Arbeitskräftemangel: Ein Blick in die Zukunft

Hat das Unternehmen, für das Sie arbeiten, im Jahr 2024 und in den Jahren danach Wachstumsziele? Mit allergrösster Wahrscheinlichkeit ja. Im Grunde hat jede wirtschaftlich betriebene Firma das Ziel, im nächsten Jahr mehr zu verdienen – so funktioniert unser System. Das kann man persönlich gut oder schlecht finden. Aber es ändert nichts an dem Umstand, dass Ziele im «Mehr» und nicht im «Weniger» liegen. Das, was erreicht wurde, muss bzw. sollte im Folgejahr übertroffen werden. Wir können also festhalten, dass Unternehmen wachsen möchten. Zumindest aber muss der wirtschaftliche Status quo gehalten werden. Dafür brauchen Organisationen Menschen – zumindest derzeit noch.

12.03.2024 Von: Maximillian Lammer
Arbeitskräftemangel

Unser Problem – Ein Arbeitskräftemangel

Wir spüren es alle an allen Ecken und Enden: den Arbeitskräftemangel. Dabei geht es gar nicht mehr um reinen Fachkräftemangel, sondern um Positionen aller Qualifikationsstufen, die Unternehmen kaum, schwer oder gar nicht besetzen können. Das liegt insbesondere daran, dass unser Arbeitsmarkt schrumpft. Es sind also jedes Jahr immer weniger Menschen im erwerbstätigen Alter im Arbeitsmarkt verfügbar. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das Verhältnis der Eintritte zu Austritten seit einigen Jahren negativ. Es gehen mehr Menschen in Pension, als junge Menschen ins Erwerbsleben einsteigen. Eine Entwicklung, die gerade erst begonnen hat und sich weiter zuspitzen wird. Der Peak wird um 2029/2030 erwartet, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge 1964/65 aussteigen und im Verhältnis sehr geburtenschwache Jahrgänge 2009/2010 das erste Mal einsteigen. Wir erwarten enorme Lücken von mehreren Zehntausend Menschen jedes Jahr (in Deutschland sogar Hunderttausende) Und gleichzeitig wollen Unternehmen wachsen. Das ist das Dilemma, vor dem Unternehmen aktuell stehen.

Denn von dieser Entwicklung ist nicht nur der Arbeitsmarkt per se betroffen, sondern jede Organisation in unterschiedlichem Ausmass. Massgeblichen Einfluss hat dabei natürlich die altersmässige Zusammensetzung des Personals. Je nach Firma werden in den nächsten Jahren zwischen 5% und bis zu 50% der Belegschaft in den Ruhestand gehen. Diese Lücken müssten gefüllt werden, damit das Business unter aktuellen Bedingungen weiterläuft.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Lücke füllen lässt. Betrachtet man die gesamtwirtschaftlichen Optionen, dann bieten sich unter anderem folgende Massnahmen an (bitte gerne um Ihre Überlegungen ergänzen): mehr Digitalisierung und Automatisierung bzw. künstliche Intelligenz, mehr Frauen in Vollzeitbeschäftigung, Zuwanderung, länger arbeiten (wöchentlich und/oder in Jahren), Offshoring (Verlagerung von Unternehmen ins Ausland).

Vermutlich haben Sie bei all diesen Punkten so Ihre Zweifel, insbesondere, ob das in ganz kurzer Zeit zu schaffen ist. Nehmen wir Digitalisierung und KI. Da hat sich enorm viel getan in den letzten zwölf Monaten. Aber wird das alles reichen, um die bevorstehenden Abgänge in Organisationen tatsächlich eins zu eins zu ersetzen. Möglich, aber nicht sicher. Oder nehmen wir das Thema Vollzeitbeschäftigung von Frauen – ein grosses, unerschlossenes Potenzial. Das wäre auch aus Sicht der zukünftigen Pension wichtig, gleichzeitig wissen wir, woran es scheitert: an fehlender Kinderbetreuung.

Blicken wir auf eine weitere Massnahme: Zuwanderung. Klar, damit liesse sich in kurzer Zeit viel erreichen. Doch Zuwanderung ist ein politisch extrem schwieriges Thema (ohne das weiter vertiefen zu müssen – Sie wissen, worum es geht). Woher sollten die Menschen kommen, die wir bei uns brauchen? Aus Osteuropa? Wohl kaum. Dort werden die eigenen Leute dringend gebraucht, viele sind schon in unsere Länder migriert. Die Gesellschaften schrumpfen dort zum Teil (beispielsweise Bulgarien). Also müsste es von weiter her sein – wie aktuell in der Pflege. Wir rekrutieren in Kolumbien, auf den Philippinen, werben Ärzte aus Marokko an. Der Wettbewerb hat dort längst begonnen.

Egal, welche dieser Massnahmen wir gerade betrachten, es fällt eines auf: Unternehmen sind Passagiere. Man kann sich auf die Entwicklungen nicht verlassen, um für die eigene Organisation zu planen – weder Politik noch technischer Fortschritt sind absehbar. Im Sinne der Firmen muss aber gehandelt werden.

Die Probleme, die jetzt vor der Tür stehen, waren ja alle absehbar und seit einigen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten schon spürbar. «Die Demografie ist die einzige Statistik, die man nicht anlügen kann», so lautet das Zitat eines HR-Chefs eines grossen Energiekonzerns. Wie hat man also reagiert? Begonnen hat es vor 30 Jahren mit Headhuntern, die für bestimmte Positionen entsprechende Personen gesucht haben. Vor über 20 Jahren entstanden mit dem Aufkommen des Internets die ersten Jobportale, damit nicht mehr nur in Zeitungen am Wochenende die Joboffers ersichtlich waren. Mit den ersten Social-Media-Plattformen begannen Unternehmen eine weitere Disziplin zu entwickeln: das Employer Branding. In den letzten 15 Jahren wesentlicher Bestandteil von Massnahmen, um Menschen für die eigene Organisation zu gewinnen. Firmen wurden immer besser darin, mit Marketing für Nachschub an Personal zu sorgen. Inzwischen sind manche HR-Abteilungen hoch technisierte Recruitingmaschinen – mit Active Sourcing, Social Recruiting, Performance Recruiting. Sie verkaufen Jobs, zum Teil am laufenden Band. Man hat sich der Situation angepasst, aufgerüstet und sich fit gemacht für den «war for talents» (= Wettbewerb um Mitarbeitende).

Wenn wir die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt und die Prognose auf Basis der Demografie betrachten, so muss man klar sagen, dass alles Bisherige eher ein «Aufwärmen» war, als dass der Wettbewerb bereits entschieden sei. Auf jeden Fall zugunsten der Mitarbeitenden, aber nicht zwischen den Firmen.

Das Aufrüsten mündet neben den technischen Fähigkeiten auch in einem Wettbieten der Benefits: von Homeoffice, Workations, mehr Gehalt über Viertagewoche bis hin zu unbegrenztem Urlaub. Da sind die üblichen Elemente wie Fitness oder Essen gratis schon Standard.

In diesem Wettbewerb steigen die Aufwände enorm. Immer mehr Ressourcen fliessen in die «Beschaffung» neuer Mitarbeitenden. Gleichzeitig aber hat man das Gefühl, dass die bestehenden Mitarbeitenden nicht vergessen, aber bis zu einem gewissen Grad übersehen werden. So erklärt sich auch, warum zwischen 37 und 50% der Mitarbeitenden wechselbereit sind. Wir investieren Zeit, Geld und WoMan-Power in Recruiting und Employer Branding, aber so gut wie nichts in die Bindung bestehender Mitarbeitender.

Dabei ist aber heute schon klar, wer im Wettbewerb um Mitarbeitende in Zukunft erfolgreich sein wird und vielleicht sogar wachsen kann. Nämlich jene Firmen, die ihre Mitarbeitenden besser halten können als andere. Jene Unternehmen, deren Mitarbeitende widerstandsfähig sind gegenüber verlockenden Angeboten, die kommen werden. Der Schlüssel zu dieser Bindung sind aber nicht Benefits, Boni oder Incentives – sondern die Erlebnisse, die Menschen mit und im Unternehmen haben – die sogenannte Employee Experience. Diese Erlebnisse werden in den meisten Unternehmen nicht strukturiert und aktiv gestaltet, sondern mehr oder weniger dem Zufall überlassen.

Wer für die Zukunft gut aufgestellt sein will, sollte jetzt beginnen, in bessere Experience und damit mehr Bindung zu investieren. Es folgt somit der nächste Entwicklungsschritt von HR und von Unternehmen insgesamt in der Reaktion auf das Problem Arbeitskräftemangel: Employee Experience Management & Design. Laut einer Studie von Josh Bersin, basierend auf dem globalen Vergleich von 1000 Firmen im Jahr 2021, zeigt sich, dass mit der richtigen Employee-Experience-Strategie die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Bindung von Mitarbeitenden um das Fünffache steigt. Das ist ein grosser Vorteil im Wettbewerb um Mitarbeitende, oder?

Die gute Nachrichten dazu: Die wenigsten Unternehmen investieren bereits in Employee Experience. Die meisten Organisationen konzentrieren sich derzeit auf die bisherigen Konzepte. EX ist nicht mit einem dreimonatigen Projekt getan – es ist nicht die Erarbeitung eines EVP oder einer neuen Kampagne. Sondern es geht um den sogenannten Shift von HR zu Employee Experience, den Wandel zu einer Organisation, die tatsächlich Menschen in den Mittelpunkt stellt. Nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern im Verständnis des Impacts von Employee Experience, insbesondere auch für die Performance des Unternehmens. Und wenn klar wird, dass man zu EX einen ROI (Return on Investment) berechnen kann, dann spricht HR auch die Sprache des Managements. Was bedeutet das für die Aussicht zum Jahr 2024? Sich einen Vorteil verschaffen durch die aktive Gestaltung von Employee Experience und damit mehr Bindung schaffen als andere, damit das Unternehmen erfolgreich bleibt und wachsen kann.

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