Ausgebrannt: Arbeitgeber wegen Stress verklagt

Ist die neue flexible Arbeitswelt Treiber für Burnout-Fälle und damit verantwortlich für Stresshaftung der Arbeitgeber?

23.11.2021 Von: Bettina Hübscher, Jeannette Küher-Kiser
Ausgebrannt

Entgrenzung im Arbeitsalltag

Dass ein Arbeitgeber wegen Stress verklagt wird, kam in der Schweiz bislang erst selten vor. Aber es ist ein Dauerthema, dass gut qualifizierte und hochengagierte Arbeitnehmer immer wieder der Eintritt des Burnout-Syndroms droht. Heute ist die häufig damit zusammenhängende Thematik der Entgrenzung im Zusammenhang mit der Gestaltung der Arbeitszeit sowie der Aufkommenden mobilen flexiblen Arbeitsformen noch von viel grösserer Bedeutung.

Es sind nicht mehr nur die Führungskräfte und Spezialisten, die immer und überall erreichbar sein müssen. Heute fühlen sich Arbeitnehmer zunehmend verpflichtet, länger als vorgesehen zu arbeiten und auch in der Freizeit und während den Ferien immer erreichbar zu sein. Die modernen, mobilen Kommunikationsmittel, der technologische Wandel sowie die Globalisierung der Märkte und ein steigender Wettbewerbsdruck unterstützen diese Tendenz (Waser, 2010). Dadurch können Sie sich zunehmend ausgebrannt fühlen.

Die Burnout-Thematik soll aber nicht nur auf die Belastung der modernen Arbeitswelt fokussieren. Denn bei einem Burnout-Syndrom sind häufig eine Mehrzahl von Einflussfaktoren wie familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Belastungen mitentscheidend. Zudem gibt es Burnout-Fälle, welche nicht aus einer Überbelastung heraus resultieren, sondern viel mehr Auswirkung eines Mobbing-Vorfalls sind oder bei sexueller Belästigung beginnen.

Gibt es denn heute rechtliche Rahmenbedingungen, die dieses Thema der Entgrenzung regeln? Theoretisch lässt sich die Arbeitszeit klar von der Freizeit unterscheiden. Gemäss Art. 9 ArG liegt die Höchstarbeitszeit bei 45 bzw. 50 Stunden pro Woche. Zudem steht jedem Arbeitnehmer nach Beendigung der Arbeit eine Ruhezeit von mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden zu und Sonn- und Feiertage sind generell arbeitsfrei (Art. 15a, 18, 20a ArG). Diese gesetzlichen Vorschriften bestehen zwar, weisen zur Realität jedoch in manchen Fällen eine grosse Diskrepanz auf. Viele Arbeitnehmer checken am Abend nochmals kurz die Mails oder setzen sich am Wochenende an den Computer. Die Gründe für ein solches Verhalten können vielfältig sein: Karrieregründe, Erwartungen seitens des Vorgesetzten etc. Solche Entwicklungen können allerdings gegen das geltende Arbeitsrecht verstossen (Chilles, 2012) und können schlussendlich in stressbedingten Krankheiten enden. Aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers (Art. 328 OR; SR 220) hat er geeignete Massnahmen zu treffen, um derer Überlastung von Arbeitnehmer entgegenzuwirken und zu verhindern, dass es nicht zu solchen Krankheitsfällen kommt. Aber wie weit muss der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden bremsen und wer haftet, wenn die Arbeitnehmer zu hohe Arbeitszeiten aufweisen?

Ausgebrannte Arbeitnehmer – Der Ausfall eines Arbeitnehmers

Sehr lange und atypisch gelagerte Arbeitszeiten werden von Arbeitnehmern oftmals als Belastung empfunden. Dabei verstärkt sich durch die dauernde Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeit den subjektiv empfundenen Stress (Eichhorst/Tobsch, 2014). Wenn die Mitarbeitenden den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr gerecht werden können, fühlen sie sich gestresst und ausgebrannt. Sie schaden dadurch nicht nur ihrer eigenen Gesundheit, sondern ihre stressbedingten Ausfälle bedeuten gleichzeitig eine Mehrbelastung der anderen Teammitglieder. Der ebenfalls damit einhergehende Know-How-Verlust hat wiederum negative Auswirkungen auf die Rentabilität des Unternehmens und kann ein Produktivitätsabfall bedeuten. Stress am Arbeitsplatz birgt darüber hinaus rechtliche Risiken für den Arbeitgeber. Bei einem Ausfall besteht bspw. eine Lohnfortzahlungspflicht oder es entsteht ein Haftungsrisiko (Sprenger et al, 2013).

Rechtliche Risiken für den Arbeitgeber - Stresshaftung

So hat das Thema der Stresshaftung in den vergangenen Jahren auch das Bundesgericht vermehrt beschäftigt: Einer Arbeitnehmerin wurde eine Genugtuung von CHF 10‘000.- zugesprochen, weil sie sich am Arbeitsplatz überbeansprucht fühlte, als Folge eine schwere Depression erlitt und schliesslich zur Arbeit nicht mehr fähig war (4C. 24/2005).

Damit juristisch von einer Stresshaftung gesprochen werden kann, müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der Arbeitnehmer muss zunächst einen Schaden, also eine unfreiwillige Vermögenseinbusse infolge der Stresswirkung erleiden. Dies ist der Fall, wenn die Stresssymptome Krankheitswert erlangen und dadurch Behandlungskosten entstehen.
  • Sodann ist eine Vertragsverletzung seitens des Arbeitgebers notwendig. Dieser hat nämlich die Persönlichkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis zu achten und zu schützen und muss demzufolge auf die Gesundheit des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Bestehen in einem Unternehmen jedoch Arbeitsbedingungen, welche erhöhten Stress auslösen, stellt ein Verstoss des Arbeitgebers gegen seine Fürsorgepflicht eine Vertragsverletzung dar.
  • Zwischen dem erlittenen Schaden des Arbeitnehmers und der Vertragsverletzung muss ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehen.
  • Verschulden des Arbeitgebers, wobei der Umstand massgebend ist, ob die stressbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung für den Arbeitgeber vorhersehbar war. In diese Entscheidung werden vor allem Aspekte der Arbeitsorganisation, sowie der konkreten Arbeits- und Überwachungsbedingungen einbezogen. Auch die Kommunikation und Anzeichen von Stress wie bspw. häufige Absenzen werden berücksichtigt. Von einem Verschulden wird regelmässig ausgegangen, wenn der Arbeitgeber die Gesundheitsgefährdung kannte oder aber hätte kennen können (Rohrer, 4/09).

Sind alle vier Voraussetzungen erfüllt, kann dies zu einem Anspruch auf Genugtuung führen. Dies mit der Begründung, dass der langanhaltende Arbeitsdruck zu einer Gesundheitsschädigung des Arbeitnehmers führte und der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nicht nachkam (Rohrer, 4/09). Im Arbeitsalltag ist es jedoch oft schwierig zu beurteilen, wann die Schwelle des zulässigen Arbeitsstresses überschritten ist. Aus diesem Grund wird die Stresshaftung auch immer aus subjektiver Sicht des betroffenen Arbeitnehmers betrachtet und somit den Umständen des Einzelfalles Rechnung getragen.

Zudem kann das Unterlassen von präventiven Massnahmen dem Arbeitgeber nur angelastet werden, wenn er über die Gefährdungslage beizeiten informiert wurde. Da Burnout jedoch häufig leistungsbereite und hochmotivierte Arbeitskräfte betrifft, erfolgt diese Information häufig nicht oder erst bei einem Totalzusammenbruch, da sich Arbeitnehmer nicht über Herausforderungen beschweren wollen. Der nicht informierte Arbeitgeber kann seiner Fürsorgepflicht in dieser Situation also gar nicht nachkommen (Heller, 2008).

Um das Risiko einer Stresshaftung zu minimieren, sollte der Arbeitgeber frühzeitig Schutzmassnahmen, wie die Errichtung einer Anlaufstelle oder die Durchführung von Stressaudits, ergreifen (Rohrer, 4/09). Aufgrund der neuen flexiblen, mobilen Arbeitsformen müssen solche Schutzmassnahmen allenfalls überdacht und den Begebenheiten angepasst werden. Machen Sie solche Themen zum Inhalt von Mitarbeiter-Gesprächen oder Team-Meetings, klären Sie die Erwartung bezüglich der Erreichbarkeit oder des nächtlichen Versands von Emails oder ähnlichem und coachen Sie Ihre Mitarbeitenden bei der Umstellung in die mobile flexible Arbeitswelt. Ein solcher Schritt ist nicht zu unterschätze und nicht alle Mitarbeitenden können mit dieser neuen «Freiheit» gleich gut umgehen.

Denn, schafft der Arbeitgeber keine Verhältnisse, die den Arbeitnehmer vom Stress entlasten, hat der Arbeitnehmer das Recht seine Arbeitsleistung zu verweigern, wenn die Stressbelastung derart hoch ist, dass sie als unzumutbar erscheint (Art. 324 OR) (Sprenger et al, 2013).

Bundesverwaltungsgericht stützt Opfer von Burnout

Dass Arbeitgeber wegen gesundheitlichen Schäden der Arbeitnehmer verklagt werden, ist nicht neu. Nicht häufig anzutreffen ist jedoch beim nachfolgenden Gerichtsentscheid, dass es um einen Burnout- Fall geht. In einem solchen Fall muss wie bei der Stresshaftung von der Klägerseite her bewiesen werden, dass zwischen der Stressbelastung und der Erkrankung ein Kausalzusammenhang besteht und dass der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber um Hilfe gebeten hat.

Situation

Eine Arbeitnehmerin musste gemäss ihrem Stellenprofil immer wieder negative Entscheide der Kundschaft zukommen lassen, was sie enorm belastete. Trotz dieser Belastung wurde sie vom Arbeitgeber im Stich und allein gelassen, was in einem stressbedingten Burnout resultierte. Heute ist die Person arbeitsunfähig und bezieht eine IV-Vollrente. Im Gerichtsverfahren verlangte die Person Schadenersatz von Fr. 360'000 und eine Genugtuung von Fr. 20'000.

Von der ersten Instanz wurde die Klage des Klägers abgewiesen mit der Begründung, dass sich die Person bewusst für diese Stelle und im Wissen darum, was der Arbeitsinhalt ist und dass es belastende Situationen geben kann, beworben hat. Die zweite Instanz, das Bundesverwaltungsgericht, hat dann dem Kläger aber teilweise Recht gegeben.

Die Gerichte lassen die Kausalität gelten, wenn eine Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs vorhanden ist. Das heisst also, es dürfen keine privaten Belastungen mitwirken und der Arbeitgeber muss seine Fürsorgepflicht verletzt haben. Auch wenn die Arbeit stressig sein kann, muss der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nachkommen, indem er immer, wenn er sieht, dass es dem Arbeitnehmer nicht gut geht, etwas unternimmt. Auch dann, wenn objektiv betrachtet, die Situation am Arbeitsplatz gut ist.

Fazit

Das Gerichtsurteil von 40 Seiten zeigt auf, wie aufwändig und mühselig diese Beweisführung ist. Daher wird vermutet, dass es auch künftig keine Zunahmen von Burnout-Schadenersatzklagen geben wird. Trotzdem sollten Arbeitgeber sich seiner Fürsorgepflicht bewusst sein. Für Arbeitgeber empfiehlt es sich, wenn es zu Krankheits- oder Burnout-Vorfälle kommt, diese sowie die Massnahmen gut zu dokumentieren, dass sie im Falle eines Streifalls belegen können, dass sie der Fürsorgepflicht nachgekommen sind.

Und achten Sie darauf, dass gerade im Kontext der mobilen und flexiblen Arbeitswelt das gewinnen von Resilienz und das persönliche Ressourcenmanagement für die Leistungserbringung von Mitarbeitenden sehr zentral wird. Führungskräfte tragen hier die Mitverantwortung für eine persönlichkeits- und gesundheitsfördernde Arbeitsgestaltung aller. Sie erreichen hierbei eine Entlastung, in dem die Mitarbeitenden in Eigenverantwortung sowie in Umgang mit Stress und Ressourcen schulen und begleiten (Eggenberger, 2017).

 

Dieser Beitrag ist ein erweiterter Auszug aus dem Buch Zölch, M., Oertig, M., Calabro, V.: Rechtliche Rahmenbedingungen flexibler Arbeit. In: Flexible Workforce – Fit für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt?. Hübscher, B., Kehl, S. (2017) Haupt Verlag AG.

Literaturverzeichnis

Chilles, F. (2012): Umgang mit Entgrenzung aus juristischer Perspektive. In Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J. & Meyer, M. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2012. (S. 125). Springer-Verlag. Berlin, Heidelberg.

Eggenberger, J. (2017): Gute Führung im Kontext flexibilisierter Arbeit. In: Flexible Workforce – Fit für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt?. Zölch, M., Oertig, M., Calabro, V.. Haupt Verlag AG.

Eichhorst, W., Tobsch, V. (2014): Flexible Arbeitswelten. IZA Research Report No. 59. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh.

Heller, H., (2008): Burnout bei zu langen Arbeitszeiten – tragen Arbeitgeber die Verantwortung? HR Today.

Hübscher, B., Kehl, S. (2017): Rechtliche Rahmenbedingungen flexibler Arbeit. In: Flexible Workforce – Fit für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt?. Zölch, M., Oertig, M., Calabro, V.. Haupt Verlag AG.

Rohrer, M., (2009): Stress am Arbeitsplatz – haftet der Arbeitgeber?. Recht und Arbeitssicherheit 4/09.

Sprenger, M., Meissner, J. O., Ursprung, R. (2013): Risiko Stress: Bringen neue Arbeitsformen Abhilfe?. HR Today.

Waser, P. (2010): Die Zukunft des Arbeitens. Ein Trendreport. Stiftung Produktive Schweiz (Hrsg.). Zürich.

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