Nichtantritt und fristloses Verlassen der Arbeitsstelle: Abmahnen, statt fristlos kündigen
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Der Rekrutierungsprozess ist abgeschlossen, der Arbeitsvertrag ist unterzeichnet, und der Tag des Stellenantritts ist fixiert – doch dann die böse Überraschung: Der Arbeitnehmende tritt die Arbeitsstelle einfach nicht an. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern verursacht beim Unternehmen auch unnötige Kosten, und das Rekrutierungsverfahren muss nochmals aufgenommen werden. Anderen infrage kommenden Kandidaten hat man selbstredend bereits abgesagt, und es ist fraglich, ob diese als zweite Wahl dennoch zur Verfügung stehen. Das Arbeitsrecht sieht in Art. 337d OR für dieses Ärgernis vor, dass die Arbeitgeberin vom Arbeitnehmer einen Schadenersatz in Höhe von 25% des vereinbarten Monatslohns verlangen kann, wenn die Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund nicht angetreten wird. Dieser pauschalisierte Schaden wird rechtlich vermutet und muss nicht von der Arbeitgeberin tatsächlich nachgewiesen werden, d.h., der von der Arbeitgeberin effektiv erlittene Schaden kann auch darunter liegen (wobei ein Gericht im Streitfall den Schadenersatzanspruch nach Ermessen reduzieren kann). Wenn ein darüber hinausgehender Schaden geltend gemacht werden soll, dann muss die Arbeitgeberin den gesamten Schaden nachweisen können.
Wenn eine Arbeitgeberin einen solchen pauschalisierten Schadenersatzanspruch in Höhe von 25% des Monatslohns geltend machen will, dann ist ein schnelles Handeln gefragt. Der Anspruch auf die Pauschalentschädigung verwirkt nämlich, wenn nicht innert 30 Tagen seit dem Nichtantritt der Arbeitsstelle die Betreibung oder ein Schlichtungsbegehren zwecks Anhängigmachen einer arbeitsrechtlichen Klage gegen den Arbeitnehmenden eingeleitet wird.
Kündigung vor Stellenantritt
Der höfliche Arbeitnehmende wird – hoffentlich – seine Arbeitsstelle nicht einfach unentschuldigt nicht antreten, sondern im Vorfeld mitteilen, dass er die Arbeitsstelle aus irgendwelchen Gründen (vermutlich Antritt einer anderen Arbeitsstelle) nicht antreten wird. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte Kündigung vor Stellenantritt. Eine solche ist grundsätzlich zulässig, allerdings ist umstritten, ab welchem Zeitpunkt die anwendbare Kündigungsfrist (in der Regel gilt während der Probezeit eine kurze Kündigungsfrist, ausser die Probezeit wurde wegbedungen) zur Anwendung gelangt. Teilweise geht die kantonale Gerichtspraxis davon aus, dass die Kündigungsfrist erst ab Stellenantritt zu laufen beginnen kann, sodass die Arbeitsstelle angetreten werden müsste. Wenn das dann eben nicht gemacht wird, würde ein Fall von Art. 337d OR vorliegen. Teilweise geht die kantonale Gerichtspraxis aber auch davon aus, dass die Kündigungsfrist mit dem Zugang der Kündigung zu laufen beginnt, und dann kann es bei einer frühzeitigen Kündigung sein, dass die Arbeitsstelle gar nicht mehr angetreten werden muss. Häufig wird in solchen Situationen eine formlose Aufhebungsvereinbarung getroffen, sodass die Enttäuschung über den unnützen Rekrutierungsaufwand bleibt.
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Liegt nun eine fristlose Kündigung vor? Und von wem? Oder nicht?
Manchmal gibt es im Arbeitsverhältnis bei Unstimmigkeiten emotionale und hitzige Wortgefechte, die dann vielleicht damit enden, dass der Arbeitnehmende die Arbeitsstelle verlässt. In solchen eskalierten Situationen stellt sich immer wieder die Frage, was eine Arbeitgeberin tun sollte. Das einzig Richtige ist, wenn die Arbeitgeberin selbst nicht fristlos kündigt, denn hierfür müsste sie einen wichtigen Grund nachweisen. Sinnvollerweise mahnt die Arbeitgeberin umgehend den Arbeitnehmenden schriftlich ab und fordert ihn auf, die Arbeit unverzüglich wieder aufzunehmen, und hält fest, dass sein Verhalten ohne sofortige Arbeitsaufnahme oder ohne entschuldbaren Grund für das Fernbleiben vom Arbeitsplatz als ein fristloses Verlassen der Arbeitsstelle nach Art. 337d OR betrachtet wird. Bei einer solchen Formulierung ist darauf zu achten, dass der Arbeitnehmende die Kommunikation nicht als fristlose Arbeitgeberkündigung verstehen kann.
Der pauschalisierte Schadenersatzanspruch in Höhe von 25% des Monatslohns nach Art. 337d OR gelangt nämlich auch zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsstelle ohne wichtigen Grund verlässt. Solche (Streit-) Situationen kommen in der Praxis immer wieder vor und führen erstaunlich häufig zu Streitigkeiten, weil eine Arbeitgeberin entweder selbst fristlos kündigt oder weil sie vorschnell davon ausgeht, dass ein fristloses Verlassen der Arbeitsstelle durch den Arbeitnehmenden vorliegt. Gemäss geltender Bundesgerichtspraxis liegt ein Verlassen des Arbeitsplatzes im Sinne von Art. 337d OR vor, wenn der Arbeitnehmende sich bewusst, absichtlich und endgültig weigert, die ihm übertragene Arbeit anzutreten oder weiter auszuführen (BGer 4A_91/2021 E. 3.1). In diesem Fall wird der Arbeitsvertrag sofort beendet, und die Arbeitgeberin hat Anspruch auf eine Entschädigung. Wenn diese Ablehnung der Arbeit nicht aus einer ausdrücklichen Erklärung des Arbeitnehmenden hervorgeht, muss der Richter prüfen, ob die Arbeitgeberin in Anbetracht der Gesamtheit der Umstände in gutem Glauben das Verhalten des Arbeitnehmenden als Verlassen des Arbeitsplatzes verstehen konnte oder nicht. Wenn die Haltung des Arbeitnehmenden zweideutig ist, obliegt es der Arbeitgeberin, ihn aufzufordern, seine Arbeit wieder aufzunehmen (BGer 4A_91/2021 E. 3.1).
Fristloses Verlassen der Arbeitsstelle
Ohne irgendwelche faktischen Verhaltensweisen wie zum Beispiel das Abgeben des Schlüssels in Verbindung mit einer Räumung des Arbeitsplatzes und einer Verabschiedung bei Arbeitskollegen oder ein Äussern einer Nichtweiterführung der Arbeit in Anwesenheit von anderen Personen (Mitarbeitende, Kunden etc.) sollte ohne eine schriftliche Mahnung und Aufforderung, die Arbeit aufzunehmen, nicht ein fristloses Verlassen des Arbeitsplatzes angenommen werden. Häufig wird nämlich ein paar Tage später ein Arztzeugnis mit einer attestierten Arbeitsunfähigkeit eingereicht. Wenn ein Arbeitnehmender wegen einer Krankschreibung nicht zur Arbeit erscheint, dann liegt kein fristloses Verlassen der Arbeitsstelle vor, auch nicht, wenn eine Krankmeldung vorerst ausbleiben sollte (BGer 4A_454/2022). Von einem fristlosen Verlassen der Arbeitsstelle darf auch nicht ausgegangen werden, wenn der Arzt des Arbeitnehmenden seinen Patienten weiterhin arbeitsunfähig schreibt, obschon ein Vertrauensarzt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmenden verneint hat (BGer 8C_472/2014). Ebenfalls kein fristloses Verlassen der Arbeitsstelle liegt vor, wenn die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmenden den Zugang zu den Unternehmensräumlichkeiten nicht gewährt und die Arbeitsausführung anderweitig verhindert (Sperrung von Accounts).
In solchen Gerichtsstreitigkeiten wird nicht selten von dem die Arbeitsstelle verlassenden Arbeitnehmenden später behauptet, dass die Arbeitgeberin im Wortgefecht die fristlose Kündigung ausgesprochen hat und er deshalb die Arbeitsstelle verlassen habe. Bei solchen Behauptungen gilt, dass der Arbeitnehmende die Aussprache der fristlosen Kündigung beweisen muss. Eine fristlose Kündigung bedarf zwar keiner besonderen Form, aber sie muss unmissverständlich ausgesprochen worden sein, und bei Aussage gegen Aussage wird der Beweis einer fristlosen Arbeitgeberkündigung in aller Regel nicht gelingen. Arbeitgeber sind jedenfalls gut beraten, wenn sie bei solchen eskalierten Situationen vorsichtig handeln und nicht ohne Weiteres ein fristloses Verlassen der Arbeitsstelle durch den Arbeitnehmenden annehmen, sondern dem Arbeitnehmenden sinnvollerweise eine Frist zur Wiederaufnahme der Arbeit oder zur Begründung der Absenz ansetzen.