diese damit gut klarkommen und einwandfrei ihre Leistung erbringen können, passt es.

Der Psychopath – das Chamäleon

Und dann gibt es noch die Charmeoffensive der möglicherweise wirklich gefährlichen Zeitgenossen. Menschen mit psychopathischen Eigenschaften oder einer handfesten diagnostizierbaren Persönlichkeitsstörung. Der Psychopath verhält sich angenehm und sympathisch. Er verschafft sich durch Charme und Cleverness den Zugang zu Menschen. Er ist das Chamäleon unter den Bewerbern. Als guter Menschenbeobachter verfügt er über exzellente Menschenkenntnis, erkennt deren Stärken und Schwächen und weiss, wie er sein Gegenüber gezielt steuern kann. Zuerst zeigt er sich freundlich und verständnisvoll, überzeugt sie von sich. Der Mensch mit psychopathischen Eigenschaften ist meist ehrgeizig und fleissig. Wenn er Ihnen durch das Netz schlüpft und die Stelle bekommt, können Sie davon ausgehen, dass er ein heimliches Machtkraftwerk schafft, in dem es Opfer gibt, von denen man selten etwas mitbekommt. Und all diese Opfer nutzt er für sich, spielt sie gegeneinander aus, isoliert sie, hält sie rücksichts- und skrupellos in Schach und stiehlt mit Vorliebe deren Ideen. Wenn es sein muss oder wenn etwas für ihn gefährdet ist, zeigt er sich sogar verbindlich. Gehen Sie aber davon aus, dass er Zusagen brechen und Versprechen nicht halten wird. Meist erkennt man psychopathisches Verhalten im Bewerbungsverfahren nicht. Oft spürt man etwas. Etwas scheint nicht ganz stimmig zu sein. In solchen Fällen können tiefenpsychologische Interviews helfen.

Bewerberinterview: Darauf sollten Sie achten

Im Bewerberinterview ist es für Rekruter enorm wichtig, ständig achtsam und aufmerksam zu sein. Ihr Beobachtungs- und Analysefokus muss uneingeschränkt auf dem Bewerber liegen. Fragen Sie nur solche Punkte im Lebenslauf ab, die Ihnen nicht klar sind. Behalten Sie Ihren Bewerber immer im Auge. Wer mitschreibt, sieht nicht, was er sehen könnte. Schreiben Sie dann, wenn der Bewerber ausgesprochen hat und die Notiz für Sie wichtig ist. Verwenden Sie «überraschende » Fragen, die der Bewerber nicht mitsamt den Antworten gegoogelt hat. Lassen Sie Ihre Ratio immer zu Überprüfungszwecken eingeschaltet. Bauen Sie eine Frage-Tiefenstruktur auf. Agieren Sie wie ein Ermittler. Ermitteln Sie Werte, Charakter und Persönlichkeit!

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