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Effektives BGM: Der etwas andere Ansatz

Viele meinen, für kleine und mittlere Betriebe sei der Aufwand für Betriebliches Gesundheitsmanagement zu gross. KMU verfügen gegenüber Grossbetrieben jedoch über einige strukturelle Unterschiede, die ein BGM auch mit geringen Mitteln ermöglicht.

11.03.2022 Von: Konrad Wiesendanger
Effektives BGM

Welches Angebot ist das Richtige?

Der Chef eines kleineren Druckerei- und Kopierbetriebes ist ratlos. Weil die Aufträge immer schneller fertig sein müssen, stehen seine Mitarbeitenden oft unter hohem Druck. Gerne würde er etwas unternehmen, um seine Crew zu unterstützen. Ihn interessiert, ob es in seinem Betrieb Optimierungsmöglichkeiten gibt, damit die Belastung die Gesundheit und die Zufriedenheit seiner Mitarbeitenden nicht gefährdet. Doch seine Erkundigungen nach vorhandenen Angeboten führen nur zu Verwirrung. Es gibt Angebote für ein umfassendes Betriebliches Gesundheitsmanagement mit einer eingehenden gesundheitlichen und organisatorischen Analyse seines Betriebs, einem moderierten Gesundheitszirkel, Workshops und gesundheitsfördernden Aktionen. Doch der Blick auf den Preis macht deutlich: Das ist nichts für sein Unternehmen. Und dann gibt es einen bunten Strauss an Einzelangeboten wie Entspannungstraining, Ergonomieberatung, Ernährung und Bewegung. Doch wie kann der Chef die Gewissheit erlangen, welches dieser Angebote für seinen Betrieb das richtige ist?

Gesundheit oder Management?

Beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement geht es wie in jeder anderen Managementform um Organisation, Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen in einer komplexen Umwelt. Die Unternehmen sind vertraut mit Finanz-, Projekt- oder Risikomanagement. Analog dazu liegt beim betrieblichen Gesundheitsmanagement der Fokus auf der Gesundheit der Mitarbeitenden und berücksichtigt die Schnittstellen zu den anderen Managementbereichen. Denn nur ein gesundes Unternehmen kann über eine längere Zeit nachhaltig und erfolgreich wirtschaften. Die meisten Angebote für Betriebliches Gesundheitsmanagement sind auf grössere Unternehmen ausgerichtet. Fachexperten planen gemeinsam mit dem Unternehmen einen Organisationsentwicklungs- Prozess. Dieser beinhaltet eine Projektgruppe, Führungsworkshops, Mitarbeitenden-Interviews zu Arbeitszufriedenheit sowie Gesundheitschecks. Damit werden die relevanten Informationen über das Unternehmen gesammelt, um für die Mitarbeitenden ein Umfeld zu schaffen, das ihre Gesundheit nicht belastet. Dieser Analyseprozess sprengt jedoch das Geld- und Zeitbudget der meisten Kleinbetriebe.

Wie kann das BGM-relevante Wissen über kleinere und mittlere Unternehmen zu Tage gefördert werden, ohne dass der Aufwand die Kapazitäten des Unternehmens sprengt?

Wo befindet sich das Wissen?

Das Wissen einer Organisation liegt im ganzen System verteilt. Zum offensichtlichen Wissen eines Unternehmens gehören beispielsweise seine Kennzahlen, sein Betriebsergebnis oder die Fehlzeiten des Personals. Der grösste Teil des Wissens, das die Kultur des Unternehmens ausmacht, ist jedoch im System verborgen: Das Mass der Zufriedenheit der Mitarbeitenden, der Einfluss, den die Arbeit auf die Gesundheit der Mitarbeitenden hat, informelle Hierarchien, die die Produktivität behindern (oder auch fördern können), oder das Mass der Wertschätzung im Betrieb – dies sind alles Faktoren, die für das Betriebliche Gesundheitsmanagement wesentlich sind.

Die Art, wie dieses implizite Wissen des Unternehmens aus der Tiefe gehoben werden kann, unterscheidet sich wesentlich zwischen grossen und kleinen Unternehmen. Grosse Unternehmen verfügen über eine hohe Arbeitsteilung in der Führung. Strategie und personelle Belange werden von unterschiedlichen Führungskräften gesteuert. Ein Grossbetrieb hat viele Hierarchiestufen, und jede Stufe verfügt über ein unterschiedlich detailliertes Wissen über die Mitarbeitenden. Um dieses verteilte Wissen zusammenzutragen, wird in der Regel auf spezialisierte Anbieter zurückgegriffen, die das Unternehmen über eine längere Zeit im BGM-Prozess begleiten.

Das Wissen von kleineren und mittleren Betrieben ist hingegen anders verteilt. Die Entscheidungsträger sind sowohl für strategische als auch für personelle Fragen zuständig. Die Unternehmensleitung ist oft gleichzeitig Eigentümerin. Sie hat die Mitarbeitenden selber eingestellt und kennt sie beim Namen. Da die Arbeitsteilung in der Führung weniger ausgeprägt ist, sammelt sich viel Wissen bei den Entscheidungsträgern. Zwar sind sich die Führungskräfte nicht bewusst, was sie alles über ihre Mitarbeitenden wissen. Sie sind ja keine Gesundheitsfachleute und massen sich nicht an, ein Urteil über den Gesundheitszustand ihrer Mitarbeitenden abzugeben. Doch ihr implizites Wissen lässt sich mit den geeigneten Mitteln sichtbar machen und mit wenig Aufwand für ein KMU-gerechtes BGM einsetzen.

Ein morphologischer1 Ansatz für die Kleinen 

Unabhängig von ihrer Grösse sind Unternehmen komplexe soziale Systeme. Ebenso komplex sind die Einflüsse des Arbeitsumfeldes auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. Neben den unternehmerischen Strukturen spielen die Wirtschaftslage, die Persönlichkeit und das private Umfeld der Führungskräfte und der Mitarbeitenden sowie der Arbeitsort eine Rolle. Diese Faktoren beeinflussen sich auf unvorhersehbare Weise.

Die Versuchung ist gross, möglichst schnell die Komplexität der Fragestellung zu reduzieren und beim ersten Erkennen eines Problems auf den Zustand des ganzen Systems zu schliessen. Wenn zum Beispiel im Unternehmen eine Häufung von Rücken- und Nackenbeschwerden festgestellt wird, könnte man auf mangelhafte Arbeitsplätze schliessen oder auf Bewegungsmangel. Ob ein Ersatz von Mobiliar oder ein firmeninternes Angebot an Yogastunden das Problem tatsächlich löst, bleibt jedoch unsicher. Genauso gut können die Beschwerden aufgrund von Stress durch fehlende Wertschätzung, durch unterdrückte Konfl ikte oder durch Arbeitsüberlastung entstanden sein.

Doch es gibt auch eine pragmatischere und ressourcenschonendere Methode: Das morphologische BGM. Dabei steht nicht die systematische Datenerhebung im Vordergrund, sondern man sucht eine Darstellungsform des Systems, welche die Orientierung erleichtert. Man erstellt gewissermassen eine Landkarte des Unternehmens unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Gesundheit. Die Einführung in diesen Prozess erfolgt durch eine externe Fachperson in einem Kurzworkshop. Spätere Wiederholungen des Prozesses werden durch das Unternehmen selbst durchgeführt, oder sie können bei Bedarf wieder durch eine externe Moderation begleitet werden.

Die morphologische Karte ist ein Raster auf einem grossen Blatt Papier. Die Felder des Rasters sind mit den gesundheitsrelevanten Aspekten des Unternehmens beschriftet. Die Aspekte umfassen die Ziele des Unternehmens, beteiligte Personen und Instanzen, die räumlichen, sozialen und organisationalen Bedingungen im Unternehmen, die körperlichen und neuropsychologischen Bedingungen der Mitarbeitenden sowie die zur Verfügung stehenden Ressourcen des Unternehmens.

Intuition als Ressource

Die morphologische Karte wird vom Geschäftsleitungsteam «aus dem Bauch heraus » bewertet. Die Aufgabe ist, spontan zu entscheiden, wie das Unternehmen bezüglich der verschiedenen Aspekte unterwegs ist. Obwohl die Geschäftsleitungsmitglieder kein Fachwissen über die betriebliche Gesundheitssituation haben, treten durch diesen intuitiven Prozess aufschlussreiche Erkenntnisse zutage. Die GL-Mitglieder schätzen die Aspekte in der Regel unterschiedlich ein. Im Gespräch werden die Unterschiede angesprochen, im Sinn von: «Aufgrund welcher Überlegungen sind Sie zu Ihrer Einschätzung gekommen?» Diese Überlegungen lassen viel implizites Wissen zutage treten und für den BGM-Prozess verwenden.

Führungspersonen sind dauernd (und oft unbewusst) am Einschätzen der Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden. Durch den morphologischen Prozess bekommen diese Einschätzungen klare Konturen und stehen so dem Unternehmen leichter zur Verfügung.

In einem weiteren Schritt werden mögliche gesundheitsfördernde Massnahmen diskutiert. Jede mögliche Massnahme wird wieder anhand der morphologischen Karte hypothetisch überprüft: Wie würde sich die Einschätzung bestimmter Aspekte verändern? Wie ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag?

BGM für KMU muss einfach sein

Ein KMU hat wenig zeitliche und fi nanzielle Ressourcen. Deshalb soll das BGM für KMU in kurzer Zeit und mit möglichst vielen intern umsetzbaren Massnahmen verfügbar sein.

Nach dem erstmaligen, begleiteten Kurzworkshop sind die meisten KMU selbstständig in der Lage, interne Anpassungen gezielt vorzunehmen und allenfalls externe gesundheitsfördernde Unterstützungsangebote anzufordern.

Das morphologische BGM holt die Führungskräfte bei ihren Managementressourcen ab und offeriert ihnen ein Instrument, das Betriebliche Gesundheitsmanagement für ihr Unternehmen eigenständig und ohne Abhängigkeit von externen Experten zu betreiben.

BGM in KMU muss nachhaltig sein

Jedes Unternehmen überprüft seine strategischen Entscheide stets nach rechtlichen, fi nanziellen und personellen Gesichtspunkten. Jetzt kommt der gesundheitliche Gesichtspunkt dazu. Damit BGM nachhaltig wirkt, muss es ein integraler Bestandteil der Unternehmensentwicklung sein. Das funktioniert nur, wenn die Frage nach der gesundheitlichen Relevanz nicht zur Belastung wird. Die morphologische BGM-Karte lässt sich während einer Geschäftsleitungssitzung an die Wand hängen. Mit einem Blick auf die BGM-Karte lässt sich jeder strategische Schritt, der diskutiert wird, kurz mit der Frage überprüfen, wie sich die Einschätzung der gesundheitlichen Aspekte des Unternehmens verändert.

Kommen wir zurück zum Chef des Druckereibetriebes. Er kann sich mit seinem Kompagnon und vielleicht einem Teamleiter auf einen morphologischen BGM-Prozess einlassen. Er wird erfahren, wie seine Kollegen die gesundheitliche Situation einschätzen. Gemeinsam besprechen sie, welche Schritte zur Unterstützung seiner Mitarbeitenden hilfreich und für sein Unternehmen verkraftbar sind. Nach einem halben Tag wird der Chef die morphologische Karte zur Hand haben und auch in Zukunft mit einem Blick darauf und einer kurzen Besprechung im Team die besten gesundheitlich unterstützenden Lösungen für seinen Betrieb finden können.

Fussnote:

1 Der Begriff Morphologie stammt von Johann Wolfgang von Goethe und bezeichnet die Wissenschaft der Form. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte der Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky den morphologischen Kasten, ein einfaches Raster, mit dem komplexe Fragen systematisch bearbeitet werden können. In den letzten Jahren erweiterte der Zürcher Unternehmensberater Thomas Braun diesen morphologischen Kasten, um ihn auf soziale Systeme wie Unternehmen anzuwenden.

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