Arbeitnehmerhaftung: Eine Frage des Masses?
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Arbeitnehmerhaftung
Die Arbeitnehmerhaftung lässt sich auf zwei gänzlich voneinander verschiedene Rechtsgrundlagen stützen. Die eine ist die Deliktshaftung gemäss Art. 41 ff. OR. Die andere, für die geschädigte Arbeitgeberschaft wesentlich vorteilhaftere, ist die vertragliche Haftung, und nur mit ihr setzen wir uns heute auseinander. Ihre Rechtsgrundlage befindet sich in Art. 321e OR und lautet wie folgt:
Der Arbeitnehmer ist für den Schaden verantwortlich, den er absichtlich oder fahrlässig dem Arbeitgeber zufügt.
Vier Säulen der Haftung
Wie jede vertragliche Haftung basiert auch die Arbeitnehmerhaftung auf vier Säulen, die alle gegeben sein müssen, damit eine Haftung überhaupt infrage kommt. Fehlt auch nur eine davon, ist eine Haftung von vornherein ausgeschlossen. Diese vier Säulen der Haftung sind:
- das Vorliegen einer Vertragsverletzung,
- welche einen Schaden verursacht hat,
- Kausalität zwischen Vertragsverletzung und Schaden sowie
- ein Verschulden des Arbeitnehmers.
Das Mass der Sorgfalt, für die der Arbeitnehmer einzustehen hat, bestimmt sich nach dem einzelnen Arbeitsverhältnis, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades oder der Fachkenntnisse, die zu der Arbeit verlangt werden, sowie der Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber gekannt hat oder hätte kennen sollen.
Absicht oder Fahrlässigkeit?
Verschulden wird grob in zwei Felder aufgeteilt: in absichtliches Handeln (mit Wissen und Willen) und in fahrlässiges Handeln. Was absichtliches (oder vorsätzliches) Handeln ist, ist wohl jedem instinktiv klar. Ebenso selbstverständlich scheint die Rechtsfolge der Haftung für Schäden, die absichtlich verursacht worden sind. Doch leider sind so klare Fälle in der Juristerei eher selten. Und so spielt auch bei der Haftung des Arbeitnehmers die Musik im Bereich der Schattierungen des Begriffs Fahrlässigkeit. Fahrlässigkeit ist eine mildere Form des Verschuldens und wird zunächst einmal unterteilt in drei Intensitätsstufen: leichte, mittlere und grobe Fahrlässigkeit. Diese drei Ausprägungen der Fahrlässigkeit sind genau auseinanderzuhalten, und zwar wie folgt:
Leicht fahrlässig handelt, wer etwas nicht beachtet, das bei genauerem Überlegen hätte beachtet werden müssen. Grob fahrlässig handelt, wer elementare Vorsichtsmassnahmen ausser Acht lässt, welche jeder vernünftige Mensch in dieser Lage bedacht hätte. Dabei werden sowohl die objektiven Umstände als auch die subjektiven der handelnden Person, z.B. ihr Urteilsvermögen, mit gewichtet.1 Mittlere Fahrlässigkeit liegt dazwischen.2
Eine Frage der Abstufung
Im Bereich der Arbeitnehmerhaftung für Schäden sind die Rechtsfolgen je nach Intensität der Fahrlässigkeit unterschiedlich. Für leicht fahrlässig verursachte Schäden wird die Haftung nämlich regelmässig stark reduziert oder kann u.U. ganz entfallen. Bei mittlerer Fahrlässigkeit erkennen die Gerichte in der Regel auf eine angemessene Schadensaufteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin. Für grob fahrlässig verursachte Schäden erfolgt in der Regel keine Haftungsreduktion. Dasselbe gilt für Schäden, die vom Arbeitnehmer zwar nicht bewusst gewollt, aber wohl in Kauf genommen worden sind. Wir Juristen nennen das Eventualvorsatz.
Im Sinne einer mit Vorsicht zu geniessenden Faustregel kann man die Rechtsprechung des Bundesgerichts wie folgt vereinfachen (immer unter der Voraussetzung, dass alle anderen Haftungsvoraussetzungen auch gegeben sind, und mit der Einschränkung, dass im Einzelfall davon abgewichen werden kann):
- für leicht fahrlässig verursachte Schäden haftet ein Arbeitnehmer in der Regel mit maximal einem Monatslohn;
- bei mittlerer Fahrlässigkeit beträgt die Haftung maximal zwei Monatslöhne,
- bei grober drei und
- bei Absicht muss der gesamte Schaden vom Arbeitnehmer getragen werden.
Wichtig: Schlechte Arbeit ist keine Vertragsverletzung! Und, Sie erinnern sich, das Vorliegen einer Vertragsverletzung ist eine der vier haftungstragenden Säulen. Ergo haftet ein Arbeitnehmer nie einfach nur für schlechte Arbeit, solange er dabei nicht Sorgfaltspflichten verletzt.
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Jeder Fall ist individuell
Nun: Was darf man von einem Arbeitnehmer denn erwarten? Und: Wie ist ein erhöhtes Berufsrisiko zu werten? Wie der Bildungsgrad? Die Fachkenntnisse? Weiter: Ist es fair, einen Arbeitnehmer gering zu entlöhnen und ihn aber haften zu lassen, wenn mal etwas schiefgeht? Soll eine Notlage des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, und umgekehrt: Soll die gute finanzielle Situation eines Arbeitnehmers hier hineinspielen dürfen?
Sie ahnen es bereits: Die Antworten auf diese vielen Fragen füllen ganze Bibliotheken. Doch hier machen wir es möglichst einfach. Der Nachteil der Einfachheit (die es eben eigentlich in unserem Metier nicht gibt) ist aber der, dass Sie die nachfolgenden Vereinfachungen als Richtschnur, als Orientierungshilfen, verwenden können, keinesfalls aber als fixe Vorgaben im Stile von «So ist es». Juristerei ist eine detailverliebte Disziplin, und die Antworten zu Ihren konkreten Fragen zur Arbeitnehmerhaftung können durchaus ganz anders liegen, je nach Umständen (= Details) eben.
Haftungsmass (vereinfacht)
- Erhöhtes Berufsrisiko = Abschwächung des Sorgfaltsmassstabs: Ein Arbeitnehmer, der sich zugunsten des Arbeitgebers erhöhten Risiken aussetzt, soll auf haftungsrechtliche Privilegien zählen dürfen. Das heisst, bei gefahren- oder schadensgeneigter Arbeit werden menschliche Unzulänglichkeiten in einem grösseren Ausmass toleriert.
- Geringer Bildungsgrad/wenig Fachkenntnisse = Abschwächung des Sorgfaltsmassstabs.
- Notlage des Arbeitnehmers/geringe Entlöhnung = Abschwächung des Sorgfaltsmassstabs.
- Umgekehrt können eine sehr gute Ausbildung, hohe Fachkenntnisse sowie eine gute finanzielle Situation des Arbeitnehmers durchaus dazu führen, dass ein normales Mass an Sorgfalt verlangt wird, womit eine Haftung eher angenommen wird.
- Daneben ist klar, dass auch ein Mitverschulden des Arbeitgebers am Schaden, zum Beispiel über eine Weisung oder über mangelnde Instruktion, Haftungserleichterungen nach sich zieht. Hingegen ist der Arbeitgeber nicht gehalten, seine Arbeitnehmer dauernd zu überwachen. Ein Arbeitnehmer kann sich demnach nicht mit der Ausrede, er sei ja nicht überwacht worden, ins Trockene retten.
Zu den weiteren tragenden Säulen einer jeden Haftung sei hier lediglich ausgeführt, dass als Schaden jede unfreiwillige Vermögensminderung oder ein entgangener Gewinn gilt, welcher durch die Vertragsverletzung kausal bewirkt worden ist.
Nach diesem Theorieblock schauen wir uns zwei Dauerbrenner an, die immer wieder zu rechtlichen Diskussionen führen: Unfälle mit dem Geschäftsauto bzw. Schäden am Privatauto bei geschäftlichen Fahrten sowie die Kassenmanki.
Beispiel: Unfall mit Geschäftsauto
Die Haftung für Schäden für Unfälle mit dem Geschäftsauto beschäftigen die Gerichte oft und orientieren sich im Wesentlichen an den oben aufgestellten Richtlinien. Bei leichter Fahrlässigkeit muss der Arbeitnehmer nichts oder nur einen symbolischen Beitrag an den Schaden leisten, bei mittlerer Fahrlässigkeit wird er daran beteiligt, und erst bei grober Fahrlässigkeit oder mehr hat er den Schaden mehrheitlich oder voll zu tragen. Fahrten mit dem Geschäftsauto bergen ein erhöhtes Berufsrisiko, womit diese Haftungsmilderung erklärt werden kann. Daraus ergibt sich auch, dass Haftungsfragen im Zusammenhang mit privaten Fahrten mit dem Geschäftswagen von dieser Erleichterung nicht profitieren können.3
Was den Schaden angeht, so ist dieser, weil das Geschäftsfahrzeug in aller Regel versichert sein dürfte, im Selbstbehalt des Arbeitgebers sowie einem allfälligen Bonusverlust zu erblicken. Hinzu können auf dem Regressweg erstrittene Leistungen der Versicherung kommen. Ohne (Vollkasko-)Versicherung zählen aber auch die Reparaturkosten des Geschäftswagens zum Schaden.
Unzulässig sind Vertragsklauseln, wonach ein Arbeitnehmer in jedem Schadensfall den Selbstbehalt übernehmen müsse, weil, Sie erinnern sich, nicht automatisch und in jedem Fall klar ist, ob die vier Säulen der Haftung tatsächlich gegeben sind. Da diese Frage immer im Einzelfall positiv beantwortet werden muss, ist eine solche Klausel eine unzulässige Verschärfung der Haftungsnormen und daher nichtig.
Beispiel: Kassenmanki
Ähnliches gilt für Kassenmanki. Die generelle Vereinbarung einer Übernahmeverpflichtung des Arbeitnehmers für Manki sind ungültig. Dem Arbeitnehmer muss es natürlich offenstehen, nachzuweisen, dass ihn für das Manko kein Verschulden trifft. Ohne Verschulden haftet der Arbeitnehmer nicht. Zulässig können jedoch Vereinbarungen sein, wenn die verschuldensunabhängige Mankohaftung mit einem dem Risiko angemessenem zusätzlichen Mankogeld entschädigt wird.
Haben Dritte einen von einem Arbeitnehmer verursachten Schaden zu beklagen, haben sie sich zunächst an den Arbeitgeber – als ihre Vertragspartei – zu halten. Für die internen Haftungsfragen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten die hier skizzierten Grundsätze.
Organhaftung
Nun werfen wir noch einen Blick auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmerhaftung und Organhaftung, eine Konstellation, die häufig anzutreffen ist, wenn ein Gesellschaftsorgan beim Arbeitgeber auch als Arbeitnehmer angestellt ist. Hier ist genau hinzuschauen und zu entscheiden, in welcher Funktion der Schaden verursacht worden ist. Dabei hat ein Gesellschaftsorgan eine weitergehende Haftung zu vergegenwärtigen als ein Arbeitnehmer, weil die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Vergleich zur arbeitsrechtlichen weitergeht. 4
Fussnoten:
1 BGE 111 II 90, E.1a (französisch).
2 vgl. zum Ganzen: Streiff/von Kaenel/Rudolph, Der Arbeitsvertrag, Praxiskommentar, N 1 ff. zu OR 321e.
3 Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., N 7.
4 BGE 130 III 213, S. 217.