Weisungsrecht Schweiz: Was darf der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen?

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Weisungsrecht Schweiz
Was heisst dies für das konkrete Arbeitsverhältnis? Muss der Arbeitnehmende wirklich jede Anordnung beachten oder gibt es hierbei auch Grenzen? Darf der Chef von der Assistentin verlangen, dass sie zukünftig die Büros reinigt? Oder darf sie verlangen, dass die Assistentin an Sitzungen Kaffee serviert? Sind Kleidervorschriften erlaubt? Dürfen Überstunden angeordnet werden? Solche und andere Fragen geben immer wieder Anlass zu Diskussionen. Im folgenden Beitrag werden einige Aspekte um das Weisungsrecht diskutiert.
Umfang des Weisungsrechts
Die Arbeitgeberin ist für das Unternehmen verantwortlich, somit für den Erfolg und Misserfolg. Deshalb kann sie mittels des ihr zustehenden gesetzlichen Weisungsrechts Einfluss auf die Arbeitsausführung nehmen. In gewissen Schranken kann die Arbeitgeberin auch Verhaltensanweisungen abgeben.
Weisungen sind regelmässig einseitige Anordnungen der Arbeitgeberin und können daher jederzeit wieder abgeändert werden. Denkbar sind jedoch auch vertragliche Vereinbarungen. Wenn Arbeitnehmende solche vertraglichen Regelungen akzeptieren (beispielsweise Kleidervorschriften), dürfte es schwierig werden, im Nachhinein mit einer Persönlichkeitsverletzung zu argumentieren. Sind Weisungen als vertragliche Regelungen ausgestaltet, sind Änderungen nur mit Zustimmung der Arbeitnehmenden möglich.
Massgebend ist, dass Weisungen den Mitarbeitenden zur Kenntnis gebracht werden.
Arten von Weisungen
Bei den Weisungen über die Ausführung der Arbeit werden in der Praxis Zielanweisungen, Fachanweisungen und Verhaltensanweisungen unterschieden.
- Bei den Zielanweisungen werden insbesondere Ort, Umfang oder die Organisation der Arbeit näher konkretisiert. Es wird vorgegeben, welche Arbeit wann und wo zu verrichten ist.
- Bei den Fachanweisungen geht es vielmehr um Arbeitsweise oder -technik. Die Arbeitgeberin erklärt sozusagen, wie eine Arbeit zu erledigen ist oder wie Maschinen zu bedienen sind.
- Die Verhaltensanweisungen betreffen das Verhalten der Arbeitnehmenden im Betrieb. So sind z.B. Anweisungen über die Arbeitszeit, die Arbeitskleidung oder zur Unfallverhütung als Verhaltensanweisungen zu verstehen.
Ausserbetriebliche Anweisungen sind nur beschränkt möglich, denn grundsätzlich sind die Weisungen auf die Arbeitstätigkeit ausgerichtet. Ausnahmsweise sind Weisungen erlaubt, die darüber hinausgehen, z.B. bei Mitarbeitenden mit einer Kaderfunktion, welche in der Öffentlichkeit stehen, oder solchen in sogenannten Trendbetrieben (z.B. religiöse Betriebe). Hinzuweisen ist, dass die Arbeitgeberin teils auch eine Weisungspflicht (nicht nur ein Recht) hat. Dies, wenn es um Sicherheitsvorschriften geht und die Arbeitgberin sicherstellen muss, dass die Vorschriften eingehalten werden.
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Grenzen des Weisungsrechts
Solange die Weisungen zumutbar und nicht schikanös sind, hat der Arbeitnehmende diese zu befolgen. Weisungen, welche die Arbeitgeberin im Interesse des Betriebes erlässt und die nicht gesetzeswidrig sind, sind demnach zu befolgen. Das Persönlichkeitsrecht jedes Mitarbeitenden beschränkt jedoch das Weisungsrecht der Arbeitgeberin. Weiter sind Weisungen, welche gegen zwingendes Recht (z.B. Arbeits- und Ruhezeiten, Strafbestimmungen), GAV-Bestimmungen oder gegen die Betriebsordnung verstossen, unwirksam.
Immer wieder gibt es im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Diskussionen über das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen. Aus arbeitsrechtlicher Sicht lässt sich ein solches Verbot nur begründen, wenn es z.B. der Sicherheit dient oder aus hygienischen Gründen gefordert wird. Zudem ist zu beachten, dass ein Verbot immer nur so weit gehen darf, als es erforderlich ist, um das Ziel zu erreichen.
In einem etwas älteren Fall vor dem Bezirksgericht Arbon wurde entschieden, dass die Kündigung der Arbeitgeberin gegenüber der Arbeitnehmerin missbräuchlich war. Die Arbeitnehmerin hatte aus religiösen Gründen ein Kopftuch getragen, trotz gegenteiliger Weisung der Arbeitgeberin. Da die Arbeitgeberin keine arbeitsbezogenen Gründe darlegen konnte, welche das Verbot gerechtfertigt hätte, sah das Bezirksgericht diese Weisung als persönlichkeitsverletzend an. Das Argument der Arbeitgeberin, sie habe bei Betriebsführungen ein Interesse daran, dass die Belegschaft in einem minimalen einheitlichen, schweizerischen, und nicht islamischen, Bild erscheine, reichte nicht als Rechtfertigung aus. Insbesondere auch deshalb nicht, weil die Arbeitnehmerin keinerlei Kontakte zu Kunden hatte und daher nicht in Erscheinung trat (SJZ 1987 (1991), 176 ff.).
Eine Weisung kann auch gegen die vertraglichen Vereinbarungen verstossen. Haben die Parteien im Arbeitsvertrag eine bestimmte Tätigkeit explizit vereinbart (Anstellung als Assistentin der Geschäftsleitung), kann die Arbeitgeberin nicht ohne Weiteres andere Arbeit zuweisen. So darf sie der Assistentin nicht ohne Weiteres auftragen, die Büros zu reinigen. Assistententätigkeit und Reinigungsarbeiten sind nicht gleich gelagerte Tätigkeiten, weshalb diese Weisung nicht rechtmässig wäre. Die Sekretärin zu beauftragen, Kaffee an Sitzungen zu servieren, hingegen scheint rechtmässig.
Nichtbefolgung von Weisungen
Rechtmässige Weisungen müssen befolgt werden, andernfalls kann die Arbeitgeberin Massnahmen treffen. Das kann eine Verwarnung sein, eine Schadenersatzforderung gegenüber dem Mitarbeitenden oder gar eine Kündigung. In schwerwiegenden Fällen – bei wiederholter Missachtung rechtmässiger Weisungen – wäre eine fristlose Kündigung durchaus denkbar (z.B. bei wiederholtem Nichtbefolgen von Sicherheitsvorschriften, wenn damit der Arbeitnehmende sich selbst, aber auch andere Mitarbeitende gefährdet). Mit dem Aussprechen der fristlosen Kündigung sollte die Arbeitgeberin jedoch zurückhaltend sein.
Es kommt vor, dass Betriebe im Vertrag oder in Reglementen Ordnungsbussen für die Nichteinhaltung von Weisungen vorsehen. Das ist rechtens, solange der Arbeitnehmende eine solche Bestimmung vertraglich akzeptiert hat. Eine solche Regelung sollte allerdings genau umschreiben, welche Verhaltensweisen zu einer Busse führen.
Bei rechtswidrigen Weisungen hingegen kann der Arbeitnehmende sich weigern, diese zu befolgen, ohne dass dies eine Vertragsverletzung darstellen würde. In der Praxis dürfte die Schwierigkeit darin liegen, zu erkennen, ob eine Weisung rechtmässig ist oder eben nicht. Wie im Entscheid oben ersichtlich, ist die Kündigung zwar missbräuchlich gewesen, die Arbeitnehmerin hatte ihre Stelle aber nicht mehr. Ob eine finanzielle Entschädigung im Einzelfall den Verlust einer Stelle aufwiegen kann, ist fraglich. Den Arbeitnehmenden ist daher zu empfehlen, sich gegen angeblich rechtswidrige Weisungen zu wehren und das Gespräch zu suchen. Gleichzeitig sollten die Arbeitnehmenden klarstellen, dass sie ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag selbstverständlich erfüllen möchten/werden. Eine Kündigung wegen Missachtung von rechtswidrigen Weisungen ist zwar gültig, aber regelmässig rechtsmissbräuchlich. Arbeitnehmende können in diesem Fall gemäss Art. 336 ff. OR vorgehen und eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen einklagen.
Ausgewählte Praxisbeispiele
Überstunden: Die Arbeitgeberin kann Anordnungen zur Überstundenarbeit erteilen. Wenn aufgrund von Familienpflichten diese Überstunden nicht erbracht werden können, sollte der Arbeitnehmende das Gespräch mit der Arbeitgeberin suchen. Die Arbeit ohne Weiteres zu verweigern, ist gemäss Gerichtspraxis nicht zulässig und auch nicht ratsam.
Kleidervorschriften: Diese sind erlaubt, solange sie nicht schikanös sind. In vielen Berufen gibt es Uniformen oder klare Vorgaben über das Outfit. Dies ist nicht zu beanstanden, insbesondere dann nicht, wenn es um die Repräsentation des Betriebes geht und eine gewisse einheitliche und gepflegte Erscheinung gefragt ist. Sind Kleidervorschriften sexistisch, müssen sie nicht befolgt werden. Ein Blick über die Grenzen zeigt folgendes Beispiel: Eine Angestellte, welche über eine Arbeitsvermittlung bei einer grossen Gesellschaft arbeitete, widersetzte sich der Vorschrift, Schuhe mit Absätzen zwischen fünf und zehn Zentimetern zu tragen. Sie machte geltend, für Männer gäbe es keine derartige Regelung, weshalb die Regelung sexistisch sei. Daraufhin wurde die Frau entlassen. Dieser Vorfall sorgte für derart grosse Empörung, dass eine Petition zustande kam und sich das britische Parlament mit der Sache auseinandersetzen musste. Auch hierzulande muss sichergestellt sein, dass solche Anweisungen nicht sexistisch oder diskriminierend sind.
Vertrauensarzt: Die Arbeitgeberin ist berechtigt, Arbeitnehmende zum Vertrauensarzt zu schicken, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Die Kosten für diese vertrauensärztliche Untersuchung gehen zulasten der Arbeitgeberin. Ist dieses Recht nicht schon vertraglich vorgesehen, vertritt die herrschende Lehre die Ansicht, Arbeitnehmende haben diese Weisung aufgrund seiner Treuepflicht zu befolgen.