Kettenarbeitsverträge: Wann sind diese zulässig?

Befristete Arbeitsverträge sind kein seltenes Phänomen. Ausserhalb von Praktika oder Ausbildungsverträgen werden diese bei saisonalen Beschäftigungen und projektbasierten Arbeiten oder zur Abdeckung von Beschäftigungsspitzen eingesetzt. Solche Arbeitsverhältnisse enden gemäss Art. 334 Abs. 1 OR nach Ablauf der vereinbarten Dauer ohne Kündigung, weshalb weder der sachliche noch zeitliche Kündigungsschutz zur Anwendung gelangt. Darin liegt die Attraktivität für Arbeitgebende, und dies führt dazu, dass befristete Arbeitsverträge gerne aneinandergereiht werden. Inwieweit dies zulässig ist oder ob dadurch quasi das Betriebsrisiko in unzulässiger Weise auf die Arbeitnehmenden übertragen wird, ist häufig umstritten.

18.01.2022 Von: Nadja Stemmle, Rahel Tobler, Nicole Vögeli
Kettenarbeitsverträge

Kettenarbeitsverträge

Definition von Kettenarbeitsverträgen

Rechtsprechung und Lehre bezeichnen die Aneinanderreihung mehrerer inhaltlich gleicher befristeter Arbeitsverträge als «Kettenarbeitsverträge ». Werden damit Schutzvorschriften umgangen, kann die Aneinanderreihung unter Umständen unzulässig sein. Unter anderem profitieren Arbeitnehmende in unbefristeten Arbeitsverhältnissen im Gegensatz zu jenen mit befristeten Arbeitsverträgen mit zunehmendem Dienstalter von längeren Kündigungsfristen (Art. 355c Abs. OR) sowie einem stärkeren zeitlichen Kündigungsschutz (Art. 336c Abs. lit. b OR). Ebenfalls unterstehen befristete Arbeitsverhältnisse, welche für eine längere Dauer als drei Monate abgeschlossen werden, der BVG-Pflicht (Art. 1j Abs. 1 lit. b BVV 2 e contrario). Die Aneinanderreihung von kürzeren befristeten Verträgen kann demnach auch die berufliche Vorsorge der Arbeitnehmenden schmälern.

Aufgrund dieser Umgehungsgefahr müssen sachliche Gründe für das Abschliessen von Kettenarbeitsverträgen vorliegen, ansonsten ein Verstoss gegen das Rechtsmissbrauchsverbot gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB vorliegt. Diese Gründe sind weder gesetzlich normiert, noch ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung eindeutig, anhand welcher Kriterien sich bestimmen lässt, ob eine Wiederholung der Befristung zulässig ist. Fest steht lediglich, dass aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge nicht in jedem Fall eine Umgehungsabsicht des Arbeitgebenden bedeuten.

Sachliche Gründe für die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags

Für die Beurteilung, ob sachliche Gründe für eine Aneinanderreihung mehrerer befristeter Arbeitsverträge vorliegen, sind stets die Umstände im Einzelfall zu würdigen, wobei insbesondere die Dauer der aufeinanderfolgenden Einsätze, die Ursache und Dauer der Zeiten zwischen zwei befristeten Arbeitsverträgen sowie die Identität des Arbeitgebenden zu beachten sind.1 Das Bundesgericht entschied allerdings, dass eine einmalige Wiederholung der Befristung grundsätzlich zulässig, die Anzahl aufeinanderfolgender Arbeitsverträge allein aber nicht ausschlaggebend sei.2 Dieses obiter dictum wurde in der Lehre stark kritisiert, zumal jeder Fall gesamthaft betrachtet werden sollte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine einmalige Wiederholung unzulässig ist, genauso wie eine mehrmalige Wiederholung zulässig sein kann, wenn sie aus objektiven Gründen erfolgt.3 Als sachliche Gründe für eine wiederholte Befristung anerkannt werden beispielsweise die Übernahme einer neuen Funktion im Betrieb oder das Abwechslungsbedürfnis des Publikums eines Theaters, nach dem sich dieses richten muss und daher einen Sänger befristet für die nächste Schauspielperiode beschäftigt.4 Als sachliche Motive können weiter Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses oder die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens gelten.5 Bei Lehrpersonen, welche jeweils semesterweise oder pro Schuljahr angestellt werden, anerkannte das Bundesgericht, dass grundsätzlich objektive Gründe für eine Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge vorliegen können. Allerdings seien auch hier jeweils die Umstände im Einzelfall zu würdigen. Bei einem Berufsschullehrer, der während 14 Jahren durchgehend mit befristeten Arbeitsverträgen angestellt wurde, lag gemäss Bundesgericht ein gefestigtes und stabiles Arbeitsverhältnis vor, dabei seien für die Aneinanderreihung keine objektiven Gründe ersichtlich.6 Weiter kann es vorkommen, dass ein befristeter Vertrag auf Wunsch des Arbeitnehmenden wiederholt wird. In diesen Fällen liegen aufgrund sachlicher, subjektiver Gründe keine missbräuchlichen Kettenarbeitsverträge vor.7

Rechtsfolgen von unzulässigen Kettenarbeitsverträgen

Wird festgestellt, dass für die Aneinanderreihung mehrerer befristeter Arbeitsverträge keine sachlichen Gründe vorgelegen haben, wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angenommen, wobei zur Bestimmung der Dauer alle vorgängigen befristeten Anstellungen kumuliert werden.8 Die durch die Befristung umgangenen Normen gelangen dann trotzdem zur Anwendung, insbesondere die Bestimmungen betreffend Kündigungsfristen sowie Kündigungsschutzbestimmungen (missbräuchliche Kündigung, Art. 336 OR, und Kündigung zur Unzeit, Art. 336c OR). Eine effektive Umgehungsabsicht des Arbeitgebenden wird dabei nicht vorausgesetzt; die Beurteilung erfolgt aus objektiver Sicht. Die anderen Vertragsabreden des befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrags bleiben jedoch bestehen. Eine fehlende Kündbarkeit beispielsweise gilt somit weiterhin, und das Arbeitsverhältnis kann unter Einhaltung der Kündigungsfrist frühestens auf den Ablauf der ursprünglich vereinbarten Befristung gekündigt werden. Anders gesagt wird damit aus einem (wiederholten) befristeten Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit Minimaldauer. Alle Rechtsfolgen, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen (Lohnfortzahlung, Abgangsentschädigung etc.), stellen ohnehin auf die Gesamtdauer aller Arbeitsverträge ab – unabhängig davon, ob die Kettenarbeitsverträge durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden können oder nicht.9

Zusammengefasst sind die in den wiederholten befristeten Verträgen vereinbarten Bestimmungen gemäss Schweizer Rechtsprechung selbst bei fehlender sachlicher Begründung anwendbar. Zusätzlich gelangen jedoch die dadurch umgangenen Normen betreffend Kündigungsschutz etc. zur Anwendung.

Aufhebungsvereinbarung als Sonderfall einer Befristung

Wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst, wandelt es sich in ein befristetes Arbeitsverhältnis. Damit entfällt der Kündigungsschutz, weshalb dies nur zulässig ist, wenn entweder der Arbeitnehmende die Auflösung wünscht oder der Arbeitgebende zusätzliche Leistungen über die Lohnzahlung für die ordentliche Kündigungsfrist hinaus erbringt.10 Andernfalls ist die Aufhebungsvereinbarung nichtig (Art. 341 Abs. 1 OR), und dem Arbeitnehmenden stehen sämtliche Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zu.

Regelungen in den Nachbarstaaten

Während ein Arbeitnehmender in der Schweiz bei einem unzulässigen Kettenarbeitsvertrag demnach lediglich einen Anspruch darauf hat, dass die minimale gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten wird sowie die Lohnfortzahlung gilt, die der tatsächlichen Anstellungsdauer entspricht, sind die Folgen in anderen Ländern Europas gravierender. In Deutschland wird bei Kettenarbeitsverträgen ohne sachlichen Grund ebenfalls ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angenommen. Die Folge dieser Annahme ist allerdings bedeutsamer als in der Schweiz angesichts des weitreichenden Kündigungsschutzes in Deutschland. Gemäss deutschem Recht kann ein Arbeitsverhältnis seitens des Arbeitgebenden nur aus bestimmten Gründen aufgelöst werden. Die Kündigung muss in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers begründet oder durch dringliche betriebliche Erfordernisse bedingt sein, welche einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmenden im Betrieb entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 KSchG/DE). In Frankreich hingegen wird nicht an den Rechtsfolgen angeknüpft. Trotzdem werden Kettenarbeitsverträge restriktiver als in der Schweiz gehandhabt.

Nach französischem Recht ist bereits der Abschluss eines einzigen befristeten Arbeitsvertrags lediglich aus fünf Gründen zulässig: Ersatz eines Arbeitnehmenden, vorübergehender erhöhter Arbeitsanfall, saisonal bedingte Aktivitäten, Ersatz hoch spezialisierter Arbeitnehmender, landwirtschaftliche Arbeitnehmende. Zu dieser Einschränkung hinzu kommt die Begrenzung der Erneuerung eines befristeten Vertrags: Solche Arbeitsverhältnisse dürfen höchstens einmalig befristet erneuert werden (Art. L. 1242-2 und Art. L. 1243.13).11 Ähnlich dem französischen Recht verlangte in der Schweiz in der parlamentarischen Debatte zur Erneuerung des Kündigungsschutzes eine Mindermeinung, befristete Arbeitsverträge nur in vier bestimmten Fällen zuzulassen. Folgende mögliche rechtfertigende Gründe wurden dabei vorgeschlagen: die vorübergehende Abwesenheit eines regulären Arbeitnehmenden des Betriebs, die aussergewöhnliche und vorübergehende Erhöhung des Arbeitsanfalls, die Ausführung einer gelegentlichen, genau defi nierten und befristeten Aufgabe sowie saisonbedingte Tätigkeiten.12 Das Parlament verzichtete allerdings zugunsten einer gewissen Flexibilisierung auf eine entsprechende Regelung.13

Problematik und Kritik

Angesichts der fehlenden gesetzlichen Regelungen und der damit verbundenen Ungewissheit, wie ein Gericht im Einzelfall einen Fall von aneinandergereihten befristeten Arbeitsverträgen beurteilen würde, ist der Abschluss solcher Verträge sowohl für Arbeitnehmende als auch für Arbeitgebende mit einer grossen Rechtsunsicherheit verbunden. Es ist für die Parteien jeweils sehr schwer einschätzbar, ob ihre Gründe für den Abschluss eines erneuten befristeten Vertrags – und in den meisten Fällen liegen durchaus Gründe dafür vor – von den Gerichten im Streitfall als sachlicher Grund anerkannt würden. Aktuell fehlen Bestrebungen, befristete Arbeitsverhältnisse gesetzlich einzuschränken. Es wäre im Sinne der Rechtssicherheit und des Sozialschutzes daher zumindest angezeigt, die Voraussetzungen in der Rechtsprechung klarer und näher zu umschreiben bzw. Fallgruppen besser auszuarbeiten und festzulegen. Da die Rechtsfolgen von unzulässigen Kettenarbeitsverträgen in der Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern weniger einschneidend sind, rechtfertigt sich wohl eine restriktive Handhabung der Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverträgen seitens der Gerichte. Selbst wenn keine Umgehungsabsicht vorliegt, scheint es mit Blick auf die Rechtsfolgen unproblematisch, schneller die Unzulässigkeit von Kettenarbeitsverträgen anzunehmen. 14

FUSSNOTEN

1 Urteil BGer 4A_428/2016 vom 15. Februar 2017, E.1.1.2.

2 JAR 2000, S. 106.

3 Ertl, Alexander J.P., Das befristete Arbeitsverhältnis in Theorie & Praxis unter Berücksichtigung des Arbeitsvermittlungsgesetzes, Zürich/St. Gallen 2015, S. 159 N. 560; ähnlich: Streiff, Ullin/von Kaenel, Adrian/ Rudolph, Roger, Arbeitsvertrag: Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl ., Zürich 2012, Art. 334 N 7.

4 Streiff, Ullin/von Kaenel, Adrian/Rudolph, Roger, Arbeitsvertrag: Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl ., Zürich 2012, Art. 334 N 7.

5 Urteil BGer 2P.26/2007 vom 28. Juni 2007 E.3.7.

6 Urteil BGer 4A_215/2019 vom 7. Oktober 2019 E.3.1.3.

7 BSK OR I – Portmann, Wolfgang, Art. 334 N 8; Urteil BGer 8C_828/2017 vom 26. Juni 2018 E.5.5.

8 BBl 1984 II 594; BGE 119 V 46.

9 Streiff, Ullin/von Kaenel, Adrian/Rudolph, Roger, Arbeitsvertrag: Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl ., Zürich 2012, Art. 334 N 7.

10 Wären Gründe für eine gerechtfertigte, fristlose Entlassung gegeben, kann eine Aufhebungsvereinbarung ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gültig abgeschlossen werden.

11 Ertl, Alexander J.P., Das befristete Arbeitsverhältnis in Theorie & Praxis unter Berücksichtigung des Arbeitsvermittlungsgesetzes, Zürich/St. Gallen 2015, S. 156, Fn. 906.

12 AmtlBull NR, 1985, Clivaz S. 1110.

13 AmtlBull NR, 1985, Kopp, S. 1112.

14 Rusch, Arnold F., Filme (27): Der Alte im Kettenvertrag, in: AJP 2020 S. 1235.

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